Illertisser Zeitung

Wenn plötzlich die Miet Kündigung kommt

Wohnraum wird zunehmend knapp. Mancher Bewohner muss häufig unvermitte­lt ausziehen, weil Vermieter immer häufiger Eigenbedar­f anmelden. Doch eine Klausel im Recht kann zum Rettungsan­ker werden

- VON BERRIT GRÄBER

Haben Bürger einen unbefriste­ten Mietvertra­g und zahlen sie pünktlich ihre Miete, kann sie niemand so leicht auf die Straße setzen. Auf diesen Rechtsgrun­dsatz bauen Millionen Mieter in Deutschlan­d. Umso größer der Schock, wenn ein Vermieter plötzlich seine Wohnung zurückverl­angt, weil er sie für sich selbst oder Verwandte braucht. Eigenbedar­f ist einer der ganz wenigen Gründe, aus denen vertragstr­euen Mietern überhaupt gekündigt werden darf. In letzter Zeit hat der Joker immer mehr an Bedeutung gewonnen, vor allem in Ballungsrä­umen. Denn: Je knapper der Wohnraum und je teurer die Mieten, desto häufiger benötigen Vermieter ihre Immobilien für sich und Angehörige. Auch Privateige­ntum ist ein Grundrecht, die Familie geht vor. Selbst langjährig­e Mieter müssen dann weichen.

Die Hürden für die schätzungs­weise 40 000 Kündigunge­n wegen Eigenbedar­fs pro Jahr sind generell nicht unüberwind­bar hoch. Mieter haben immer dann schlechte Karten, wenn ihr Vermieter die Immobilie für sich selbst braucht – oder für seine Kinder, Stiefkinde­r, Eltern, Enkel oder Großeltern, für Geschwiste­r, Nichten und Neffen, den Lebenspart­ner, Ehegatten oder für die Schwiegere­ltern. Zulässig ist die Eigenbedar­fskündigun­g auch für Personen jenseits der Verwandtsc­haftsbande, wenn etwa Haushaltsh­ilfen oder Pflegepers­onal für die kranken Eltern untergebra­cht werden sollen und gute Gründe dafür vorliegen. Oder wenn eine Wohnung als Praxis, Kanzlei oder Büro nutzbar ist.

Der Eigentümer muss allerdings gesetzlich­e Fristen beachten: Leben die Mieter bis zu fünf Jahre lang im Haus, haben sie ab Ende des Monats der Kündigung drei Monate Zeit bis zum Auszug. Bei bis zu acht Jahren verlängert sich die Frist auf sechs, nach noch längerer Wohndauer auf neun Monate. Wird ein Mietshaus in Eigentumsw­ohnungen umgewandel­t, greift eine Kündigungs­sperre. Die Mieter dürfen nach dem Verkauf noch drei Jahre, in Ballungsrä­umen wie etwa München noch zehn Jahre bleiben. Erst dann darf der Besitzer eigene Ansprüche geltend machen. Sogar eine Firma kann Eigenbedar­f anmelden, obwohl sie gar keine Familienmi­tglieder hat, urteilte der Bundesgeri­chtshof (Az. VIII ZR 232/15).

„So manchem Mieter bleibt die Sozialklau­sel als letzter Rettungsan­ker“, betont Ulrich Ropertz, Sprecher des Deutschen Mieterbund­s in Berlin. Sie besagt: Ist der Mieter betagt, schwanger, hat er kleine Kinder, kaum Einkommen oder eine schwere Erkrankung, könnte ein Auszug aus der Wohnung für ihn eine Härte bedeuten, die schwerer wiegt als die berechtigt­en Interessen des Vermieters. Will ein Vermieter etwa in München einer langjährig­en, 86-jährigen Mieterin wegen Eigenbedar­fs kündigen, weil er die Wohnung für seinen studierend­en Sohn nutzen möchte, hat er von vornherein kaum Chancen auf Erfolg.

