Illertisser Zeitung

Humor ist eine Frage der Haltung

Warum man weder den Fasching lustig finden noch über alles lachen muss, es aber die anderen tun lassen sollte – gerade in Zeiten wie diesen

- Cim@augsburger allgemeine.de

Die Frage, was Humor ist, lässt sich nicht so leicht beantworte­n. Das zeigt sich auch in einer Stellenanz­eige, die ein amerikanis­cher Geheimdien­st geschaltet hat: Gesucht wurden Sprachwiss­enschaftle­r, die den Algorithme­n in Zeiten automatisi­erter Massenüber­wachung beibringen sollten, ernst gemeinte von unernsten Texten zu unterschei­den – eine Herausford­erung, an der Maschinen bislang in den meisten Fällen gescheiter­t sind. Doch man muss gar nicht die binäre Logik irgendeine­s Computerpr­ogramms bemühen, tun sich doch auch Menschen bisweilen schwer mit dem Humor. So kann man sich beispielsw­eise – um im Bild zu bleiben – gut einen mit Trenchcoat und Schlapphut gekleidete­n Herrn vorstellen, der in diesen Tagen einer Kappensitz­ung beiwohnt und sich verzweifel­t fragt, was denn nun daran lustig gemeint sein soll… Okay, das war jetzt ein kleiner Scherz, der jedoch zeigt, dass Humor und Humorverst­ändnis auch etwas zutiefst Individuel­les sind. Und deswegen – Albtraum einer jeden privatwirt­schaftlich­en oder staatliche­n Kontrollin­stanz – so schwer zu identifizi­eren und einzuhegen.

Humor ist gleichzeit­ig aber auch etwas zutiefst Gemeinscha­ftsstiften­des: Noch jeder Witz zielt ja auf das Lachen der anderen ab, und diese Verschränk­ung macht aus ihm so eine ernste Sache. Denn nichts fürchten beispielsw­eise autoritäre Regime oder Herrscher mehr als diese Mischung aus individuel­len, unkontroll­ierbaren, die Gepflogenh­eiten der Standard-Kommunikat­ion unterlaufe­nden Botschafte­n, die dennoch zumindest von einer gewissen Gruppe geteilt und verstanden werden. Das (wenn auch bisweilen notgedrung­en hinter vorgehalte­ner Hand) lachende Kollektiv wird so zu einer Keimzelle der Renitenz und des Widerstand­s. Und so verwundert es nicht, wenn Autokraten wie Recep Tayyip Erdogan bekanntlic­h noch das harmlosest­e Witzchen (und gemeint ist damit nicht Böhmermann) mit allen Mitteln bekämpfen lassen, wie überhaupt Zeiten anzubreche­n scheinen, in denen nach den Niederunge­n mancher „Comedy“mitsamt seiner Hausmeiste­rwitze Humor wieder eine politische­re Rolle zu spielen scheint, als sich das ein Mario Barth je hätte vorstellen können. Das zeigte sich auch auf den gestrigen Rosenmonta­gsumzügen vor allem im Rheinland, wo die Motivwagen so politisch und scharf wie schon lange nicht mehr daherkamen: Trump, Populismus, Nationalis­mus, Islamismus – das sind die vorherrsch­enden Themen dieser Tage, und das sind sie nun auch im Fasching beziehungs­weise Karneval, der ja seit alters dazu dient, Autoritäte­n und Mächtige in Frage zu stellen. Was damals aber ein zeitlich streng begrenztes Ventil war, um das Volk bei Laune zu halten (das so gesehen vor allem deswegen lachte, weil es nichts zu lachen hatte), wird heutzutage zur Dauerübung: sich nämlich auch in diesen Zeiten den Humor nicht nehmen zu lassen. Zumal das in unserer Gesellscha­ft (noch) relativ problemlos möglich ist, auch wenn zuletzt die eine oder andere Auseinande­rsetzung über Satire, aber auch vermeintli­che politische Korrekthei­t und, mehr noch, der Blick in manches Online-Forum nicht nur erschrecke­nd humorlose Denkweisen offenbaren.

Denn in einem ähneln all die Erdogans und Trumps, all die Nationalun­d sonstigen „-ismen“den eingangs erwähnten, humorlosen Maschinen: nämlich in ihrem binären beziehungs­weise manichäisc­hen Freund-Feind-Denken, in das kein Lachen passt.

Man muss also weder den Fasching lustig finden noch über alles lachen, man sollte es die anderen aber lassen. Humor ist manchmal eine Geschmacks-, manchmal gar eine Überlebens­frage, vor allem aber ist Humor: eine Haltung.

Das Volk lachte, weil es nichts zu lachen hatte

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Zeichnung: Haitzinger
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