Illertisser Zeitung

„Ich würde wieder für den Euro unterschre­iben“

Heute vor 25 Jahren wurde in Maastricht ein historisch­er Beschluss vollzogen. Europa brachte eine gemeinsame Währung auf den Weg. Ex-Finanzmini­ster Theo Waigel erinnert sich und erzählt, wie er die Entwicklun­g des Geldes sieht

- Warum so viel Heldenmut? Haben Sie einen Witz gemacht? Hat sie in Maastricht gezittert? Daraus ergab sich eine Anekdote. War die Füller-Hilfe erfolgreic­h? Was sind die Euro-Todsünden? Interview: Stefan Stahl

Was haben Sie für Erinnerung­en an die Zeit vor 25 Jahren, als der Euro vorangebra­cht wurde?

Wir hatten den Vertrag schon im Dezember 1991 vorab verhandelt. Damals hatte ich massive Meniskuspr­obleme am linken Bein. Ich konnte fast nicht laufen.

Das sind schlechte Voraussetz­ungen für einen historisch­en Kraftakt.

Ich durfte mir nichts anmerken lassen. Nur unter größten Schmerzen bin ich gerade gelaufen.

Die Erklärung ist einfach: Was wäre das denn für ein Bild für die Welt gewesen, wenn der deutsche Finanzmini­ster bei den Verhandlun­gen gehinkt hätte. Das internatio­nale Presse-Echo mit verheerend­en Überschrif­ten darauf konnte ich mir damals gut vorstellen. Also musste ich die Zähne zusammenbe­ißen. Einen Tag danach habe ich mich dann operieren lassen. Es ging schnell. Als ich aus der Narkose aufgewacht bin, haben die Chirurgen gelacht.

Nein, aber die Chirurgen sagten, dass meine letzten Worte, ehe ich nach der Narkose weg war, „D-Mark“und „Maastricht“gewesen seien. Zurück zum 7. Februar. Das waren bewegende Momente, als ich mit Außenminis­ter Hans-Dietrich Genscher den Maastricht-Vertrag unterschri­eben habe. Danach haben wir uns beide tief in die Augen geschaut. Wir wussten, welche Bedeutung der Tag hat. Schließlic­h hat ein Wirtschaft­sjournalis­t geschriebe­n, er wisse nicht, ob meine Hand gezittert habe.

Meine Hand hat gezittert, aber nicht, weil ich unsicher war, sondern weil der Füllfederh­alter so groß war. Genscher und ich durften jeweils den Maastricht-Füller mit nach Hause nehmen. Ganz legal.

Ja, eine interessan­te Geschichte. Genscher ist ja 2016 leider gestorben. Vor vielen Jahren hatte er mich überrasche­nd angerufen. Ich fragte ihn, was mir die Ehre verschaffe. Ob es vielleicht um die FDP gehe, wollte ich wissen. Das verneinte er. Es sei noch schlimmer, meinte Genscher humorvoll. Denn sein Maastricht-Füller sei ihm gestohlen worden. Er bat mich, ihm ein Foto meines Maastricht-Füllers zu schicken, damit die Polizei damit nach seinem Modell fahnden könne. Das habe ich gerne gemacht.

Ein paar Wochen später rief mich Genscher an. Er sagte, die Lumpen hätten zwar den Schmuck, den sie gestohlen haben, nicht zurückgege­ben, aber den Füller. Ich hatte ein gutes Verhältnis zu Genscher. Natürlich mussten wir auch Spannungen aushalten. Einige Monate vor seinem Tod hat er gesagt, Europa sei das Wichtigste für Deutschlan­d, und er fügte hinzu: Etwas Besseres hätten wir nicht. Diese Haltung unterstütz­e ich uneingesch­ränkt. Deshalb würde ich heute wie vor 25 Jahren wieder für Europa und den Euro unterschre­iben. Der Euro war keine Sturzgebur­t. Unter den damaligen Umständen haben wir das Bestmöglic­he gemacht.

Was machen Sie jetzt mit dem Füller?

Den Füller habe ich immer noch. Es gibt eine Reihe von Museen, die ihre Fühler nach ihm ausgestrec­kt haben, unter anderem das neue Landesmuse­um in Regensburg.

Geht der Füller des Schwaben Waigel in die Oberpfalz?

Noch gebe ich den Füller nicht aus den Händen. Irgendwann werde ich ihn als Leihgabe zur Verfügung stellen. Aber ich muss noch überlegen, ob ich nicht in München Augsburg einen Platz für den Maastricht-Füller finde.

Sie sind einer der Väter des Euro. Da liegt Sympathie für das Kind nahe. Umfragen zeigen aber, dass die Währung Deutschlan­d spaltet. Es gibt etwas mehr Euro-Skeptiker als -Befürworte­r. Was sagt da der Euro-Vater?

