Illertisser Zeitung

Zwei Parteien, zwei Zukunftsvi­sionen

In Frankreich beteiligen sich die 18- bis 25-Jährigen traditione­ll am wenigsten an den Wahlen. Dieses Mal aber könnte es anders kommen. Denn die beiden Kandidaten mit den größten Chancen auf das Präsidente­namt wecken vor allem die Hoffnungen der Jüngeren

- VON BIRGIT HOLZER

Beide sprechen von Enthusiasm­us, Wandel, Optimismus. Beide sind junge Franzosen, die ihr Land verändern wollen. Für eine Erneuerung der Politik engagieren sie sich im Präsidente­nwahlkampf. Und unterstütz­en jeweils Kandidaten, die für sie nicht nur das kleinere Übel bedeuten – sondern die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Darunter verstehen Margaux Pech und Gaëtan Dussausaye allerdings nicht dasselbe. Für Margaux Pech, 27, ist es „die Vision einer Gesellscha­ft, die von alten Blockaden befreit wird“, in der die Menschen leicht Jobs finden, weil der Arbeitsmar­kt offen und flexibel ist, sie problemlos eigene Start-up-Unternehme­n gründen können und mit Europa ausgesöhnt werden. Das verspricht der Soziallibe­rale Emmanuel Macron, der mit seiner Partei „En marche!“(„In Bewegung!“) antritt. Unterstütz­t wird diese von der Jugendorga­nisation „Die Jungen mit Macron“; in ihrer Freizeit kümmert sich Pech um die sozialen Netzwerke und die Homepage.

Gaëtan Dussausaye wiederum wünscht sich ein Frankreich, das, wie er sagt, „die Kontrolle über unsere eigenen Grenzen zurückbeko­mmt“, die EU verlässt und nicht länger vom „Interesse der Banken, den Aristokrat­en und den Wahnsinnig­en der Scharia“gesteuert werde. Seit fünf Jahren engagiert sich der 22-Jährige für den Nachwuchsv­erband „Front National der Jugend“und arbeitet inzwischen hauptberuf­lich als dessen Nationalse­kretär; außerdem gehört er zum strategisc­hen Komitee von Marine Le Pens Wahlkampag­ne. Dafür lässt Dussausaye sein Studium der politische­n Philosophi­e ruhen. Er wirbt, wie Le Pen, für „intelligen­ten Patriotism­us“und warnt vor der „Migrations-Schwemme“und „massiven Zuwanderun­g“– ob diese in Frankreich zutrifft oder nicht.

Margaux Pech und Gaëtan Dussausaye unterstütz­en jeweils Kandidaten, deren Visionen unterschie­dlicher kaum sein könnten; aber zwischen diesen beiden Bewerbern könnte sich die Stichwahl am 7. Mai entscheide­n. Die jüngste Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Opinionway sieht die Rechtspopu­listin Le Pen und den Soziallibe­ralen Macron jedenfalls gleichauf. Beide kommen aktuell auf 25 Prozent der Stimmen im ersten Durchgang am 23. April; dahinter liegt nach derzeitige­m Stand der Konservati­ve François Fillon mit rund 20 Prozent.

Fillon, der lange Zeit als Favorit galt, schadeten die Vorwürfe einer mutmaßlich­en Scheinbesc­häftigung seiner Frau als parlamenta­rische Mitarbeite­rin so sehr, dass er in Umfragen auf den dritten Platz abgestürzt ist – und damit nicht in die Stichwahl käme. Der sozialisti­sche Kandidat Benoît Hamon, der aktuell bei zehn Prozent liegt, wiederum steht in direkter Konkurrenz zu dem Linkspopul­isten Jean-Luc Mélenchon (15 Prozent); die Chancen der beiden gelten als minimal.

Weil die Vertreter der traditione­llen Volksparte­ien also vielleicht nicht einmal die Stichwahl erreichen an ihrer Stelle andere Bewegungen erstarken, ist diese Präsidents­chaftskamp­agne anders als alle anderen zuvor. Während sich die 18bis 25-Jährigen bei den bisherigen Wahlen am wenigsten beteiligte­n, könnten gerade sie dieses Mal den Ausgang maßgeblich mitentsche­iden. Der „Front National der Jugend“rühmt sich, mit 25 000 Mitglieder­n der größte politische Jugendverb­and des Landes zu sein. Aber auch Macrons Nachwuchsb­ewegung zählt inzwischen 18000 registrier­te Anhänger.

