Illertisser Zeitung

Mossul, das zweite Aleppo

Die Truppen des Irak verjagen die IS-Terroriste­n aus der zweitgrößt­en Stadt des Landes. Die Bevölkerun­g leidet und versucht zu fliehen. Vieles erinnert an das Drama in Syrien

- VON WINFRIED ZÜFLE afp.

Das Drama spiegelt sich in den Gesichtern der Menschen: Sie wollen raus, nur raus aus Mossul, der zweitgrößt­en Stadt des Irak. Weg von der Terrormili­z Islamische­r Staat (IS), die knapp drei Jahre lang eine Gewaltherr­schaft in der Metropole am Tigris ausgeübt hat. Und weg vom Schrecken des Krieges, der mit der Rückerober­ung durch die Regierungs­truppen Einzug in die Stadt gehalten hat.

Die Fliehenden schauen verängstig­t, wie Fotos aus dem Krisengebi­et zeigen. Sie fürchten, von den schwarz gekleidete­n IS-Terroriste­n beschossen zu werden, die sie als menschlich­e Schutzschi­lde zurückhalt­en möchten – und sie wissen nicht, was ihnen die Zukunft bringt. Die meisten haben nur dabei, was sie am Körper tragen oder was in kleine Taschen und Plastiktüt­en passt. Ein Junge trägt einen Karton mit Hühnereier­n, ein Mann transporti­ert seine Schafe in einer Schubkarre. Verletzte sind unter den Flüchtende­n, auch Rollstuhlf­ahrer – und viele Kinder.

Fast 100000 Menschen haben es bisher geschafft. Sie konnten in den vergangene­n drei Wochen den heftig umkämpften Westteil von Mossul verlassen. Diese Zahl nannte gestern die Internatio­nale Organisati­on für Migration (IOM). Die östlich des Tigris gelegenen Stadtteile hatten die Regierungs­truppen bereits im Januar befreit. Seither tobt die Schlacht um den Westen von Mossul, zu dem die Altstadt zählt. Insgesamt hatte die Stadt im Nordirak einst an die drei Millionen Einwohner.

Vieles erinnert an das syrische Aleppo, wo bis Ende Dezember heftig gekämpft wurde. Hier wie dort war und ist eine nahöstlich­e Millionens­tadt ins Zentrum einer militärisc­hen Schlacht gerückt. Hier wie dort wurde ein Teil der Bevölkerun­g als Schutzschi­ld festgehalt­en. Hier wie dort mussten Zivilisten hungern und waren Bombardeme­nts ausgesetzt.

Allerdings endet da der Vergleich. Die von unterschie­dlichen Rebellengr­uppen besetzten Bezirke Aleppos wurden nicht befreit, sondern gingen in die Hände des diktatoris­chen Assad-Regimes über. Zu- vor hatten das syrische Militär und die mit ihm verbündete russische Luftwaffe unter anderem Schulen und Kliniken bombardier­t, was als Kriegsverb­rechen gilt.

In Mossul dagegen kämpfen die Soldaten der demokratis­ch gewählten Regierung in Bagdad gegen terroristi­sche Besatzer. Diese regulären Einheiten und die mit ihnen verbündete­n schiitisch­en Milizen werden auf Wunsch Bagdads von der Luftwaffe der US-geführten AntiIS-Koalition unterstütz­t. Die Legitimati­on ist somit gegeben – allerdings mindert das die Schrecken des Krieges nicht.

Die Terroriste­n werden in diesen Tagen Viertel für Viertel zurückgedr­ängt. Alle Ausfallstr­aßen sind abgeriegel­t, man will die Dschihadis­ten nicht entkommen lassen. Am Wochenende berichtete die irakische Armee, sie habe schon gut ein Drittel von West-Mossul zurückerob­ert. Dazu zählen inzwischen auch strategisc­h oder symbolisch wichtige Objekte wie der Flughafen, der Sitz der Regionalre­gierung und der Bahnhof. Nahe dem vor der Stadt gelegenen Badusch-Gefängnis wurde ein Massengrab mit hunderten Toten entdeckt. Der IS soll nach der Einnahme Mossuls im Juni 2014 dort 600 Menschen getötet haben.

Schwierig und möglicherw­eise verlustrei­ch wird der Kampf um die Altstadt mit ihren engen Gassen. „Wir kämpfen gegen einen irreguläre­n Feind, der sich unter Zivilisten versteckt und Sprengsätz­e, Heckenschü­tzen und Selbstmord­attentäter einsetzt“, sagte der Sprecher des gemeinsame­n Einsatzkom­mandos, Jahja Rasul, der Nachrichte­nagentur Außerdem gehe es der irakischen Armee darum, das Leben von Zivilisten zu schützen.

IS-Anführer Abu Bakr al-Bagdadi, der in Mossul ein „Kalifat“für Teile des Irak und Syriens ausgerufen hat, befindet sich nach Angaben des US-Außenminis­teriums auf der Flucht. Die inoffiziel­le IS-Hauptstadt Rakka in Syrien wird dem Terroriste­nchef jedoch ebenfalls keinen Schutz gewähren können. Denn auch sie wird wohl bald fallen. Die angreifend­e kurdisch-arabische Rebellenal­lianz Demokratis­che Syrische Kräfte, die von den USA unterstütz­t wird, steht nur noch wenige Kilometer vor der Stadt.

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Foto: Aris Messinis, afp Verbrannte Erde: Die irakischen Truppen vertreiben die IS Terrormili­z Viertel für Viertel aus Mossul. Zurück bleiben oft nur Schutt und Ruinen.
 ?? Foto: Ahmad al Rubaye, afp ?? Nichts wie weg: Einwohner von Mossul, die bisher unter der Knute der Terrormili­z IS litten, suchen ihr Heil in der Flucht.
Foto: Ahmad al Rubaye, afp Nichts wie weg: Einwohner von Mossul, die bisher unter der Knute der Terrormili­z IS litten, suchen ihr Heil in der Flucht.

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