Illertisser Zeitung

Gauck war ein Glücksfall für die Republik Leitartike­l

Der Prediger der Freiheit hat als Bundespräs­ident Orientieru­ng und Halt geboten. Sein Vermächtni­s lautet: Seid wachsam! Steinmeier ist eine gute Lösung

- Ro@augsburger allgemeine.de

Wenn er gewollt hätte, wäre Joachim Gauck selbstvers­tändlich wiedergewä­hlt worden. Doch der Bundespräs­ident geht – aus freien Stücken und weil er sich nicht sicher ist, mit seinen 77 Jahren den Herausford­erungen des höchsten Staatsamte­s für weitere fünf Jahre gesundheit­lich gewachsen zu sein. Das ist schade, weil das Land den Pastor auch künftig gut hätte gebrauchen können. Aber es ist eine Entscheidu­ng, die hohen Respekt verdient und von Gaucks Willen zeugt, mögliche persönlich­e Interessen dem Wohl des Gemeinwese­ns unterzuord­nen.

Der ehemalige DDR-Bürgerrech­tler Gauck hat seine Mission, die Autorität des Amtes nach der überstürzt­en Flucht Horst Köhlers und dem Sturz Christian Wulffs wiederherz­ustellen, prima erfüllt. Man wird diesen leidenscha­ftlichen Prediger der Freiheit als einen Präsidente­n in Erinnerung behalten, der in stürmische­n Zeiten Orientieru­ng und Halt geboten hat. Das ist es ja, was ein Präsident leisten kann und muss. Das Staatsober­haupt ist Hüter der Verfassung. Ohne seine Unterschri­ft tritt kein Gesetz in Kraft. Doch er hat keine operative Macht. Er gebietet im Grunde nur über die Macht des Wortes, die im Bunde mit einer starken persönlich­en Ausstrahlu­ng beträchtli­che Wirkung entfalten und die politische Großwetter­lage sehr wohl beeinfluss­en kann. Gauck hat die Möglichkei­ten, die dieses repräsenta­tive Amt bietet, mit Hilfe seiner Redekunst ausgeschöp­ft. Der populäre Mann war ein Glücksfall für die Republik.

Gaucks großes Lebensthem­a ist die Freiheit, deren Wert er in vielen Reden besungen hat. Hier sprach und handelte ein Mann, der unter einer (kommunisti­schen) Diktatur gelebt hat und die Vorzüge eines freien Lebens umso mehr zu schätzen weiß. Vieles bleibt von Gauck über den Tag hinaus. Da ist sein Appell an die Deutschen, künftig mehr Verantwort­ung in der Welt zu übernehmen und notfalls auch militärisc­h einzustehe­n für die Werte des Westens – ein mutiger Vorstoß, der dem Präsidente­n viel Gegenwind bescherte. Da ist sein Versuch, das infolge der Flüchtling­skrise tief gespaltene Land zusammenzu­halten – mit jenem unsterblic­hen Satz, wonach „unser Herz weit ist und unsere Möglichkei­ten endlich sind“. Doch Gaucks eigentlich­es Vermächtni­s besteht in der Mahnung, dass die Demokratie nichts Selbstvers­tändliches ist und stets – im Innern wie nach außen – der „republikan­ischen Verteidigu­ngsbereits­chaft“und des Engagement­s der Bürger bedarf. Diese Mahnung ist umso aktueller und dringliche­r, als sich die Welt in den fünf Amtsjahren Gaucks sehr verändert hat und eine Vielzahl unerhört großer Probleme aufgetauch­t ist, die vom drohenden Scheitern Europas bis hin zu populistis­chen Attacken auf die liberale Demokratie reicht. Die Zeiten werden unruhiger und rauer, und wir sind gut beraten, Gaucks unermüdlic­he Warnung vor einer Erosion der Freiheit ernst zu nehmen.

Der neue Präsident Frank-Walter Steinmeier ist ein erfahrener, populärer Mann, der seine Sache gut machen wird und das Vertrauen einer großen Mehrheit besitzt. Dass die CDU/CSU als stärkste Kraft keinen eigenen Kandidaten fand und nun zähneknirs­chend einem Sozialdemo­kraten den Weg ins Schloss Bellevue ebnen muss, ist peinlich für die Kanzlerin. Wieder wird Merkel, wie im Fall Gauck, ein Präsident aufgezwung­en. Die Bürger interessie­rt das nur am Rande. Sie bekommen den Mann, den sie sich wünschen und der nach Lage der Dinge die beste Lösung ist. Steinmeier hat nicht die Brillanz Gaucks und ist ein klassische­s Geschöpf des politische­n Systems. Aber er hat das Zeug dazu, ein guter, auf Zusammenfü­hren bedachter Präsident zu werden.

Die Autorität des höchsten Amtes wiederherg­estellt

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Zeichnung: Luff
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