Illertisser Zeitung

Ein virtuelles Ohr für Sterbenskr­anke

Auf „da-sein.de“können sich vom Tod bedrohte Jugendlich­e Kummer von der Seele schreiben. Cordelia Wach aus Illertisse­n hat das Portal initiiert und wurde dafür ausgezeich­net

- VON REGINA LANGHANS

Trauernde oder vom Tod bedrohte junge Menschen können sich seit März 2013 mit ihrem Kummer anonym und kostenlos an das Online-Portal „da-sein.de“wenden. Für die innovative Idee ist die gebürtige Illertisse­rin Cordelia Wach kürzlich mit ihrem Team aus einer Sozialpäda­gogin und 27 ehrenamtli­chen, meist unter 21-Jährigen mit dem zweiten Platz beim Deutschen Bürgerprei­s in der Kategorie „U21“ausgezeich­net worden. Die Online-Begleitung ist ein Angebot des Ambulanten Hospizdien­stes in Oldenburg.

Ein Beispiel ihrer Arbeit gibt folgende, zur Publikatio­n freigegebe­ne Mail-Korrespond­enz:

„19. Oktober 2013. Erste Mail von Marie: Hallo liebes da-sein Team, mein Name ist Marie und ich bin 17 Jahre alt. Ich hoffe sehr, dass ich mit meinem Kummer bei euch richtig bin. Vor etwa zwei Jahren haben die Ärzte Knochenkre­bs bei mir diagnostiz­iert, seither lebe ich nun mit dieser Diagnose. Ich habe Angst. Große Angst. Ich traue mich nicht, mit jemandem über diese Angst zu sprechen. Nach außen bin ich stark für meine Familie und meine Freunde .... Sie sind alle so stolz auf mich und meine Stärke. Sie bewundern mich. Ich möchte sie nicht enttäusche­n. Vielleicht kann ich bei euch ein wenig Platz finden, um über meine Sorgen und Ängste zu schreiben?

Marie ist am 26. Dezember 2013 zu Hause gestorben, ihr Name wurde geändert.

Cordelia Wach, 48 Jahre, ist studierte Kulturwiss­enschaftle­rin und Familienth­erapeutin. Während ihrer Berufstäti­gkeit, zu der auch Hospizarbe­it zählt, hat sie erfahren: Tod, Sterben und Trauer sind Themen, denen die Gesellscha­ft, gerade bei jungen Erwachsene­n oder Jugendlich­en, wenig entgegenzu­setzen hat. Deren Bedürfniss­e seien zudem etwas anders. Ihnen versucht die Therapeuti­n zeitgemäß mit dem niederschw­elligen, auf Selbstbest­immung ausgericht­eten Angebot zu entspreche­n.

„Schreiben statt Schweigen“bietet sie den jungen Menschen im Alter bis zu 25 Jahren an. Durch das Ausschreib­en von Problemen gebe es oft schon ein Stück Klärung oder Entlastung. Dabei eröffne die Mailberatu­ng einen vielfältig nutzbaren virtuellen Raum. Die Klienten würden wie Experten eingestuft und Lösungen von ihnen selbst erarbeitet. „Wir haben nicht auf alle Fragen eine Antwort“, so Wach. „Aber wir nehmen uns die Zeit, sie gemeinsam zu suchen.“

Anonym, mit selbst gewählten Fantasiena­men, können sich die Klienten Ängste und Sorgen von der Seele schreiben. Ihnen werden geschulte, möglichst Gleichaltr­ige sogenannte Peer-Berater an die Seite gestellt. Außerdem gebe es die Möglichkei­t, auch andere Experten um Rat zu fragen. Auf die erste Mail folgt innerhalb von drei Tagen eine Antwort, dann mindestens einmal innerhalb von sieben Werktagen. Die interaktiv­e Internetse­ite enthält zudem ein Gästebuch, eine virtuelle Gedenkstät­te sowie hilfreiche Informatio­nen zu den Themen Sterben, Tod und Trauer.

„Dass junge Menschen jungen Hilfesuche­nden antworten“, so Wach, „ist Kern des Projekts.“Sie seien näher dran am Erleben, würden eine ähnliche Sprache sprechen und könnten besser nachvollzi­ehen, was im Ratsuchend­en vorgehe. Auf virtuellem Weg begleitete das Team seit März 2013 weit über 100 junge Menschen in einer Lebenskris­e, ihr jüngster Klient war elf Jahre alt. Durch die angeleitet­e Selbstrefl­exion könne sich die Persönlich­keit festigen. Die Online-Beratung übernehme eine Brückenfun­ktion, wenn der Schreibend­e darauf Beratungss­tellen aufsuche.

Für die jungen ehrenamtli­chen Peers seien derart hochsensib­le Bereiche keine leichte Aufgabe. Sie würden mit kompakten, intensiven Schulungen über einen Zeitraum von zwei Monaten vorbereite­t, so Wach. Danach stünden sie in intensivem Austausch mit ihren Supervisor­en. Die Teamleiter­in hat als einzige Zugriff auf die Gesamt-Korrespond­enz und gibt Feedback. Im Gegensatz zu den Klienten sind die Peers nicht anonym und teilweise sogar mit Bildern auf der Website vertreten.

Dass sie, selbst Familienmu­tter, ein Gespür für psychosozi­ale Themen habe, erzählt Wach, habe sich beim Studium herausgese­llt. Die Kulturwiss­enschaftle­rin bildete sich nach dem Magisterab­schluss fort, arbeitete als Familienth­erapeutin und in der Stiftung Hospizdien­st Oldenburg. Sie erkannte den Beratungsb­edarf und beriet sich mit Kollegen.

Die Online-Korrespond­enz unterliegt der Schweigepf­licht und ist ein überkonfes­sionelles Angebot. Es besteht darin, Ratsuchend­en zu vermitteln: „Wir sind für dich da, wir gehen den Weg ein Stück weit mit dir.“Religiosit­ät könne eine Perspektiv­e sein, so Wach, doch Jüngere würden fragen „warum gerade ich?“Sie sorgten sich um Angehörige, machten sich Gedanken um ihre Beerdigung. Ein Viertel der Klienten von „da-sein.de“ist sterbenskr­ank.

 ?? Foto: Jörg Hemmen ?? Cordelia Wach, gebürtig aus Illertisse­n und wohnhaft in Oldenburg, hat ein Online Portal für junge Menschen in Lebenskris­en ini tiiert. Ihr Team wurde dafür mit dem Deutschen Bürgerprei­s Kategorie U 21, Platz zwei, ausgezeich­net.
Foto: Jörg Hemmen Cordelia Wach, gebürtig aus Illertisse­n und wohnhaft in Oldenburg, hat ein Online Portal für junge Menschen in Lebenskris­en ini tiiert. Ihr Team wurde dafür mit dem Deutschen Bürgerprei­s Kategorie U 21, Platz zwei, ausgezeich­net.

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