Illertisser Zeitung

Die Macht der Bilder, die Macht der Worte

Die Erfolgsaut­orin erläutert im Interview, warum sie schneller als geplant ihren eigenen Verlag gründete. Warum sie Apps entwickeln lässt und wie wichtig ihr die alten Handwerksk­ünste sind

- Gibt es schon weitere Verlagspro­jekte? Können Sie das genauer erklären? Interview: Birgit Müller-Bardorff

Sie hatten erklärt, Sie würden auch in Amerika bleiben, wenn Donald Trump Präsident ist …

Gerade, weil Donald Trump gewonnen hat, bleibe ich hier. Man sagt immer so leicht die USA, aber ich lebe in Kalifornie­n, dort hat man demokratis­cher gewählt als je zuvor. Das heißt: Ich fühle mich in Kalifornie­n zu Hause, und jetzt wird es darum gehen, sich für all das einzusetze­n, was mir wichtig ist, und das ist besonders der Umweltschu­tz. Ob es irgendwann so schlimm wird, dass ich weggehen muss, das lässt sich jetzt noch gar nicht absehen. Aber noch beweist der sehr organisier­te und umfassende Widerstand, dass es sehr demokratis­che Kräfte in den USA gibt. Das einzig Gute an dieser Wahl ist, dass die Demokraten nun Engagement zeigen müssen.

Sie haben gerade den Umweltschu­tz angesproch­en. In Ihrem letzten Buch „Die Feder eines Greifs“geht es um den Erhalt der Artenvielf­alt und den Schutz der Umwelt. Wie aktiv setzen Sie sich dafür ein?

Ich habe mich schon in Deutschlan­d politisch engagiert, seit ich 14 bin. Aber ich bin jemand, der nicht gerne stundenlan­g in Gremien und Versammlun­gen sitzt. Meine Art, mich zu engagieren, ist, durch meine Bücher genug zu verdienen, um Organisati­onen finanziell zu unterstütz­en. Das ist es, was man braucht, um wirksam agieren zu können, um Anzeigen zu schalten und Menschen zu erreichen. Das heißt: Ich spende. Außerdem will ich in den Santa Monica Mountains ein Wildnis-Projekt starten, in dem ich zeigen möchte, wie die wilden Orte unserer Welt uns inspiriere­n und wie wichtig es für unsere Kinder ist, mit Natur in Kontakt zu kommen und sich nicht immer mehr von ihr zu entfremden.

Im vergangene­n Jahr haben Sie Ihren eigenen Verlag Breathing Books gegründet, in dem Sie nun Ihre Bücher in den USA veröffentl­ichen. Welche Gründe gab es dafür?

Ich wollte schon sehr lange mein eigenes kleines Verlagshau­s gründen – als Segelboot gegen die Ozeanriese­n –, weil ich gerade als Illustrato­rin auch Lust auf Projekte habe, die so unkommerzi­ell und so von Illustrati­on bestimmt sind, dass sie sich kaum noch ein Verlag leisten kann. Schon längere Zeit habe ich mich dafür mit Mathew Cullen, einem sehr renommiert­en Musikvideo­produzente­n, zusammenge­tan, aber wir hatten das nicht so schnell vor. Aber als mein amerikanis­cher und mein englischer Verlag Veränderun­gen beim „Goldenen Garn“vornehmen wollten, denen ich nicht zustimmen konnte, musste ich die Pläne schnell umsetzen, um das Buch zu veröffentl­ichen.

Was sollte für die englische und amerikanis­che Ausgabe des dritten „Reckless“-Bandes geändert werden?

Das erste Kapitel, in dem eine Geburt beschriebe­n wird, sollte geändert werden. Ich vermute, dass dafür Marketingg­ründe den Ausschlag gaben. Denn die Verlage, die mit meinen Büchern Erfolge hatten, hatten dies in der Gruppe der 12- bis 14-Jährigen. Die Verlage versuchten deshalb, das Buch krampfhaft für eine jüngere Zielgruppe zuzuschnei­den. Aber das geht natürlich nicht. Das Buch war ja schon in Deutschlan­d veröffentl­icht, und dann soll es auch in aller Welt gleich sein.

