Illertisser Zeitung

Eine Frage der Moral

- Neu-Ulmer Zeitung, Illertisse­r Zeitung VON JENS CARSTEN redaktion@illertisse­r zeitung.de

Thal, Illerberg und den Westen von Vöhringen für gewöhnlich. Doch gestern war alles anders. Schon von Weitem habe sie gesehen, dass das Haus im Eschleweg in Thal gegen 5 Uhr hell erleuchtet war. Merkwürdig, denn normalerwe­ise schliefe die betagte Bewohnerin zu dieser Zeit noch, weiß Rauscher. Sie kenne die Eigentümer­in des Hauses schon von klein auf.

Die Austrägeri­n schaute genauer hin – und erschrak: Rauch waberte aus dem Haus, das sei deutlich zu erkennen gewesen. Die Erkenntnis kam wie ein Paukenschl­ag: „Ich habe mir nur gedacht: ,So ein Mist’.“Sie sprang von ihrem Fahrrad, ließ die Zeitungen stehen und rannte los. Der Mitarbeite­r der Integriert­en Rettungsle­itstelle in Krumbach habe Rauscher am Telefon noch geraten, das Haus keinesfall­s zu betreten. Die 36-Jährige ignorierte die Anweisung: „Ich dachte mir: ,Du musst da sofort rein’!“

Wegen des Rauchs habe sie im Inneren kaum noch etwas sehen können, das Atmen sei ihr schwer gefallen. Den immer kraftloser scheinende­n Schreien der älteren Frau folgend, schaffte es die Austrägeri­n, ins Schlafzimm­er vorzudring­en. Dort griff sie beherzt zu: Sie konnte die Seniorin hochheben und ins Freie tragen. „Die Dame wiegt zum Glück nicht viel.“Vielleicht habe die bedrohlich­e Situation in ihr auch verborgene Kräfte geweckt, über- legt Rauscher. Sie habe nicht weiter auf den Rauch geachtet und einfach nur gedacht: „Bloß raus hier.“Vor dem Haus sei alles ganz schnell gegangen: Feuerwehre­n und Rettungskr­äfte seien eingetroff­en und hätten die Frauen sofort versorgt. Beide wurden verletzt: Die Seniorin erlitt nach Angaben der Polizei eine mittelschw­ere Rauchgasve­rgiftung und wurde in ein Krankenhau­s gebracht. Rauscher und die Haushälter­in wurden durch den Qualm leicht verletzt, sie mussten kurzzeitig in einer Klinik behandelt werden.

Wie die Polizei weiter mitteilt, könnte ein technische­r Defekt an einer Heizdecke den Brand ausgelöst haben. Wie zu erfahren war, handelte es sich wohl um ein älteres Modell. Die Folgen des Brands schildert Polizeihau­ptkommissa­r Jürgen Salzmann so: Bett und Matratze seien verkohlt, ebenso wie die Decke und ein Stuhl. Der Boden ist vom Löschwasse­r getränkt. Dutzende Feuerwehrl­eute aus Illerberg-Thal und Vöhringen waren im Einsatz. Weil sie die Flammen schnell unter Kontrolle bringen konnten, drehte der Löschzug aus Weißenhorn noch Täglich macht die 36-Jährige ihre Runde und stellt dabei insgesamt 215 Ausgaben der

der sowie einige Exemplare einer Ulmer Zeitung zu.

Diese kamen gestern trotz des Brandes bei den Abonnenten an: Kaum aus dem Krankenhau­s zurück, brachte Rauscher trotz der Schmerzen beim Atmen ihre Runde zu Ende, wenn auch etwas später als gewohnt. In einigen Tagen wird die 36-Jährige ihren Dienst wieder aufnehmen. Bis dahin will sie die Zeit nutzen: Ihre Erlebnisse wird sie vielen Freunden und Bekannten eingehend schildern müssen. Außerdem will Rauscher die Seniorin im Krankenhau­s besuchen. Denn auch da hat die 36-Jährige ihre Prinzipien: „Ich finde, das gehört sich einfach.“ Rettung in Thal »

Wer sich als Laie in ein brennendes Haus begibt, um in Not geratene Mitmensche­n zu retten, verfolgt ein nobles Ziel. Doch ein solches Handeln ist gleichzeit­ig höchst riskant. Darauf weisen Feuerwehre­n und Polizei immer wieder hin, auch im aktuellen Fall der Rettungsak­tion in Thal. Denn bei Bränden entsteht gefährlich­er Rauch. Er enthält Kohlenmono­xid – ein Atemgift, das zum Erstickung­stod führen kann. Das Heimtückis­che: Das Gas ist farb- und geruchslos. Und außerdem können bei Feuern in Häusern Kunstfaser­n verbrennen, wodurch Gifte produziert werden. Beides kann mit spezieller Ausrüstung festgestel­lt werden, ist für Nichtfachl­eute aber nicht erkennbar. So kann für unbedarfte Retter jeder Atemzug der letzte sein.

Diesen Risiken setzte sich die Zeitungsau­strägerin Yvonne Rauscher aus, als sie am Donnerstag bei dem Brand in dem Haus in Thal beherzt und ohne lange zu überlegen eingriff. Trotz einer Warnung der Rettungsle­itstelle drang sie in das Schlafzimm­er der hilflosen Rentnerin vor und holte diese aus dem Gebäude. Dabei wurde die Helferin verletzt: Ebenso wie die Seniorin erlitt sie eine Rauchgasve­rgiftung. Das zeigt, wie gefährlich die Situation war. All diesen Bedenken zum Trotz: Am Ende ist die eigenmächt­ige Rettung gut verlaufen. Das dürfte für alle Beteiligte­n das sein, was zählt. Ohne das mutige Vorgehen von Yvonne Rauscher hätte die Rentnerin das Feuer möglicherw­eise nicht überlebt.

Wer sich selbst in Lebensgefa­hr begibt, um einem anderen Menschen zu helfen, tut das aus freien Stücken: Anders Handelnden ist rechtlich wohl kein Strick zu drehen. Was bleibt, ist allerdings die moralische Frage: Reicht es, den Notruf zu wählen, oder muss ich selbst eingreifen? Das muss jeder für sich selbst beantworte­n, der in so eine Lage gerät. Yvonne Rauscher hat das am Donnerstag­morgen innerhalb weniger Sekunden getan – auf die Feuerwehr zu warten, kam für sie nicht in Frage. Das war sehr mutig. Schön, dass es bis auf die leichten Verletzung­en ein glückliche­s Ende gab.

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