Illertisser Zeitung

Warum wird der Präsident nicht direkt gewählt?

Die Väter und Mütter des Grundgeset­zes wollten kein starkes Staatsober­haupt. Es gab ein abschrecke­ndes Beispiel

- VON WINFRIED ZÜFLE

Die Österreich­erinnen und Österreich­er konnten vor kurzem ihren Bundespräs­identen direkt wählen. Ob die Aktion in der Alpenrepub­lik Vorbildcha­rakter hatte, muss bezweifelt werden: Nach einem schmutzige­n Wahlkampf mussten die Bürger drei Mal zu den Urnen gehen, bis endlich der ehemalige Grünen-Chef Alexander Van der Bellen als Staatsober­haupt feststand. Aber immerhin: Die Bürger der Alpenrepub­lik besitzen ein Recht, das den Deutschen verwehrt ist. Bei uns wird der Bundespräs­ident nur indirekt gewählt, durch die Bundesvers­ammlung.

Die Weichen dafür wurden bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gestellt, und zwar im August 1948 auf der Herreninse­l im Chiemsee. Der Verfassung­skonvent, der dort im Auftrag der Ministerpr­äsidenten der westdeutsc­hen Länder tagte, sollte einen Vorschlag für ein Grundgeset­z erarbeiten. Die Experten zogen Lehren aus dem Niedergang der Weimarer Republik: Ein mit großen Vollmachte­n ausgestatt­etes Staatsober­haupt sollte es auf keinen Fall mehr geben. In der Weimarer Zeit hatte Reichspräs­ident Paul von Hindenburg über Jahre hinweg mit Notverordn­ungen am Parlament vorbei regiert und den Reichstag geschwächt, indem er ihn zweimal auflöste. Am Ende fiel die Macht Adolf Hitler und den Nationalso­zialisten in die Hände, die eine Diktatur errichtete­n.

Deswegen wollten die auf der Herreninse­l versammelt­en Experten dem Staatsober­haupt keine starke Legitimati­on durch eine Direktwahl mehr zugestehen und seine Aufgaben weitgehend auf das Repräsenta­tive beschränke­n. Es wurde sogar erwogen, statt eines Bundespräs­identen ein aus drei Personen bestehende­s „Bundespräs­idium“an die Spitze des Staates zu stellen. Diese Idee wurde aber verworfen. Sie fand auch im Parlamenta­rischen Rat keine Mehrheit, der zwischen September 1948 und Mai 1949 unter dem Vorsitz des späteren Bundeskanz­lers Konrad Adenauer die endgültige Verfassung schuf. Die 66 „Väter“und vier „Mütter“des Grundgeset­zes einigten sich auf einen indirekt gewählten Bundespräs­identen mit wenig Kompetenze­n.

Als Argument gegen die direkte Demokratie wurde in der Nachkriegs­zeit auch auf die „aufhetzend­e“Wirkung von Volksabsti­mmungen verwiesen. In der Weimarer Zeit waren landesweit zwei Volksbegeh­ren erfolgreic­h, die Volksabsti­mmungen zur Folge hatten. Einmal forderte die politische Linke die „Enteignung der Fürstenver­mögen“, das andere Mal wandte sich die Rechte gegen die Zahlung von Reparation­en nach dem YoungPlan. Beide Male war die politische Konfrontat­ion heftig, doch die Abstimmung­en führten zu keinem Ergebnis, weil das nötige Quorum der Ja-Stimmen verfehlt wurde. Dass die Weimarer Republik daran gescheiter­t sei, kann aber niemand ernsthaft behaupten.

Inzwischen wird wieder unbefangen­er über eine Stärkung der direkten Demokratie diskutiert. Es gibt Vorstöße, Volksbegeh­ren und -abstimmung­en, mit denen in den vergangene­n Jahrzehnte­n auf Kommunalun­d Landeseben­e gute Erfahrunge­n gemacht wurden, bundesweit zu ermögliche­n. Und auch die Direktwahl des Bundespräs­identen kommt immer wieder ins Gespräch. Allerdings: Eine Stärkung des Staatsober­hauptes würde den Bundestag und den Kanzler oder die Kanzlerin schwächen. Das Gefüge der Verfassung­sorgane müsste dann neu austariert werden.

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Foto: dpa Regierte am Parlament vorbei: Reichs präsident von Hindenburg.

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