Illertisser Zeitung

Erst frivol, dann blutig

Dem Theater Ulm gelingt mit der Inszenieru­ng der Oper „Lulu“ein großer Wurf, in dem alles zu einem großen Ganzen wird – Musik, Darsteller, Bühnenbild und Kostüme

- VON DAGMAR HUB

Vor 80 Jahren wurde Alban Bergs zweite und letzte Oper in Zürich uraufgefüh­rt – 18 Monate nach dem Tod des Komponiste­n, der während der Arbeit an „Lulu“überrasche­nd gestorben war. Ein „Neutöner“damals, in Deutschlan­d als „entartet“verpönt. Acht Jahrzehnte später ist die revolution­äre Zwölftonmu­sik zu einem Klassiker der Moderne geworden – und „Lulu“im Grunde zu einem Belcanto des 20. Jahrhunder­ts. Im Großen Haus des Theaters Ulm bringt Matthias Kaiser „Lulu“in der fragmentar­ischen Fassung auf die Bühne, ohne die späteren Versuche, die Oper zu vollenden, dafür mit einer getanzten Interpreta­tion des Geschehens. Ein genialer Wurf, bei dem alles zu einem großen Ganzen wird – Bergs Musik, das Zuschauer auf die Bühne holende Bühnenbild von Detlev Beaujean und die Kostüme von Angela C. Schuett, die die Inszenieru­ng stark ins rot-schwarzwei­ße Bild setzen. Rot wie Blut. Schwarz wie der Tod – und Weiß wie die Unschuld.

Die Warnung empfängt den Zuschauer schon im Foyer: Bei „Lulu“fallen Schüsse. Und die Suppe, be- Pausensnac­k, ist bei „Lulu“rot. Champagner und Paprika sind die Ingredienz­ien. Wie passend! Denn frivol, feurig und blutig geht es zu: Maria Rosendorfs­ky in der Titelrolle ist für ihr männliches Umfeld eine Frau wie Fliegenlei­m: Sie zieht magisch und süß an, und wen sie an sich lockt, der stirbt. Dass Maria Rosendorfs­ky dabei viel Haut und erotisch aufreizend­e Posen zeigt, ist mutig und stimmig. Dass ihre Stimme wie nebenbei die hoch emotionale Zwölftonmu­sik Alban Bergs mit scheinbare­r Leichtigke­it trägt, fasziniert.

Detlev Beaujean macht aus Bühne und Zuschauerr­aum des Großen Hauses ein Zirkuszelt. Zuschauer sitzen ganz nah am Manegenran­d auf der Bühne. Mit den vorgeführt­en Tieren kommt die Schlange, ganz in Rot – jene Schlange, die sich immer dann Lulu nähert, wenn sie eines ihrer Opfer in ihren Bann zieht. Beatrice Panero wirkt als listige Schlange wie ein stummer Zwilling der Lulu, neben der und an der nacheinand­er die diversen Gatten den Tod finden, während die Sinnliche bereits das nächste Opfer umgarnt.

Viel Archaische­s, Symbolhaft­es ist im Spiel, nicht nur im Rollenbild einer moralfreie­n-verderbend­en Eva (wie sich Lulu nennen lässt), die Verführung pur und damit todbringen­d für die triebgeste­uerten Mänliebter nerfantasi­en ist, sondern auch darin, dass alle anderen Figuren einschließ­lich der lesbischen Gräfin Geschwitz (I Chiao Shih), mit der Lulu ebenfalls eine erotische Beziehung eingeht, in Tierfigure­n gedoppelt sind. Eine Anspielung auf ein mittelalte­rliches Weltbild, die Matthias Kaiser nutzt, um in diesen Zirkustier­en (gebändigt von Martin Gäbler als Dompteur) das BallettEns­emble eindrucksv­oll und stumm die Emotionen und Motive der handelnden Personen interpreti­eren zu lassen. Mit viel Einfühlung setzen die Philharmon­iker, unter Leitung von Timo Handschuh, Alban Bergs aufgeladen­e, spannungsr­eiche Musik um.

Am Ende wird die Verruchte selbst Opfer des Spiels mit der Begierde: Nach einem Akt mit der Schlange übernimmt das Tier die Regie und reiht die Männer auf, denen Lulu zu Willen sein muss. Während der starke Applaus lange nicht nachlässt, zieht draußen durchs Foyer inzwischen der Duft von Paprika und Champagner. Ganz im Sinne der Lulu.

Gegen die bürgerlich­e Scheinheil­igkeit

Die nächsten Aufführung­en sind am 12., 16. und 24. Februar sowie am 3., 7., und 10. März.

 ?? Foto: Jochen Klenk ?? „Lulu“(Maria Rosendorfs­ky) lockt die Männer reihenweis­e ins Verderben: Im Großen Haus des Theaters Ulm bringt Matthias Kaiser die gleichnami­ge Oper von Alban Berg mit einer getanzten Interpreta­tion des Geschehens auf die Bühne.
Foto: Jochen Klenk „Lulu“(Maria Rosendorfs­ky) lockt die Männer reihenweis­e ins Verderben: Im Großen Haus des Theaters Ulm bringt Matthias Kaiser die gleichnami­ge Oper von Alban Berg mit einer getanzten Interpreta­tion des Geschehens auf die Bühne.

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