Der gute Mensch von Babile
In Ostafrika herrscht die schlimmste Hungersnot seit fast 50 Jahren. Auch Teile Äthiopiens sind betroffen. Aber eben nur Teile des Landes. Weil sich die Menschen inzwischen selbst helfen können. Was das mit dem Schauspieler Karlheinz Böhm zu tun hat und w
Ob jemand hungern muss? Hier im Dorf? Endre Assefa lacht laut auf und schüttelt den Kopf. Er deutet mit seinem Gehstock auf die grünen Felder, die ihn umgeben. Dicke Kohlköpfe wachsen darauf, Karotten und Zwiebeln, Rote Bete und Kartoffeln. Die Tomaten sind reif und auch der Salat kann geschnitten werden. „Wir ernten bis zu dreimal im Jahr“, erzählt Assefa, der Dorfälteste, der im Schatten der blühenden Schirmakazie im Gras sitzt. „Bei uns gibt es keinen Hunger mehr“, sagt er stolz. „Und wir sind gesünder.“
Früher wuchs auf den trockenen Feldern im Dorf Ketto in der Nähe der Provinzstadt Mekane Selame nichts außer Bohnen und Teff, das traditionelle Getreide für das äthiopische Hauptgericht Injera, einen lockeren Sauerteigfladen. Das, was die 150 Bauern damals ernteten, reichte nur für ein paar Monate. „Den Rest des Jahres waren wir auf Lebensmittel-Hilfen der Regierung angewiesen“, erzählt Assefa. „So wie es viele Nachbardörfer heute noch sind.“Die Bauern in Ketto haben dann verzweigte Bewässerungsrinnen gegraben – und inzwischen so viel Gemüse, dass sie es verkaufen können.
Endre Assefa erinnert sich gut an den Tag, als die Landwirtschaftsexperten der Hilfsorganisation „Menschen für Menschen“ins Dorf kamen. Fünf Jahre ist das jetzt her – und alle Pläne von damals sind verwirklicht. Auch wenn nicht jeder der Bauern sofort begeistert war von Ideen der Fremden. Die sprachen davon, dass sich die Felder mit dem Wasser aus dem nahe gelegenen Fluss bewässern lassen; wie viel mehr Ertrag gutes Saatgut und moderne Anbaumethoden bringen; welche verschiedenen Gemüsesorten es gibt – und was man daraus kochen kann. Sie sprachen von einer neuen Schule mit Klassenräumen, in denen alle Kinder Platz finden, und davon, dass die Regierung Kinderheirat und Genitalverstümmelung verboten hat. Sie sprachen von einem Brunnen im Dorf, damit die Mädchen mit ihren gelben Plastikkanistern nicht mehr stundenlang zur Wasserstelle laufen müssen, und von Kochstellen, für die die Frauen weniger Feuerholz sammeln müssen. Schnell sind alle im Dorf überzeugt davon, dass ihr Leben besser werden wird – so wie das Leben von den 5,5 Millionen Menschen zuvor, die in den vergangenen 35 Jahren von Karlheinz Böhms Äthiopienhilfe profitiert haben.
„Abo Karl“, „Vater Karl“, nennen die Äthiopier Karlheinz Böhm respektvoll. Und er wird auch drei Jahre nach seinem Tod noch wie ein Heiliger verehrt. Fast jeder Ort in den Projektgebieten hat eine Karlstraße, einen Kreisverkehr mit einem Karl-Denkmal oder ein Restaurant, das nach ihm benannt ist. Kleine Buben tragen den Namen Karl, einige Berge ebenfalls und in der Hauptstadt Addis Abeba steht am Karlsplatz eine riesige Statue, die ● Äthiopien gehört zu den größten Flächenstaaten Ostafrikas und ist mit rund 100 Millionen Einwoh nern nach Nigeria das zweitbevölke rungsreichste Land des Kontinents. Das Land ist rund dreimal so groß wie Deutschland und hat einen starken Be völkerungszuwachs. Vor 35 Jahren waren es erst 32 Millionen Einwohner. ● Als eines der ärms ten Länder Afrikas lag Äthiopien 2016 auf dem Human Development In dex der Vereinten Nationen auf Platz 174 von 188 Ländern. Dürreperioden der vergangenen Jahre und damit ausfallende Ernten erschweren die Lage weiter. Nach UN Angaben leiden 5,6 Böhm mit weit geöffneten Armen zeigt. Hier endet einmal im Jahr der Karl-Gedächtnis-Lauf, veranstaltet vom Karl-Fitness-Klub. Böhm ist der erste Ausländer, der die äthiopische Ehrenstaatsbürgerschaft bekommen hat. „Weil er einer von uns ist“, hört man immer wieder, wenn man durchs Land reist. Und weil seine Stiftung unter anderem 419 Schulen gebaut hat, fünf Berufsbildungszentren, 2284 Brunnen, drei Krankenhäuser, 86 Gesundheitsstationen, 16 Brücken und ein Kinderheim. Die 160 mal 70 Zentimeter großen Metalltafeln in Hellblau und Weiß, die das gesamte Land überziehen und auf die Schulen, Straßen oder Aufforstungsgebiete von „Menschen für Menschen“hinweisen, sind oft schon angerostet oder verblichen. Aber mit ihnen verbinden die Äthiopier so viel Positives, dass die Regierung für neue Verkehrsschilder jetzt dieselben Farben wählt.
