Wenn plötzlich die Miet Kündigung kommt
Wohnraum wird zunehmend knapp. Mancher Bewohner muss häufig unvermittelt ausziehen, weil Vermieter immer häufiger Eigenbedarf anmelden. Doch eine Klausel im Recht kann zum Rettungsanker werden
Haben Bürger einen unbefristeten Mietvertrag und zahlen sie pünktlich ihre Miete, kann sie niemand so leicht auf die Straße setzen. Auf diesen Rechtsgrundsatz bauen Millionen Mieter in Deutschland. Umso größer der Schock, wenn ein Vermieter plötzlich seine Wohnung zurückverlangt, weil er sie für sich selbst oder Verwandte braucht. Eigenbedarf ist einer der ganz wenigen Gründe, aus denen vertragstreuen Mietern überhaupt gekündigt werden darf. In letzter Zeit hat der Joker immer mehr an Bedeutung gewonnen, vor allem in Ballungsräumen. Denn: Je knapper der Wohnraum und je teurer die Mieten, desto häufiger benötigen Vermieter ihre Immobilien für sich und Angehörige. Auch Privateigentum ist ein Grundrecht, die Familie geht vor. Selbst langjährige Mieter müssen dann weichen.
Die Hürden für die schätzungsweise 40 000 Kündigungen wegen Eigenbedarfs pro Jahr sind generell nicht unüberwindbar hoch. Mieter haben immer dann schlechte Karten, wenn ihr Vermieter die Immobilie für sich selbst braucht – oder für seine Kinder, Stiefkinder, Eltern, Enkel oder Großeltern, für Geschwister, Nichten und Neffen, den Lebenspartner, Ehegatten oder für die Schwiegereltern. Zulässig ist die Eigenbedarfskündigung auch für Personen jenseits der Verwandtschaftsbande, wenn etwa Haushaltshilfen oder Pflegepersonal für die kranken Eltern untergebracht werden sollen und gute Gründe dafür vorliegen. Oder wenn eine Wohnung als Praxis, Kanzlei oder Büro nutzbar ist.
Der Eigentümer muss allerdings gesetzliche Fristen beachten: Leben die Mieter bis zu fünf Jahre lang im Haus, haben sie ab Ende des Monats der Kündigung drei Monate Zeit bis zum Auszug. Bei bis zu acht Jahren verlängert sich die Frist auf sechs, nach noch längerer Wohndauer auf neun Monate. Wird ein Mietshaus in Eigentumswohnungen umgewandelt, greift eine Kündigungssperre. Die Mieter dürfen nach dem Verkauf noch drei Jahre, in Ballungsräumen wie etwa München noch zehn Jahre bleiben. Erst dann darf der Besitzer eigene Ansprüche geltend machen. Sogar eine Firma kann Eigenbedarf anmelden, obwohl sie gar keine Familienmitglieder hat, urteilte der Bundesgerichtshof (Az. VIII ZR 232/15).
„So manchem Mieter bleibt die Sozialklausel als letzter Rettungsanker“, betont Ulrich Ropertz, Sprecher des Deutschen Mieterbunds in Berlin. Sie besagt: Ist der Mieter betagt, schwanger, hat er kleine Kinder, kaum Einkommen oder eine schwere Erkrankung, könnte ein Auszug aus der Wohnung für ihn eine Härte bedeuten, die schwerer wiegt als die berechtigten Interessen des Vermieters. Will ein Vermieter etwa in München einer langjährigen, 86-jährigen Mieterin wegen Eigenbedarfs kündigen, weil er die Wohnung für seinen studierenden Sohn nutzen möchte, hat er von vornherein kaum Chancen auf Erfolg.
Legt die alte Dame Widerspruch gegen die Kündigung ein, weil ein Umzug in eine neue, ungewohnte, teurere Wohnung für sie unzumutbar ist, muss der Vermieter letztlich Räumungsklage erheben. Das Gericht wägt dann seine und ihre Interessen gegeneinander ab. „Im Zweifelsfall schützt die Sozialklausel vor der kurzfristigen Kündigung“, so Ropertz’ Erfahrungen. Und der Sohn des Eigentümers muss letzten Endes in den sauren Apfel beißen und sich in München eine Bleibe für viel Geld suchen.
Die Eigenbedarfskündigung sei kein Selbstläufer für Vermieter, bestätigt Gerold Happ vom Eigentümerverband Haus und Grund. „Zieht ein Mieter alle Register, kann er den Auszug sehr, sehr lange rauszögern“, sagt Happ. Selbst wenn die Kündigung nachvollziehbar begründet und formal in Ordnung ist, kann sie im Einzelfall doch ausgeschlossen sein, vor allem in Gegenden mit akuter Wohnungsknappheit. Der Vermieter hat dann Pech.
Ropertz rät Mietern, die eine Eigenbedarfskündigung auf den Tisch bekommen, sich juristisch beraten zu lassen. Zuerst müsse geprüft werden, ob der Besitzer überhaupt alle Formalien korrekt eingehalten habe. Hat ein Vermieter bei Vertragsabschluss beispielsweise nicht darauf hingewiesen, dass er in absehbarer Zeit selbst einziehen will, kann die Kündigung von vornherein unwirksam sein. Aufgepasst: Ein Widerspruch auf eigene Faust, ohne Rechtsschutzversicherung oder Mieterverein an der Seite, kommt teuer zu stehen. Kann der Vermieter das Gericht davon überzeugen, dass sein Eigenbedarf berechtigt ist, muss der Mieter nicht nur ausziehen, sondern auch noch die Kosten des Verfahrens tragen. Beträge von 8000 Euro in der ersten und weiteren 9000 Euro in der Berufungsinstanz sind bei einer Kaltmiete von 1000 Euro monatlich keine Seltenheit.
Ist am Eigenbedarf nicht zu rütteln, sollten Betroffene ruhig um den Auszug verhandeln, empfiehlt Ropertz. Häufig zahlen Eigentümer die Umzugskosten oder etwa 2000 Euro auf die Hand, wenn ihr Mieter problemlos die Bahn frei macht. Manche bieten auch längere Kündigungsfristen an oder eine Alternativwohnung. Aber Vorsicht: Mietaufhebungsverträge, in denen etwa versprochen wird, dass Mietern die Schönheitsreparaturen erlassen werden, sollten niemals ungeprüft unterschrieben werden. Wer noch einen alten Mietvertrag hat, muss laut aktueller Rechtsprechung ohnehin oft nichts mehr richten, wenn er auszieht.
Erfährt der Mieter, dass der Eigenbedarf seines Vermieters nur vorgetäuscht war, beispielsweise um die Immobilie für mehr Geld neu zu vermieten, kann er auf Schadenersatz klagen, warnt Happ: „Der Eigentümer hat ihn dann um die Wohnung betrogen.“Ein Mieter kann seinen Ex-Vermieter noch Jahre später als Betrüger entlarven. Dieser muss dann in der Regel für höhere Folgemieten, Makler- oder Umzugskosten zahlen (Az.: VIII ZR 99/14). Ehrlichkeit kommt billiger.