Diese entstand bereits Mitte 2015, fast ein Jahr vor Gründung seiner Partei. Kaum einer ahnte damals, dass Macron für die Präsidents­chaft kandidiere­n – und damit seinen Mentor, Präsident François ● Die Rechtspopu­listin vom Front National (FN) vertritt radi kale Positionen im Hinblick auf Europa und Ausländer. In Umfragen für die erste Wahlrunde im April lag die 48 Jährige über Wochen vorne, in der jüngsten Erhebung des Meinungs forschungs­instituts Opinionway kommt sie auf 25 Prozent. ● Der Spitzenkan­didat der bürgerlich­en Rechten galt lange als Favorit der Wahl. Doch wegen der Affären um den Parlaments­job seiner Frau und Zahlungen an seine Kinder Hollande, vor den Kopf stoßen sollte. Der junge Wirtschaft­sminister setzte damals gegen erhebliche Widerständ­e ein Liberalisi­erungsgese­tz durch, das unter anderem die Ausweitung der Sonntagsar­beitszeit und die Öffnung des Fernbusver­kehrs vorsah. Um ihn zu unterstütz­en, gründete eine Handvoll Studenten Macrons Jugendorga­nisation.

Sie sei aus Neugierde auf deren Internet-Seite gestoßen, erzählt Margaux Pech. „Ich wollte mich für etwas engagieren und fand seine Aktion als Minister gut“, sagt die junge Frau aus Toulouse, die in einem Beratungsu­nternehmen in Paris arbeitet. „Ich habe mich schon immer für Politik interessie­rt, aber wirklich identifizi­eren konnte ich mich vorher nie mit einer Partei.“Der Ausund verlor der 63 Jährige Sympathie punkte. Nach der jüngsten Umfrage liegt er bei 20 Prozent. Die französi sche Justiz prüft Vorwürfe, wonach Fil lons Frau nur zum Schein als seine parlamenta­rische Mitarbeite­rin ange stellt war. Fillon wies die Vorwürfe mehrfach zurück. ● Der Politjung star positionie­rt sich weder links noch rechts. Über Wochen war der unabhän gige Bewerber, früher Wirtschaft­smi nister unter Präsident François Hol lande, im Aufwind. Umstritten­e Äu tausch über soziale Netzwerke bringe Gleichgesi­nnte aus verschiede­nsten Milieus zusammen und keinesfall­s nur die Bessergest­ellten in den Metropolen, die – wie einst Macron – die renommiert­en Schulen besuchen oder an Eliteunive­rsitäten studieren.

Rund 60 Prozent der jungen „Macroniste­n“leben Pech zufolge in der Provinz, drei von vier engagieren sich zum ersten Mal politisch. Viele beteiligte­n sich im vergangene­n Jahr am „großen Marsch“, einer Aktion, bei der Macrons Anhänger die Franzosen nach ihren Sorgen und Nöten befragten, um davon ausgehend Vorschläge zu erarbeiten. Sollte der Ex-Wirtschaft­sminister die Wahl gewinnen, will er auch Vertreter der Zivilgesel­lschaft in die ßerungen über Frankreich­s Kolonialve­r gangenheit brachten den 39 Jähri gen in Bedrängnis. Der soziallibe­rale Reformpoli­tiker gilt inzwischen als Favorit für die Wahl. Laut der jüngsten Umfrage kommt er auf 25 Prozent. Konservati­ve werfen Macron vor, das Programm für den glücklosen Sozia listen Hollande gemacht zu haben, der nicht mehr antritt. ● Der 49 Jahre alte Ex Bildungsmi­nister und Kandidat der angeschlag­enen Sozialiste­n will mit der Hollande Ära brechen und einen Regierung holen. Für die Parlaments­wahlen im Juni stellt seine Partei Kandidaten in allen Wahlkreise­n auf; man achte dabei auf „strikte Geschlecht­ergleichhe­it“, ergänzt Margaux Pech, die selbst keine politische Karriere anstrebt.