Als Nächstes bringen wir ein Bilderbuch heraus, das ich zum ersten Mal parallel auf Englisch und Deutsch schrieb, weil beide Sprachen ganz unterschie­dlich funktionie­ren. Ich habe also diesmal nicht übersetzt, sondern tatsächlic­h zweimal geschriebe­n. Dieses Buch habe ich auch erstmals vollständi­g selbst illustrier­t. Es ist eine Liebeserkl­ärung an alle meine Lieblingss­chriftstel­ler und heißt „Das Buch, das niemand las“. In Amerika wird es im Frühjahr erscheinen, wann es in Deutschlan­d veröffentl­icht wird, weiß ich noch nicht.

Seit einiger Zeit entwickeln Sie Ihre Bücher digital weiter. Zu Ihrer „Reckless“-Reihe gibt es die aufwendig produziert­e App „Mirrorworl­d“, die in Cannes den „Silbernen Löwen“gewann. Auch für den „Drachenrei­ter“entwickeln Sie gerade eine App. Was verspreche­n Sie sich davon?

Das ist ein Abenteuer, das immer noch sehr viel Geld kostet, aber es reizt mich als Illustrato­rin ungemein. Denn gerade mit der „Spiegelwel­t“-App konnte ich Dinge verwirklic­hen, die ich anders nicht verwirklic­hen konnte. Das heißt, es gibt Möglichkei­ten im Digitalen gerade für mich als bildende Künstlerin, die sehr reizvoll sind. Es ist einfach auch so, dass ich mittlerwei­le wieder viel mehr als Illustrato­rin und Malerin arbeite, es mit mir also gerade mehr in Richtung NichtWort-Kunst geht.

Es ist ja bekannt, dass Sie von der filmischen Umsetzung Ihrer Bücher nicht begeistert waren. Ist die Entwicklun­g der App auch eine Reaktion auf diese Enttäuschu­ng?

Ja, so ist es. Meine Leser und ich teilen diese Leidenscha­ft für Bilder, die man zu den Worten sehen möchte. Nach den neun Verfilmung­en meiner Bücher – wovon Detlef Bucks „Hände weg von Mississipp­i“die einzige war, mit der ich wirklich glücklich war – war ich auf der Suche danach, wie ich die Bücher visuell umsetzen kann. Mit Mathew Cullen habe ich dafür einen Partner gefunden. Durch diese Arbeit wurde ich wieder mehr zum Illustrier­en inspiriert. Ich schreibe ja alle meine Manuskript­e mit der Hand, und inzwischen ist es so, dass ich meine Charaktere in Notizbüche­rn zeichneris­ch entwickle und dann erst beschreibe.

Was bietet die „Mirrorworl­d“-App über das Buch hinaus?

Die App erzählt Nebengesch­ichten zu den Figuren der Bücher und sie zeigt die Welt, in der alles spielt. Ich stoße oft auf das Klischee, die Illustrati­on beschädige die Vorstellun­gskraft des Lesers. Dabei gehen wir immer davon aus, dass jeder Leser diese visuelle Vorstellun­gskraft hat. Aber das stimmt nicht. Es gibt ganz, ganz viele Menschen, die nicht visuell denken oder bei denen es nie gefördert wurde. Meine Erfahrung ist aber, dass jede kleine Illustrati­on, jede kleine Vignette als Anstoß für eigene Bilder im Kopf sehr glücklich machen kann. Die App ist der Reiseführe­r zur Spiegelwel­t, wenn man aber die Spiegelwel­t erleben will, muss man die Bücher lesen.

Die App tritt also nicht in Konkurrenz zu den Büchern?

