Zerbröselt Einsteins Erbe in Ulm?
Vom Geburtshaus des Physik-Genies sollen nun doch keine ganzen Mauern erhalten bleiben. Teile der Überreste könnten außerdem zerstört werden. Dagegen regt sich jetzt Protest
Die Überreste des Geburtshauses von Albert Einstein in Ulm bleiben für immer für die Nachwelt erhalten – zumindest auf Bildern auf dem Computer. Denn sie wurden kürzlich mit einem Laserscanner vermessen und ausführlich dokumentiert. Was mit den echten Mauern passiert, steht hingegen noch nicht im Detail fest. Die Zeit allerdings drängt. Die Arbeiten auf der 200-Millionen-Euro-Baustelle für das Einkaufsquartier Sedelhöfe müssen weiter gehen. Beschlossene Sache ist, dass die Einstein-Mauern geborgen und zwischengelagert werden. Ursprünglich geplant war, dass ganze Mauerstücke aus der Baugrube herausgehoben werden. Davon rät ein von den Investoren beauftragter Gutachter ab. Daher sollen jetzt stattdessen einzelne Steine herausgeholt und auf Paletten gestapelt werden. Man müsse allerdings damit rechnen, dass einige Steine kaputt gehen und nicht erhalten werden können, heißt es vonseiten der Stadt. Dagegen regt sich jetzt Protest.
Stadtrat Hans-Walter Roth (CDU) ist aus allen Wolken gefallen, als er am Donnerstag von der Bauverwaltung über die Kehrtwende informiert wurde. Noch am Montag in der Sitzung des Einstein-Arbeitskreises sei klare Vorgabe gewesen: Die Mauern bleiben erhalten, der Boden wird gesichert, die Überreste des Geburtshauses können später an anderer Stelle wieder aufgebaut werden. Doch nun heißt es: Die Mauerscheiben in ganzen Stücken herauszuschneiden sei nicht sinnvoll. Nach Einschätzung des von DC Development eingeschalteten Restaurators würde der Mörtel draußen wegen der fehlenden Erdfeuchte trocknen, die Mauerstücke würden daher zerbröseln oder zumindest in Einzelteile zerfallen. Außerdem wäre die Sicherung der Mauern für den Transport und das Herausheben aus der Grube aus Sicht der Verwaltung zeitaufwendig und (zu) teuer. Diesen zusätzlichen Aufwand und die Kosten für den Stillstand auf der Baustelle würde DC der Stadt in Rechnung stellen. Deshalb soll nun die preisgünstigere Variante gewählt werden: Einzelsteine werden abgelöst und herausgeholt, mit dem Risiko, dass dabei was kaputt geht. Auch auf eine Nummerierung der Einzelsteine soll verzichtet werden.
„Mir scheint, dass die Stadtverwaltung noch immer nicht begriffen hat, dass es sich bei den Mauern des Geburtshauses von Albert Einstein nicht um irgendeine Bauruine, sondern um ein Juwel unserer Stadtgeschichte handelt“, reagierte HansWalter Roth in einem Brief an Oberbürgermeister Gunter Czisch. sei ein Frevel, wie jetzt mit dem Projekt umgegangen werden soll. „Für mich steht fest, dass die Bauruine in ihrer dreidimensionalen Form erhalten werden kann und muss“, so der Stadtrat. Er beantragte, unverzüglich eine Sitzung des Arbeitskreises einzuberufen. Außerdem soll der Gemeinderat über das weitere Vorgehen abstimmen. „Wir müssen das jetzt retten. Da gehe ich keinen Schritt zurück“, bekräftigte Roth gegenüber unserer Zeitung. Verwundert über den Vorstoß der Verwaltung zeigte sich auch Martin Rivoir (SPD): „Man kann heute ja ganze Pharaonenfiguren versetzen, da muss das doch mit ein paar Mauerstücken möglich sein.“
„Man muss aufpassen, dass man nicht übertreibt“, entgegnete Oberbürgermeister Gunter Czisch. „Wir haben hier keine antike Grabungsstätte. Die Steine haben eher ideellen Charakter.“Deshalb gelte es, angemessen und sensibel damit umzugehen. Doch die Aussagen des Gutachters seien nun mal eindeutig. „Man kann die Gesetze der Physik nicht aufheben. Der Mörtel zerbröselt halt.“Wichtig sei, zu klären, wie die einzelnen Steine später ausgestellt und präsentiert werden. Im Ältestenrat soll das Thema am MonEs tag erneut diskutiert werden. Bereits nächste Woche soll mit dem Abtransport der Einstein-Mauern begonnen werden. Insgesamt bis zu 60 Tonnen Gestein werden aus der Baugrube geholt. Baubürgermeister Tim von Winning räumt ein, dass es durchaus möglich wäre, die zersägten Mauerstücke im Verbund abzutragen und später an einem anderen Ort künstlich zu befeuchten, damit der Mörtel nicht zerfällt. Allerdings wäre das mit einem immensen Aufwand verbunden. „Es ist eine Abwägungssache“, so der Baubürgermeister. Er findet: „Der Aufwand ist es nicht wert.“