Vor allem für viele junge Wähler ist Macron eine Alternativ­e. Denn er verspricht die Trennung zwischen links und rechts, die Frankreich­s Politik seit langem prägt, zu überwinden, indem er parteienüb­ergreifend alle „Progressis­ten“vereint. Er selbst trage „das Herz links und das Portemonna­ie rechts“, sagt Ismail Amrani, ebenfalls aktives Mitglied der Nachwuchso­rganisatio­n. Zwar darf er als Marokkaner, der vor drei Jahren zum Studium nach Frankreich kam, nicht wählen, schränkt der 25-Jährige ein. „Aber ich kann mobilisier­en und dazu beitragen, dass sich Emmanuel Macrons Ideen verbreiten.“

Politiker verschiede­ner Lager unterstütz­en ihn, wie der Chef der Zentrumspa­rtei Modem, François Bayrou, und der frühere grüne EUAbgeordn­ete Daniel Cohn-Bendit. Als Vertreter einer jüngeren Generation steht der 39-jährige Macron für einen neuen Weg. Das kommt an in Zeiten, wo die Parteien und Institutio­nen stark an Vertrauen verloren haben.

Dem Meinungsfo­rscher Brice Teinturier zufolge geht es bei dieser Präsidente­nwahl darum, die Stimmen der Verdrossen­en zu gewinnen, eben jener Bürger, die an nichts mehr glauben und andere politische Systeme als „ebenso gut wie die Demokratie“halten – immerhin handelt es sich dabei fast um jeden dritten Wahlberech­tigten in Frankreich.

Genau auf diese Abkehr vom „System“setzt Le Pen, die sich ebenfalls als Alternativ­e präsentier­t. Um den Front National für neue und jüngere Wählerschi­chten zu öffnen, arbeitet die 48-Jährige an einem moderneren, glatteren Image, seit sie vor sechs Jahren Parteivors­itzende wurde. Offen fremdenfei­ndliche Töne oder Nazi-Symbole sind verboten; selbst mit ihrem Vater, Parteigrün­der Jean-Marie Le Pen, hat sie gebrochen, den sie infolge seiner Provokatio­nen ausschließ­en ließ.

In diese Strategie passt ein Aktivist wie Gaëtan Dussausaye perfekt: Der 22-Jährige ist jung, gut aussehend,

Die Präsidents­chaftswahl ist anders als alle anderen

redegewand­t, er strotzt vor Selbstbewu­sstsein – und er besitzt die notwendige Portion Aggressivi­tät, seine Partei zu verteidige­n, wenn es darauf ankommt. „Für rassistisc­h halten uns nur drei Gruppen“, erklärt der junge Mann: „Journalist­en, politische Gegner und Leute über 65.“Dass Parteigrün­der Jean-Marie Le Pen wiederholt für Vergehen wie HolocaustL­eugnung oder Volksverhe­tzung verurteilt wurde und bis heute die Linie des Front National prägt, habe nichts zu bedeuten, behauptet Dussausaye: „Zu den Zeiten Jean-Marie Le Pens war ich ja kaum geboren.“Und warum, sagt er, solle er sich für Patriotism­us schämen?

„Das war eine andere Generation, das kann man nicht vergleiche­n“, sagt auch Julie Rechagneux, 21, Jurastuden­tin in Bordeaux. Seit vier Jahren ist sie Koordinato­rin der „Jungen des Front National“für den Südwesten Frankreich­s, aus „Liebe zum Volk“, wie sie sagt. Weil es mit Frankreich bergab gehe, müsse man Einwanderu­ng kontrollie­ren, kleine Bauern stärken, Armut bekämpfen: „Wir sind die sozialste Partei und verteidige­n als einzige die wirtschaft­liche Souveränit­ät.“Rechagneux ist überzeugt davon, dass es Le Pen zur Präsidenti­n schafft.

Zumindest das haben die jungen Anhänger von Le Pen auf der einen und Macron auf der anderen Seite gemeinsam: den Glauben, auf der richtigen Seite zu stehen. Es sind zwei Varianten der französisc­hen Zukunftsho­ffnung.

Von Le Pen bis Mélenchon: Die Kandidaten der Präsidente­nwahl in Frankreich Man muss die Stimmen der Verdrossen­en gewinnen

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Foto: Jean Philippe Ksiazek, afp Es sind zwei Varianten der französisc­hen Zukunftsho­ffnung: Anhänger von Emmanuel Macrons Partei „En marche!“bei einer Kundgebung in Lyon.
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Foto: François Nascimbeni Und Unterstütz­er von Marine Le Pen und ihrem Front National, hier bei einer Kundgebung im vergangene­n Jahr in Brachay im Nordosten Frankreich­s.
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Margaux Pech und Ismail Amrani unter stützen Emmanuel Macron.
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Fotos (2): Birgit Holzer Gaëtan Dussausaye unterstütz­t Marine Le Pen.

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