Legt die alte Dame Widerspruc­h gegen die Kündigung ein, weil ein Umzug in eine neue, ungewohnte, teurere Wohnung für sie unzumutbar ist, muss der Vermieter letztlich Räumungskl­age erheben. Das Gericht wägt dann seine und ihre Interessen gegeneinan­der ab. „Im Zweifelsfa­ll schützt die Sozialklau­sel vor der kurzfristi­gen Kündigung“, so Ropertz’ Erfahrunge­n. Und der Sohn des Eigentümer­s muss letzten Endes in den sauren Apfel beißen und sich in München eine Bleibe für viel Geld suchen.

Die Eigenbedar­fskündigun­g sei kein Selbstläuf­er für Vermieter, bestätigt Gerold Happ vom Eigentümer­verband Haus und Grund. „Zieht ein Mieter alle Register, kann er den Auszug sehr, sehr lange rauszögern“, sagt Happ. Selbst wenn die Kündigung nachvollzi­ehbar begründet und formal in Ordnung ist, kann sie im Einzelfall doch ausgeschlo­ssen sein, vor allem in Gegenden mit akuter Wohnungskn­appheit. Der Vermieter hat dann Pech.

Ropertz rät Mietern, die eine Eigenbedar­fskündigun­g auf den Tisch bekommen, sich juristisch beraten zu lassen. Zuerst müsse geprüft werden, ob der Besitzer überhaupt alle Formalien korrekt eingehalte­n habe. Hat ein Vermieter bei Vertragsab­schluss beispielsw­eise nicht darauf hingewiese­n, dass er in absehbarer Zeit selbst einziehen will, kann die Kündigung von vornherein unwirksam sein. Aufgepasst: Ein Widerspruc­h auf eigene Faust, ohne Rechtsschu­tzversiche­rung oder Mietervere­in an der Seite, kommt teuer zu stehen. Kann der Vermieter das Gericht davon überzeugen, dass sein Eigenbedar­f berechtigt ist, muss der Mieter nicht nur ausziehen, sondern auch noch die Kosten des Verfahrens tragen. Beträge von 8000 Euro in der ersten und weiteren 9000 Euro in der Berufungsi­nstanz sind bei einer Kaltmiete von 1000 Euro monatlich keine Seltenheit.

Ist am Eigenbedar­f nicht zu rütteln, sollten Betroffene ruhig um den Auszug verhandeln, empfiehlt Ropertz. Häufig zahlen Eigentümer die Umzugskost­en oder etwa 2000 Euro auf die Hand, wenn ihr Mieter problemlos die Bahn frei macht. Manche bieten auch längere Kündigungs­fristen an oder eine Alternativ­wohnung. Aber Vorsicht: Mietaufheb­ungsverträ­ge, in denen etwa versproche­n wird, dass Mietern die Schönheits­reparature­n erlassen werden, sollten niemals ungeprüft unterschri­eben werden. Wer noch einen alten Mietvertra­g hat, muss laut aktueller Rechtsprec­hung ohnehin oft nichts mehr richten, wenn er auszieht.

Erfährt der Mieter, dass der Eigenbedar­f seines Vermieters nur vorgetäusc­ht war, beispielsw­eise um die Immobilie für mehr Geld neu zu vermieten, kann er auf Schadeners­atz klagen, warnt Happ: „Der Eigentümer hat ihn dann um die Wohnung betrogen.“Ein Mieter kann seinen Ex-Vermieter noch Jahre später als Betrüger entlarven. Dieser muss dann in der Regel für höhere Folgemiete­n, Makler- oder Umzugskost­en zahlen (Az.: VIII ZR 99/14). Ehrlichkei­t kommt billiger.

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Foto: Franziska Gabbert, dpa Wenn der Vermieter für seine Wohnung Eigenbedar­f anmeldet, ist das sein gutes Recht. Trotzdem gibt es Klauseln, die Mieter da vor schützen, auf der Straße zu landen. Gerade Mieter mit kleinen Kindern haben gute Chancen.

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