Auf der Suche nach neuen Handelspartnern
Europa und Südamerika wollen in Zukunft nicht mehr nur gegeneinander Fußball spielen, sondern auch mehr Geschäfte miteinander machen. Ein Landsmann von „Beißer“Luis Suárez will „endlich“zum Abschluss kommen
Wer da wohl bei Angela Merkel zu Besuch ist? Die hellblau-weiß gestreifte Flagge mit Sonne, die zwischen Deutschlandfahne und EuroSternenbanner vor dem Bundeskanzleramt im eisigen Wind weht, erkennt ein Fußballfan unter den Passanten auf Anhieb. „Uruguay“, sagt der Mittfünfziger. Im nächsten Atemzug geht es um Luis Suárez, den Nationalstürmer, der bei der WM 2014 den Italiener Chiellini in die Schulter biss. Wer der Präsident der Republik Uruguay ist? „Keine Ahnung“, sagt der Sportfreund im Berliner Regierungsviertel.
Von Tabaré Vázquez, so heißt der Mann an der Spitze des kleinen 3,4-Millionen-Einwohner-Staates, nimmt die Weltpolitik normalerweise kaum Notiz. Heute ist das anders, das politische Berlin misst dem Staatsbesuch des silberhaarigen Grandseigneurs aus Montevideo größte Bedeutung bei. Und das liegt an Donald Trump. Seit der neue US-Präsident angekündigt hat, die bisherigen Regeln des Welthandels umzuwerfen, wird überall auf dem Globus an neuen Handelsbündnissen gestrickt.
Der Mann aus Uruguay ist nach Deutschland gekommen, um dafür zu werben, dass der südamerikanische Binnenmarkt Mercosur „endlich“ein Bündnis mit der Europäischen Union abschließt. „Endlich“, das Wort fällt in seiner Rede vor den Medien mehrfach, denn über engere Handelsbeziehungen und den Abbau von Zollschranken verhandeln die Südamerikaner schon seit 1995 mit Brüssel. Ohne dass es zu einer Einigung gekommen wäre. „Uns verbindet nicht nur die Leidenschaft für Fußball“, begrüßt Bundeskanzlerin Angela Merkel den Gast. Jetzt sei die Zeit gekommen, „in Brüssel die Gespräche über ein Abkommen voranzubringen“. Zentraler Streit- punkt ist, räumt auch Merkel ein, der Zugang für Agrarprodukte aus den Mercosur-Ländern zum europäischen Markt. Als Bremser auf europäischer Seite gilt zudem Frankreich, das wohl Konkurrenz für seine eigenen Übersee-Territorien fürchtet. Auf der lateinamerikanischen Seite blockierte das von fortschreitendem Staatszerfall betroffene Venezuela den Prozess. Doch Venezuelas Mitgliedschaft liegt derzeit auf Eis.
Mercosur, der Markt des Südens, wurde 1991 gegründet und umfasst neben den kleineren Staaten Uruguay und Paraguay auch die wirtschaftlichen Schwergewichte Lateinamerikas, Brasilien und Argentinien. Für europäische Firmen ergäben sich durch eine Partnerschaft mit dem Mercosur künftig möglicherweise sogar noch weitere Marktchancen in Südamerika. Denn auch dort rücken die Staaten, alarmiert durch Trumps Abschottungsrhetorik, plötzlich enger zusammen. Scheiterte eine Mercosur-Erweiterung bislang häufig an nachbarschaftlichen Rivalitäten, die in Südamerika nicht nur auf dem Fußballplatz leidenschaftlich gepflegt werden, hat Trumps Wahlsieg zu ganz neuen Integrationsbemühungen geführt. So könnte etwa der Mercosur am Atlantik künftig enger an Staaten am Pazifik wie Chile, Peru und Kolumbien heranrücken.
Zusammen mit Mexiko hatten Chile und Peru bislang große Hoffnungen in das geplante transpazifische Freihandelsabkommen TPP gesetzt. Dieses sollte ursprünglich die Brücke von Nord- und Südamerika zu asiatischen Staaten wie Japan, Malaysia und Singapur und weiter nach Australien und Neuseeland schlagen. Doch seit Trump die USA als eine seiner ersten Amtshandlungen aus den TPP-Verhandlungen genommen hat, läuft die Suche nach neuen Partnern. China, beim TPP-Prozess bisher außen vor, könnte durch Trumps geplante Abschottungspolitik seine bereits jetzt dominierende Position in Asien weiter stärken. Peking arbeitet seinerseits weltweit an neuen Freihandelsabkommen.
Deutschland und Europa wollen da nicht ins Hintertreffen geraten. Noch, sagt Angela Merkel, sei nicht klar, wie sich die Handelsbeziehungen zu den USA unter Trump entwickeln würden. Unabhängig davon werde verhandelt, „mit Japan, mit Indien, mit Australien und dem Mercosur“. Tabaré Vázquez, der Gast aus Uruguay, lächelt erfreut.