Dabei ist der Schauspieler Karlheinz Böhm eher zufällig nach Äthiopien gekommen, wo er als spätberufener Entwicklungshelfer nicht nur seine Lebensaufgabe fand, sondern mit seiner vierten Frau, der Äthiopierin Almaz Teshome, auch sein Liebesglück. Der Sohn der Münchner Sopranistin Thea Linhard und des Grazer Dirigenten Karl Böhm ist als Frauenschwarm und Märchenkaiser Franz Joseph an der Seite von Romy Schneider mit der Sissi-Trilogie berühmt geworden. Sein seichtes Image als Franzl ist verblasst, seine Karriere nach 45 Kinofilmen und als Theaterschauspieler auf dem Höhepunkt, als er in Kenia zum ersten Mal mit der Armut und dem Elend Afrikas in Beden Millionen Menschen in Äthiopien an Hunger. Und der Höhepunkt der Dür re wird erst im Mai erwartet. Trotz seiner eigenen Probleme ist Äthiopien mit mehr als 800 000 Schutzsuchenden ei nes der Hauptaufnahmeländer von Flüchtlingen in Afrika – vorwiegend aus Eritrea, Somalia und dem Südsudan. ● Außer Teilen Äthiopiens sind der Südsudan, Uganda, Kenia und Somalia von der Hungersnot be troffen. Deutschland hat seine Hilfe für die Menschen am Horn von Afrika um 100 Millionen auf 300 Millionen Euro aufgestockt. Die UN gehen davon aus, dass mehr als 20 Millionen Men schen vom Hungertod bedroht sind. rührung kommt. Sein Arzt hat ihn in die Wärme geschickt, um einen Bronchialkatarrh auszuheilen. In der Nähe von Mombasa genießt Böhm den Luxus im Hotel und lässt sich – neugierig auf die Welt da draußen – vom netten Kellner dessen Heimatdorf zeigen. Auf klapprigen Rädern fahren sie in den Busch. Die Familie hat in der einfachen Strohhütte für den Gast einen Fischkopf in roter Soße gekocht – einen ganzen Fisch können sie sich nicht leisten. Das ist das Schlüsselerlebnis für den erfolgs- und lebensverwöhnten Filmstar.
In der Sahelzone herrscht damals, in den 1980er Jahren, eine fürchterliche Hungersnot – wie gerade wieder in Teilen Ostafrikas. Und die Welt schaut heute wie damals weg. Zuerst sieht Karlheinz Böhm einen Fernsehbericht über die katastrophalen Zustände, über Kinder mit Hungerbäuchen, über Dürre, Leid und Tod. Morgens kommt die Liveübertragung einer Bundestagsdebatte, in der Verteidigungsminister Hans Apel für Übungsflüge der Bundeswehr um eine Erhöhung seines Treibstoffetats um 100 Millionen Mark kämpft. „Ich war erschüttert und aufgebracht: In Afrika sterben die Kinder in Scharen, und hier werden Millionen Steuergelder für Übungsflüge vergeudet“, sagte Böhm damals.
