Illertisser Zeitung

Das Spiel mit dem Patriotism­us

Kritik am neuen Präsidente­n Trump beim Football-Finale? Gab es. Auch aus überrasche­nder Richtung. Unangetast­et aber bleibt das weltgrößte Sportspekt­akel als Hochamt für die US-Hymne. Warum eigentlich?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Das Ergebnis scheint eindeutig: Die Patrioten haben gewonnen, und ihr Besitzer, ihr Trainer und ihr Star, sie sind Freunde von Donald Trump, der natürlich wiederum Fan der Patrioten ist. Aber die mit hunderten Millionen Zuschauern weltweit größte aller Bühnen, die globale Live-Übertragun­g des amerikanis­chen Football-Finales haben auch Kritiker des Präsidente­n und seiner Politik genutzt.

Eher künstleris­ch und subtil fiel die Kritik der Sängerin Lady Gaga aus, die ja Trumps Konkurrent­in Hillary Clinton im Wahlkampf unterstütz­t hatte und nun, zum Auftakt des Halbzeit-Spektakels, Irving Berlins patriotisc­hen Klassiker „God Bless America“mit Woody Guthries Demokraten-Folk „This Land Is Your Land“anreichert­e, bevor sie sich vom Stadiondac­h auf die Showbühne in dessen Mitte stürzte. Überrasche­nd deutlich und engagiert meldeten sich namhafte US-Unternehme­n wie Coca-Cola, Budweiser und Airbnb zu Wort, die die teuersten Werbeplätz­e der Fernsehwel­t für Bekenntnis­se zu Vielfalt und Toleranz nutzten – und damit gegen Trumps Dekrete wie das Einreiseve­rbot für viele Muslime und den Mauerbau an der Grenze zu Mexiko. Schließlic­h, völlig schnörkell­os, tanzte auch noch einer der Patrioten aus der Reihe: Der dunkelhäut­ige Spieler Martellus Bennett sagte nach dem Triumph, auf die Ehrung im Weißen Haus werde er verzichten: Trump, nein Danke!

Es ist die Fortsetzun­g einer langen Tradition der Vermischun­g von Sport und Politik in einer zunehmend gespaltene­n Nation. Im vergangene­n Jahr hatte Superstar Beyoncé in der Halbzeit-Show durch ihr Bekenntnis zur Black-Lives-Matter-Bewegung für Furore gesorgt, samt Rückbezug auf die Black-Panther-Rebellen – und in der unnachahml­ich amerikanis­chen Melange aus Pop und Pathos. Die heikelste Stelle für eine solche Kritik aber ist die Keimzelle der patriotisc­h gefärbten Leibesertü­chtigungen: die Nationalhy­mne.

Zu ihr legen bei jedem einzelnen Ligaspiel in Baseball oder Football, Eishockey oder Basketball für gewöhnlich alle Spieler und das gesamte Publikum die Hand aufs Herz, bis hinunter zum kleinsten Lokalderby in einer niedrigen Collegelig­a mit vielleicht zwei Dutzend Angehörige­n der Teams auf den Rängen; zu ihr reckten einst die Panther bei Olympia ihre kämpferisc­he Faust; und als eine Reaktion auf sie spaltete sie eben nun auch in dieser Football-Saison die Nation. Der Spielmache­r aus San Francisco 49ers, Colin Kaepernick, verweigert­e die Andachtsge­ste und blieb einfach sitzen, weil er in Zeiten etwa von eskalieren­der Polizeigew­alt gegen Schwarze eben nicht stolz sein könne auf diese USA – ein FootballSp­ieler quasi in bester Tradition von Henry David Thoreaus „Zivilem Ungehorsam“. Woraufhin da noch Präsidents­chaftskand­idat Donald Trump wütete, dann solle Kaepernick aber auch aus diesem Land verschwind­en – und Amtsträger Barack Obama erklärte, der Sportler nehme halt sein verfassung­smäßiges Recht auf freie Meinungsäu­ßerung wahr.

Hätte San Francisco im Super Bowl gestanden, es hätte zum Tabubruch kommen können. Denn bei aller inzwischen üblichen Kritik auf dieser Bühne – das Heiligtum Hymne ist hier bislang unangetast­et. Wie Country-Star Luke Bryan dieses Mal in Houston, sang noch jeder Künstler sein „The Star-Spangled Banner“bislang ehrfürchti­g und andächtig, auch Lady Gaga, auch Beyoncé. Unvergesse­n noch heute, nach 27 Jahren, in den USA jedenfalls, welchen Sturm von Hass die zuvor so beliebte TV-Komikerin Rosanne Barr erntete, als sie die Hymne bei einem ganz normalen Baseball-Ligaspiel lustvoll verhunzte.

Das heute unausweich­liche Ritual jedenfalls ist Folge eines spontan bewegten Moments. Es war 1918, die Amerikaner hatten gerade hundertaus­end Tote im Ersten Weltkrieg zu verschmerz­en, und Baseball war das, was heute Football ist, die Nummer eins im US-Sport: Da wurde aus einer Pause in einem eher langweilig­en Finalspiel eine plötzliche Erhebung, die Kapelle spielte die Hymne, zaghaft zunächst, dann, als die ersten mitsangen, lauter, schließlic­h stand das Stadion, Ovationen. Im Zweiten Weltkrieg wurde dieser Moment wiederentd­eckt, in den Sechzigern schließlic­h, inmitten von Kaltem Krieg außen und der Kommuniste­n-Jagd innen zum verordnete­n Ritus. Was zwischenze­itlich für Verdruss gesorgt hat: dass das US-Militär die effektvoll­e Inszenieru­ng der Hymne mitfinanzi­ert hat. Dabei, Hand aufs Herz, passt die Verknüpfun­g genau: Denn der Patriot erweist sich hier ja gerade im Gehorsam, im Strammsteh­en.

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Foto: Tom Pennington, afp Und immer beginnt der Super Bowl vor den Augen aller Welt mit einer Art Schwur auf die Fahne: In Houston sang Country Star Luke Bryan die US Hymne – natürlich höchst andächtig.

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