Die Ukraine kommt nicht zur Ruhe
Gefechte zwischen Regierungstruppen und Separatisten flammen immer wieder auf. Gleichzeitig löst eine Mordserie an Kommandeuren der Rebellen Spekulationen aus
Die Ostukraine bleibt ein Pulverfass. Seit zwei Jahren sollten eigentlich die Waffen schweigen. Gemäß dem Minsker Abkommen hätten Panzer und schwere Artillerie längst aus der Sicherheitszone ins Hinterland zurückgebracht werden müssen. Aber weder die ukrainischen Regierungstruppen noch die von Russland unterstützten Separatisten hielten sich an diese Auflage.
Deswegen kommt es immer wieder zu tödlichen Gefechten mit schweren Waffen. Die jüngste Eskalation spielte sich vergangene Woche um die kleine Industriestadt Awdijiwka wenige Kilometer nördlich von Donezk ab. Awdijiwka gehört zum von der Kiewer Regierung kontrollierten Gebiet – in der nahen Großstadt Donezk sitzt dagegen die Regierung der selbst ernannten „Volksrepublik“. Mindestens 35 Menschen kamen bei den Gefechten ums Leben. Immerhin hat eine am Wochenende vereinbarte Waffenruhe bisher gehalten.
Wie immer leidet vor allem die Zivilbevölkerung unter den Kämpfen. Sowohl in Awdijiwka als auch in Donezk wurden Wohngebäude von Granaten getroffen. In der Industriestadt Awdijiwka fielen Strom, Wasser und die Fernwärmeversor- gung aus – und dies bei Temperaturen von bis zu minus 18 Grad. Der größte Arbeitgeber am Ort, eine Kokerei, musste wegen Nachschubmangels stillgelegt werden. Reparaturtrupps, die Stromleitungen instandsetzen wollten, wurden beschossen und mussten sich zunächst zurückziehen. Die Zustände wurden unhaltbar, zahlreiche Bewohner wurden in Bussen weggebracht. Am Wochenende trafen dann Hilfslieferungen aus Kiew ein: Vor allem warme Kleidung und medizinische Hilfspakete waren gefragt. Einwohner, die in der Stadt geblieben waren, wurden aus Gulaschkanonen mit warmem Essen versorgt.
Doch Gewalt gibt es im Osten der Ukraine nicht nur in Form von Schießereien und Gefechten. Auch eine mysteriöse Mordserie, von der Kommandeure der Aufständischen betroffen sind, wirft Fragen auf. Gestern starb in Donezk ein Bataillons-Kommandeur der Separatisten, ein 36-jähriger Oberstleutnant, durch eine Explosion in seinem Büro. Am Samstag wurde in Luhansk einer der Militärkommandanten der dortigen „Volksrepublik“durch eine Bombe in seinem Geländewagen getötet. Ein weiterer Bataillons-Kommandeur der Donezker Separatisten war im Oktober im Fahrstuhl seines Wohnhauses durch eine Bombe ermordet worden. Schon zuvor waren mehrere Rebellenführer eines gewaltsamen Todes gestorben.
Über die Motive der Täter wird gerätselt. Drei Theorien sind im Umlauf. Erstens wird von den Separatisten üblicherweise der ukrainische Geheimdienst beschuldigt. Zweitens wird gemutmaßt, die teilweise als „Kriegshelden“gefeierten Kommandeure seien internen Machtkämpfen unter den Separatisten zum Opfer gefallen. Drittens gibt es eine Theorie, wonach Moskau daran interessiert sein könnte, diejenigen Personen zu beseitigen, die einer Umsetzung des Minsker Abkommens – und damit dem möglichen Ende der Sanktionen gegen Russland – im Wege stehen.
Dmitri Peskow, der Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin, sah sich gestern jedenfalls laut der Nachrichtenagentur zu der Erklärung veranlasst, der Kreml habe „absolut und eindeutig“nichts mit den Morden zu tun.