Am 16. Mai 1981 ist Karlheinz Böhm zu Gast bei „Wetten, dass . .?“Er nimmt ein Markstück in die Hand, hält es in die Kamera und wettet, dass nicht jeder dritte Zuschauer eine Mark, sieben Schilling oder einen Franken für die Hungernden in Afrika gibt. Karlheinz ● Karlheinz Böhm (1928 – 2014) legte 1981 mit der Wette bei „Wetten, dass . . ?“den Grundstein von „Menschen für Men schen“mit Sitz in München. Die Organi sation hat 744 Mitarbeiter, die meis ten davon in Äthiopien. Nach Böhms Tod schlitterte die Stiftung nach Vor würfen eines ehemaligen Großspenders wegen mangelnder Transparenz und Verschwendung in die Krise. Diese Vor würfe konnte sie widerlegen, die Stif tung hat sich neu und professioneller or ganisiert. Derzeit leistet sie im Süden des Landes Nothilfe und versorgt Hun gernde mit Lebensmitteln. (ak) Böhm gewinnt die Wette – doch es gehen 1,2 Millionen Mark bei den Bundespräsidenten in Deutschland, der Schweiz und Österreich ein, an die die Zuschauer das Geld schicken sollten. Da steht er nun, der Schauspieler, mit einem Sack voller Geld und einer riesigen Wut im Bauch über die Ungerechtigkeit dieser Welt. Er telefoniert mit den Botschaften des Tschad und des Sudan. Und weil Äthiopien das einzige Land ist, das keine Bedingungen stellt, fliegt er am 27. Oktober 1981 dorthin. 53 Jahre ist Böhm damals alt und steckt mitten in einer Sinnkrise. „Er war sehr gut aussehend, sehr freundlich, ein Vorbild für alle“, sagt Mekkonen Kassa, den Böhm von Anfang an als Fahrer engagierte. „Er war weise, intelligent und geduldig“, sagt Berhanu Negussie, Böhms engster Vertrauter, der sich vom Dolmetscher zum Landesbeauftragen von „Menschen für Menschen“hochgearbeitet hat. Böhm selber sagte: „Ich ging als absoluter Nichtwissender nach Äthiopien.“Im Hungerlager von Babile an der Grenze zu Somalia, in das sich 2000 Halbnomaden vom Stamm der Hauiwa vor Dürre und Krieg geflüchtet haben, erlebt Böhm, was Hoffnungslosigkeit, Lethargie und Not bedeuten. Er fasst den Plan, die Menschen ins Erer-Tal umzusiedeln. Es entstehen vier neue Dörfer und Karlheinz Böhm beweist, dass Nomaden sesshaft werden können.
1983 gibt er die Schauspielerei ganz auf und pendelt fortan zwischen Deutschland und Äthiopien – um mithilfe seiner Popularität Geld zu sammeln für seine Projekte und vor Ort zu überwachen, was aus dem Geld wird. Bis zu seinem Tod im Mai 2014 hängt Böhms Herz am Erer-Tal, zusammen mit seiner Frau Almaz hat er dort ein Haus. Auf dem Weg von Babile zum Flughafen passiert dann auch jener Autounfall, bei dem Karlheinz Böhm schwer verletzt wird und von dem er sich nie mehr richtig erholt.
Karlheinz Böhm hatte keine Ahnung von Entwicklungshilfe, doch er hat aus tiefer Menschlichkeit heraus genau das Richtige getan: Er hat sich zu den Äthiopiern auf den Boden gesetzt und zugehört. Er hat gesagt: „Ich habe das Geld, was braucht ihr?“Und er hat nachgehakt, warum sie sich nicht selbst helfen. Dabei musste er lernen, dass er nicht jedem Einzelnen ein Paar Schuhe kaufen kann, erzählt Berhanu Negussie, dass er aber mit einer Schule das ganze Dorf unterstützt.
Wie Ketto oder die vielen hundert anderen Orte, in denen Karlheinz Böhm den Menschen zu einem besseren Leben verholfen hat. Dort hat eine Dürre, wie sie derzeit auch in Teilen Äthiopiens herrscht, nicht mehr diese verheerenden Auswirkungen. Denn die Menschen in Ketto können sich jetzt selbst helfen. Sie planen, gemeinsam in einen kleinen Transporter zu investieren. Damit sie ihr Gemüse, das dank der Bewässerung nun ganzjährig wächst, künftig nicht mehr nur im Dorf, sondern auch auf dem Markt in der Provinzstadt Mekane Selame verkaufen können.
5,5 Millionen Menschen hat „Vater Karl“schon geholfen Mit einem Sack voller Geld ging er ins Flüchtlingslager Vor 35 Jahren hatte Äthiopien noch 32 Millionen Einwohner, jetzt sind es schon 100 Millionen