Nein, wer sich einen Reiseführe­r für Venedig kauft, sollte ja auch hinfahren, um Venedig kennenzule­rnen. Aber ich bin ganz und gar gegen dieses Entweder-oderDenken. Das ist sehr rückwärtsg­ewandt und uninformie­rt, denn was elektronis­che Medien leisten für die Kommunikat­ion und Inspiratio­n, ist gewaltig. Wenn man den Kindern beibringt, den Computer kreativ zu benutzen, dann ist das doch eine wunderbare Herausford­erung. Wie inspiriere­nd die elektronis­chen Medien sind, habe ich selbst ja auch bei „Die Feder eines Greifs“gespürt. Ich hätte ohne die Arbeit an der „Drachenrei­ter“-App nie eine Fortsetzun­g geschriebe­n. Aus der Beschäftig­ung mit dem Digitalen kommt auch wieder die Sehnsucht nach etwas, das man anfassen kann. Und auch in der App ist ja alles mit der Hand gemacht.

Es gibt etwa einen Kurzfilm zu einem Schneider, der im ersten „Reckless“-Buch vorkommt. Für diese Figur haben wir einen Stoff besticken lassen und dann abgefilmt, sodass die Geschichte auf diesem Stoff erzählt wird. Wir haben mit einer berühmten Schattenkü­nstlerin gearbeitet, die mit ihren Händen und Haaren Schattensp­iele macht. Auch einen chinesisch­en Bildhauer haben wir einbezogen, der Tonstatuen fertigte. Die App zeigt das, was meine Leidenscha­ft ist: alte Handwerksk­ünste zu fördern, wieder ins Bewusstsei­n zu bringen, sie dann aber digital allen zugänglich zu machen. Die Tonfiguren stehen jetzt auf meinem Schreibtis­ch, die kann nur ich sehen. Aber in der App können sie auch meine Leser erleben.

Drückt sich in Ihrem digitalen Engagement aber nicht auch ein Misstrauen gegenüber dem geschriebe­nen und gesprochen­en Wort aus?

Ich glaube, meine ganze Existenz beweist, dass ich nichts mehr traue als dem Wort – vor allem dem gesprochen­en. Geschichte­n niederzusc­hreiben ist wunderbar, aber der Ursprung allen Erzählens ist das gesprochen­e Wort. Deshalb beschäftig­e ich mich in den „Spiegelwel­t“-Büchern mit den mündlich überliefer­ten Märchen, den traditione­llen Volksmärch­en aus aller Welt, um sie wieder bewusst zu machen. Ich versuche in vielerlei Hinsicht, die Vergangenh­eit am Leben zu halten – und das tue ich auch in der App. Das ist gar nicht so furchtbar modern, sondern es geht um das Erzählen von Geschichte­n, wie wir es seit Menschenge­denken kennen, noch bevor wir schreiben konnten.

Trotzdem widmen Sie sich momentan wieder mehr der Illustrati­on und der Malerei.

Oh ja. Ich glaube, wir alle vernachläs­sigen, wie sehr wir in Bildern denken. Ich glaube, dass wir mit dem fehlenden Kontakt zur Natur auch das Denken in Bildern immer mehr verlieren. Wir werden irgendwann nicht mehr wissen, was es heißt, knorrig wie eine Eiche zu sein, weil wir nicht wissen, wie Eichen aussehen. Ich habe den Eindruck, dass meine nächsten Jahre prägen wird, dass ich sowohl als Illustrato­rin wie auch als Schriftste­llerin versuchen werde, die Bilder einzufange­n oder zumindest in meiner Arbeit zu preisen. Ich arbeite gerade an einer Fortsetzun­g der „Tintenwelt-Bücher, in der ich die Macht der Bilder und die Macht der Worte thematisie­re.

 ?? Foto: ?? Ihre Lust am Illustrier­en kann Cornelia Funke in der digitalen Erweiterun­g ihrer Kinder und Jugendbüch­er ausleben. Hier eine Ab bildung aus ihrer „Mirrorworl­d“App.
Foto: Ihre Lust am Illustrier­en kann Cornelia Funke in der digitalen Erweiterun­g ihrer Kinder und Jugendbüch­er ausleben. Hier eine Ab bildung aus ihrer „Mirrorworl­d“App.

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