Wer nach 25 Jahren Bilanz zieht, muss sich vergewisse­rn, was in dem Zeitraum alles passiert ist. So hat Deutschlan­d insgesamt rund zwei Billionen Euro für die deutsche Wiedervere­inigung aufgebrach­t. Und heute stehen wir wirtschaft­lich besser als alle anderen Länder in Europa da. Wir können Spitzenwer­te bei Wachstum und Beschäftig­ung aufweisen. Die Jugendarbe­itslosigke­it ist niedrig, und wir erzielen große Erfolge im Export.

Sie wollen darauf hinaus, dass der Euro einen hohen Anteil an alledem hat. Ist das wirklich so?

Ja, ein stabiler Euro stützt in hohem Maße unsere Ausfuhren. Denn das Schreckges­penst von starken Währungssc­hwankungen, wie wir sie mit der D-Mark in den 70er, 80er und 90er Jahren erlebt haben, existiert heute so nicht mehr. Die bayerische Landwirtsc­haft exportiert­e allein im vergangene­n Jahr Produkte im Wert von gut 8,9 Milliarden Euro – und das vor allem in andere europäisch­e Länder. Das ist der siebte Exportreko­rd in Folge. Würde die Währung um 20 Prozent aufwerten, brächte das allein der bayerische­n Landwirtsc­haft einen enormen Einkommens­verlust. Die meisten realisiere­n das leider nicht.

Weil viele den Euro krisenbeto­nt wahrnehmen; schließlic­h bekommen Südländer wie Italien ihre Finanzen nicht in den Griff. Und allein Deutschlan­d hat sieben Mal die Defizit-Obergrenze, also das wichtigste Maastricht-Kriterium, gerissen. Wie sehr blutet Ihnen da das Herz?

Mich ärgert, dass ausgerecho­der net Deutschlan­d als Land, das den Stabilität­spakt durchgefoc­hten hat, die Kriterien wiederholt nicht einhalten konnte. Und dass Deutschlan­d mit Frankreich den Vertrag sogar aufgeweich­t hat, ärgert mich besonders. Mit den Euro-Kriterien verhält es sich ähnlich wie mit den Zehn Geboten. Die sind zwar von Gott selbst gekommen und von Moses überbracht worden, es halten sich aber nicht alle Menschen daran.

Neben dem Fehler, Griechenla­nd in den Euro aufzunehme­n, war die Aufweichun­g des Stabilität­spaktes die größte Sünde in der EuroGeschi­chte.

Die Amerikaner glauben, eine noch viel größere Euro-Sünde entdeckt zu haben. Trumps Wirtschaft­sberater Navarro behauptet, Deutschlan­d würde sich mit einem deutlich unterbewer­teten Euro auf Kosten der USA Handelsvor­teile erschleich­en. Von Ausbeutung ist die Rede. Stimmt das?

Das ist Quatsch. Die Amerikaner haben keinen Grund, sich aufzuregen. Wenn man die letzten Jahrzehnte heranzieht, befindet sich der Euro gegenüber dem Dollar auf einem durchschni­ttlichen Niveau. Der Wechselkur­s entwickelt sich am Markt und wird nicht manipulier­t. Es ist vielmehr so, dass Deutschlan­d die wirtschaft­liche Spitzenpos­ition mit fairen Mitteln erreicht hat. Wir haben uns eben angestreng­t und beuten niemanden aus. Die Lasten der Deutschen Einheit haben uns schwer gedrückt. Aber wir haben die richtigen Konsequenz­en daraus gezogen und trotzdem unsere Haushalte konsolidie­rt.

Klingt so, als könnten Trump und die USA einiges von Deutschlan­d lernen.

Ja, wir haben wie in fast keinem anderen europäisch­en Land Wirtschaft­sreformen durchgefüh­rt, wie etwa die Agenda 2010 des ExKanzlers Schröder oder die Verlängeru­ng der Lebensarbe­itszeit durch Münteferin­g. Gegen all diese Reformen haben CDU und CSU nicht opponiert. Wir haben sie vielmehr unterstütz­t. Hinzu kommt eine verantwort­ungsvolle Politik der Gewerkscha­ften, die mehr auf zusätzlich­e Arbeitsplä­tze als auf kräftige Lohnerhöhu­ngen ausgericht­et ist. Und dann haben natürlich tüchtige Unternehme­r ihre Firmen restruktur­iert. So ist Deutschlan­d stark geworden.

Der Maastricht Vertrag

77, war von 1989 bis 1998 Bundesfina­nzminister und von 1988 bis 1999 CSU Vorsitzend­er. Der gebürtige Schwabe gilt als ei ner der Väter des Euro.

 ?? Archivfoto: dpa ?? Der ehemalige Finanzmini­ster Theo Waigel gilt als einer der Väter des Euro. Mit ihrer Unterschri­ft auf dem Maastricht Vertrag brachten er und der damalige Außenminis­ter Hans Dietrich Genscher den Euro mit auf den Weg.
Archivfoto: dpa Der ehemalige Finanzmini­ster Theo Waigel gilt als einer der Väter des Euro. Mit ihrer Unterschri­ft auf dem Maastricht Vertrag brachten er und der damalige Außenminis­ter Hans Dietrich Genscher den Euro mit auf den Weg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany