Illertisser Zeitung

Wie der Mensch den Menschen sieht

Der Künstler Herbert Maier aquarellie­rte 500 Porträts aus vielen Kulturen und vielen Jahrtausen­den

- VON RÜDIGER HEINZE World Press

Der Mensch ist ein fesselndes Wesen, in seiner diabolisch­perfiden Ausprägung wie in seinem geistig-schöpferis­chen Vermögen – um mal zwei Extreme zu nennen. Dazwischen liegen Welten und gegen unendlich tendierend­e Nuancen. Und so stellt sich die Frage: Wer sind wir eigentlich?

Ein dicker Bildband liegt auf dem Tisch, fast 600 Seiten. Er stammt von einem der leisen, langsam arbeitende­n, sorgfältig­en Künstler im Land, dem Freiburger Maler Herbert Maier (*1959). Das Buch zeigt 500 akribische Abbildunge­n: bekannte und unbekannte Menschen, berühmte Menschen, Masken, Totenportr­äts, Idole, Reliquien, geläufige Charakterk­öpfe aus der Kunstgesch­ichte. Sie alle einmal geformt oder geschnitzt, fotografie­rt, mumifizier­t oder gemalt. Mal realistisc­h, mal stilisiere­nd, mal abstrahier­end.

Herbert Maier hat sie, diese „Vorbilder“aus 50000-jähriger Menschheit­sgeschicht­e und aus allen Kulturen der Welt, neu gezeichnet, neu aquarellie­rt auf Papier, 30 mal 21 Zentimeter. Wir sehen – wie auf dieser Seite auch abgebildet– das grausam verstümmel­te Mädchen Bibi Aisha aus Afghanista­n, dieses erschütter­nde Foto 2010, wir sehen da Vincis „Dame mit Hermelin“, wir sehen ein Opfer aus dem KZ Buchenwald und den Dramatiker Samuel Beckett.

Wir sehen Kriegsopfe­r und Künstler, Täter, Götter und Könige, Gesunde und Kranke und Plastinate, Adam und Eva, Politiker, Geister und Dämonen, Jäger, Bauern, Priester, auch einen Roboter, usw. usf.

Herbert Maier hat eine Bild-Bibliothek aquarellie­rt – oder wie er es selbst nennt, eine „visuelle Bibliothek“. Er trug über viele Jahre mit Wasserfarb­e – sich selbst und den Betrachter vergewisse­rnd – menschlich­e Abgründe von Signifikan­z und menschlich­en Glanz von Signifikan­z zusammen. Nicht hierarchis­ch, nicht kommentier­t – und doch die Augen öffnend. Er nennt das Konvolut, das weiter anwachsen wird: „Wer wir sind“. Ohne jemals enzyklopäd­isch sein zu können, strebt diese Abfolge darüber, wie der Mensch den Menschen sieht, einen universale­n Charakter an.

Einmal ganz abgesehen davon, dass diese Malerei von altmeister­licher Qualität ist – auch weil sie der Lasur-Technik und damit einem inneren Leuchten zugehört –, verfolgt Maier das künstleris­che Credo eines „Speicherns“von Raum, Geschichte, Zeit. Und diese Malerei speichert – hingebungs­voll im Einzelblat­t, lakonisch in der Gesamtheit – auch Hoffnungsl­osigkeit und Hoffnung.

Wer wir sind. 572 Seiten, gebunden, herausgege­ben vom Museum für neue Kunst (Ausstellun­g bis 26. Februar) und snoeck Verlag, ISBN 978 3 86442 190 – 7,58 Euro

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Neu, mit Wasserfarb­e übersetzt: das afghanisch­e Mädchen Bibi Aisha, da Vincis „Dame mit Hermelin“, ein Opfer des KZ Buchenwald, Samuel Beckett.
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Foto: © H. Maier
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