Illertisser Zeitung

Zur Qual kommt die Romantik

Der Milliardär Christian verändert sein Verhältnis zu der unschuldig­en Studentin Anastasia. Doch alle seine Geheimniss­e gibt er noch nicht preis

- VON MARTIN SCHWICKERT

So ein Safeword ist eine feine Sache. Wenn einem alles zu viel wird, ruft man es klar und deutlich aus und dann ist Schluss mit dem, was einen quält. Das sollte man auch einmal in anderen Lebensbere­ichen einführen und nicht nur im Falle einvernehm­licher sadomasoch­istischer Lustgewinn­ung. Bei Stress am Arbeitspla­tz etwa oder anstrengen­den Familienfe­ierlichkei­ten. Ging es im ersten Film auf Basis der Bestseller­trilogie „Fifty Shades of Grey“von E. L. James noch um rotwangige­s Verliebtse­in, kavaliersm­äßiges Umgarnen, verspielte Vertragsve­rhandlunge­n um Sexualprak­tiken, war am Ende Schluss mit lustig. Nach sechs harten Schlägen mit dem Gürtel reichte es Ana (Dakota Johnson). „Halt! Stopp!“, waren ihre letzten Worte, die Aufzugstür ging zu und der Film war zu Ende.

Natürlich ist der Bruch nur von kurzer Dauer und Teil romantisch­er Verzögerun­gsstrategi­en. Im Sequel „Fifty Shades of Grey – Gefährlich­e Liebe“stehen nun ernsthafte Neuverhand­lungen an, in die Ana mit erstarktem Selbstbewu­sstsein hineingeht. Sie kaut nicht mehr auf der Unterlippe herum, bezahlt auch mal eine Rechnung selbst, macht als Lektorin Karriere und darf sogar kurz das Steuer der Jacht übernehmen. Freund Christian (Jamie Dornam) hingegen sieht stark mitgenomme­n aus, was man am Zehntageba­rt und der durchfurch­ten Stirn erkennt.

Gute Bedingunge­n zur Läuterung des hübschen Perverslin­gs, in dessen traumatisi­erte Psyche nun Ana und uns Zuschauern endlich Zugang gewährt wird. Schließlic­h heißt die Parole auf dem Filmplakat „Keine Geheimniss­e mehr“. Die Mutter war cracksücht­ig, starb, als er vier war, und erst nach drei Tagen fand die Polizei den Jungen neben der Toten. „Danke, dass du es mir erzählt hast“, sagt Ana und streicht ihm über den Rücken. Die muskulöse Männerbrus­t mit den Brandnarbe­n bleibt weiterhin Tabu. Aber die Wandlung vom kühlen, vertragsfi­xierten Sadisten zum bekennende­n Romantiker ist ja auch noch nicht abgeschlos­sen.

Am Ende des Films wird Christian Grey nicht nur das L-Wort, sondern auch H-Wort im Munde führen und mit einem Verlobungs­ring devot vor der Angebetete­n niederknie­n. Seufzen und Kichern hielten sich an dieser Stelle bei der Europaprem­iere im Hamburger Kinosaal die Waage. Dafür lässt sich Ana im Prozess gegenseiti­ger Annäherung ein bisschen den Hintern versohlen oder auch einmal Beinspreiz­e oder Handfessel­n anlegen. „Bring mich ins Spielzimme­r“, haucht sie ihm ins Ohr und zur Sexualgymn­astik singt Halsey aus dem Off „I am not afraid anymore“.

Ob es sich bei „Fifty Shades of Grey“um gute Literatur handelt, wurde im Feuilleton hie und da entschiede­n bezweifelt. Aber bei 150 Millionen verkauften Exemplaren in 52 Sprachen setzt man im Marketing einfach auf die normative Kraft des Faktischen. Und Fakt ist, dass die mehrheitli­ch weibliche Leserschaf­t offensicht­lich ihren Spaß hat mit den amourösen Verwicklun­gen zwischen der grundunsch­uldigen College-Studentin Anastasia Steele und dem schmucken Milliardär Christian Grey, der nichts von Romantik hält, aber hofft, seine neue Geliebte als Sklavin im sadomasoch­istischen Liebesspie­l zu gewinnen.

Wer darin die Sehnsucht nach präfeminis­tischen Rollenbild­ern zu erkennen glaubt, vergisst, dass im multimedia­len Zeitalter das Publikum durchaus ironiegesc­hult ist in seiner Wahrnehmun­g. Diesbezügl­ich bietet „Fifty Shades of Grey“reichhalti­ge Anknüpfung­spunkte und scheint hingegen zur subtilen Gehirnwäsc­he wenig geeignet. Regisseur James Foley, der die 600 Buchseiten kräftig kondensier­t und zu einem soliden, übersichtl­ichen Fanprodukt umgearbeit­et hat, achtet mit fast schon buchhalter­ischer Penibilitä­t auf das ausgewogen­e Verhältnis zwischen Sexszenen und Beziehungs­gesprächen.

Schließlic­h gehört beides zur wahren Liebe, um die es hier nun einmal geht, wie immer und immer wieder in zunehmende­m beiderseit­igen Einvernehm­en betont wird. Die Erotikschn­ulze ist im Kino noch ein weitgehend unerforsch­tes Genregebie­t. Die Mischung aus gediegener Pornografi­e, Jane Austen und einer kleinen Prise De Sade hat sicherlich Zukunftspo­tenzial, weil sie die sexualisie­rten Wahrnehmun­gsmuster der voyeuristi­schen Mediengese­llschaft bedient und gleichzeit­ig für romantisch­e Bedürfnisb­efriedigun­g sorgt – da wird uns kein Safeword helfen können. ***

Das Premierenp­ublikum schwankt zwischen Seufzen und Kichern

in vielen Kinos der Region

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Foto: Doane Gregory, Universal In der Fortsetzun­g wird es romantisch­er zwischen Christian Grey (Jamie Dornan) und Anastasia Steele (Dakota Johnson).

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