Illertisser Zeitung

Zur rechten Zeit

Heutzutage passen sich die meisten Uhren automatisc­h der Sommerzeit an. Früher war das anders. Ein Fachmann erklärt, wie es an Kirchtürme­n funktionie­rte

- VON FRANZISKA WOLFINGER

In Großstädte­n wie Berlin oder New York dominieren längst Wolkenkrat­zer und Funktürme das Erscheinun­gsbild. Auf dem Land sind es die Kirchtürme, die oft schon von Weitem sichtbare Wahrzeiche­n der Orte sind. Und mit ihnen die Turmuhren. Auch die müssen ab Sonntag eine Stunde vorgestell­t werden, denn es beginnt die Sommerzeit. Das sei heutzutage aber kein Problem mehr, sagt der Illertisse­r Pfarrer Andreas Specker. Da müsse niemand mehr auf den Turm hochsteige­n. „Wir haben eine moderne Funkuhr, die das von ganz alleine macht“, sagt er. Auch in der Neu-Ulmer Petruskirc­he regelt eine Funkuhr die Zeitumstel­lung automatisc­h, erklärt Dekanin Gabriele Burmann.

Gordian Meinrad Pechmann ist ein Fachmann, wenn es um Uhren geht. „Ab 1990 wurden in den Kirchtürme­n die ersten Funkuhren eingebaut“, sagt der 60-Jährige, der einer der letzten Kirchturmu­hrenbauer Deutschlan­ds ist. Heute sei das Standard. Pechmanns Firma wurde 1862 gegründet. Seither ist das Unternehme­n in der Hand der Familie. Daher weiß Pechmann auch, dass es früher tatsächlic­h etwas schwierige­r war, die Uhren am Laufen zu halten. „Die Gewichte mussten jeden Tag neu aufgezogen werden“, erklärt der Uhrenbauer. Und das ging damals nur oben im Turm. Heute ist die Kirche in Raunertsho­fen, das zur Gemeinde Pfaffenhof­en gehört, die einzige, deren Uhr noch von Hand aufgezogen werden muss.

Früher hätten meist der Messner oder der Dorflehrer das Aufziehen der Turmuhr übernommen, sagt Pechmann. Beide hätten in ihrem eigentlich­en Beruf nicht viel ver- dient. Für das Uhraufzieh­en zahlten manche Kirchengem­einden laut Pechmann jedoch bis zu einer Mark am Tag. „Da war das ein willkommen­es Zubrot.“

Auch für die Uhrumstell­ung waren diese Männer dann verantwort­lich. Die ersten Bemühungen eine Sommerzeit in Deutschlan­d einzuführe­n, habe es bereits im 19. Jahrhunder­t im Zuge der Industrial­isierung unter Reichskanz­ler Otto von Bismarck gegeben, erklärt Pechmann. Ziel war es, die Arbeitslei­stung in den Fabriken zu steigern. Im Dritten Reich wurde diese Idee dann erneut aufgegriff­en. Das Zeitsystem, wie es heute ist, gibt es seit den 1980er-Jahren. Bis zu den 1960ern musste das Umstellen der Kirchturmu­hr von Hand erledigt werden. Zum Vorstellen auf die Sommerzeit musste an der Zeigerleit­ung gedreht werden, bis die Zeiger in der richtigen Position standen. Um die Uhr auf die Winterzeit zurückzust­ellen, wurde das Pendel für eine Stunde angehalten. Leichtsinn­igerweise habe Pechmann einem Messner einmal empfohlen, diese eine Stunde Wartezeit, bis das Pendel wieder angeschubs­t werden muss, bei einem Bier im Wirtshaus zu überbrücke­n. Weil aus einem Bier wohl doch ein paar mehr wurden, stand die Uhr Pechmann zufolge am nächsten Morgen noch still.

Inzwischen gibt es sogenannte Pendelhaup­tuhren, die die passende Zeit auf elektrisch­em Weg zur Turmuhr leiten.

Außerdem laufen in fast allen Kirchen zentrale Steueruhre­n in der Sakristei. Sie bekommen die genaue Uhrzeit über Funk in Mainflinge­n von der Physikalis­ch-Technische­n Bundesanst­alt in Braunschwe­ig vermittelt. Zudem steuern diese Uhren aus der Sakristei den Glockensch­lag sowie das Gebetsläut­en.

Die Zeitumstel­lung – kurz und knapp

 ?? Foto: Wolfinger ?? Dieses Modell hat Turmuhrenb­auer Gordian Meinrad Pechmann gebaut. Es besteht aus unglaublic­h vielen Zahnrädern.
Foto: Wolfinger Dieses Modell hat Turmuhrenb­auer Gordian Meinrad Pechmann gebaut. Es besteht aus unglaublic­h vielen Zahnrädern.

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