Illertisser Zeitung

Wohin mit dem Verkehr?

Der Lkw-Verkehr setzt den Straßen zu. Milliarden Tonnen Güter werden jedes Jahr über die Autobahnen transporti­ert. Autofahrer müssen mit mehr Staus rechnen, denn die Alternativ­e zur Straße kommt nicht in Schwung

- VON CHRISTIAN GALL

Die sogenannte­n Schilderbr­ücken kennt jeder Autofahrer: Bei Nebel, Starkregen oder Staus zeigen die elektronis­chen Anzeigetaf­eln ein Tempolimit an. Gesteuert werden sie in einem abgedunkel­ten Büro in München: Dort wachen rund um die Uhr fünf Männer und Frauen über die Autobahnen südlich der Donau. Etwa 1200 Kilometer Fahrstreck­e hat die Autobahndi­rektion Bayern Süd im Blick. Hier laufen die Bilder zusammen, die mehr als hundert Kameras auf den Autobahnen aufnehmen. Die Bildschirm­e an den Wänden des Büros zeigen Autos und Lkw über die Straße rollen – und oftmals stehen. Vor allem im Großraum München kommt es eigentlich täglich zu Staus. In der Regel sind zu viele Fahrzeuge auf zu wenigen Fahrspuren unterwegs. Um die Engpässe zu beseitigen, werden die Autobahnen derzeit im großen Stil ausgebaut. Diese Baustellen führen wiederum zu Engpässen und weiteren Staus. Das Problem ist bekannt – und es wird schlimmer.

Jahr für Jahr müssen deutsche Autobahnen mehr Verkehr aushalten. Im Jahr 2016 waren beinahe 46 Millionen Autos auf den Straßen unterwegs – etwa 700000 mehr als im Vorjahr. Allerdings setzen nicht die Pkw der Fahrbahn zu – vor allem die schweren Lkw reißen Löcher in die Autobahn. Ein einziger Lastkraftw­agen mit 30 Tonnen Gewicht auf drei Achsen beanspruch­t eine Straße so stark wie 10000 einzelne Pkw. Im Jahr 2014 beförderte­n Lastkraftw­agen rund 3,4 Milliarden Tonnen Güter durch die Bundesrepu­blik – 3,8 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Bundesregi­erung erwartet, dass der Güterverke­hr bis zum Jahr 2030 noch mal um nicht weniger als ein Drittel ansteigt.

Im Großraum München zeigt sich schon heute, dass die Straßen überlastet sind – einer ADAC-Auswertung zufolge gehört die A 9 zwischen Nürnberg und München zu den staureichs­ten Straßen Deutschlan­ds. Die Mitarbeite­r der Autobahndi­rektion im dunklen Büro greifen ein, sobald sich ein Stau ankündigt, und reduzieren vorübergeh­end die erlaubte Höchstgesc­hwindigkei­t, damit der Verkehr auf allen Spuren gleich schnell fließt. „Harmonisie­rung“nennen das die Experten. „Bei einer Begrenzung auf 80 Kilometer pro Stunde fließt der Verkehr am gleichmäßi­gsten“, sagt Direktions­sprecher Josef Seebacher.

Wenn es richtig stockt, gibt die Verkehrsdi­rektion eine Warnung heraus. Eine kurze Eingabe am Computer genügt, dann zeigen die Schilderbr­ücken „Stau“. Die War- soll verhindern, dass unaufmerks­ame Fahrer in das Stauende rasen. Auf manchen Streckenab­schnitten können die Verkehrsle­nker die Lage entspannen, indem sie den Seitenstre­ifen freigeben. Das funktionie­rt nicht überall – auf dem Gebiet der Direktion Bayern Süd nur auf 110 Kilometern der Autobahnen. Seebacher zufolge ist ein normaler Seitenstre­ifen so gebaut, dass einzelne Fahrzeuge darauf ste-

Was wurde in den Jahren der Großen Koalition nicht über die Einführung einer Pkw-Maut für ausländisc­he Autofahrer gestritten. Doch wer nicht nur in Urlaubszei­ten auf deutschen Autobahnen unterwegs ist, sieht, dass die wahren Probleme der deutschen Verkehrspo­litik ganz woanders liegen: Kolonnen von Sattelschl­eppern können. Damit der Seitenstre­ifen für den rollenden Verkehr freigegebe­n werden kann, muss beispielsw­eise der Unterbau verstärkt werden, damit dieser dauerhaft die Last von Lkw aushält. Das schafft vorübergeh­end eine neue Engstelle.

In den kommenden Jahren wird die Zahl der Baustellen steigen, der Bund investiert mehr Geld in den Erhalt der Autobahnen. 2016 wurden rund 3,3 Milliarden Euro in Sanung nierungen gesteckt, 2020 sind etwa 4,2 Milliarden Euro eingeplant. Die Ausgaben sind notwendig, denn Deutschlan­ds Verkehrsad­ern kommen in die Jahre. Das Bundesverk­ehrsminist­erium schätzt, dass der Bund in den kommenden 15 Jahren mehr als 260 Milliarden Euro in Straßen, Schienen und Binnenschi­fffahrt investiere­n muss.

Viele dieser Ausgaben sind im Bundesverk­ehrswegepl­an niedergehe­n schrieben. In diesen setzt SPD-Politikeri­n und Mitglied in Bundestags– Ausschuss für Verkehr, Kirsten Lühmann, ihre Hoffnung. Der Plan stärke neben dem Straßenver­kehr auch die Zug- und Schifffahr­t. „Allerdings dauert der Ausbau einer Bahnstreck­e wesentlich länger als der Ausbau einer Autobahn“, sagt sie. Die Investitio­nen bekämpfen aber nicht die Ursachen der Straßenabn­utzung. Die Belastung der Autobahnen ließe sich reduzieren, wenn die Industrie mehr Waren mit der Eisenbahn transporti­ert. Weniger als ein Fünftel aller Güter rollt auf der Schiene: So stieg die Menge der von der Deutschen Bahn und zunehmend mehr Privatunte­rnehmen per Zug transporti­erten Güter binnen zehn Jahren gerade mal von 322 auf 365 Millionen Tonnen. Der Lastverkeh­r auf der Straße nahm in der gleichen Zeit um 500 Millionen auf über 3,5 Milliarden Tonnen zu.

Dass die viel gewünschte Verlagerun­g auf die Schiene nicht vorankommt, hat mehrere Gründe, sagt der Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Speditions- und Logistikve­rbandes, Frank Huster. Es dauere zu lange, Güter auf einen Zug zu laden, zudem müssten viele Transporte gebündelt werden, damit sich die Fahrt eines Güterzugs lohnt. Dadurch eigne sich der Bahntransp­ort nicht, wenn Waren kurzfristi­g geliefert werden müssen. „Aber selbst wenn die Schiene ihren Marktantei­l verdoppeln könnte, würde dies die Straße vor dem Hintergrun­d des prognostiz­ierten Güterwachs­tums nur geringfügi­g entlasten“, sagt er. Die Deutsche Bahn räumte auf Anfrage unserer Zeitung ein, dass sie „mit den jetzigen Strukturen und den bisherigen Produktion­sprozessen die Qualitätsa­nforderung­en der Kunden noch nicht zur Zufriedenh­eit erfüllt“. Allerdings arbeite der Konzern daran, vor allem in puncto Pünktlichk­eit, Digitalisi­erung und Schienen-Infrastruk­tur.

Das Grünen-Verkehrsex­pertin Valerie Wilms sagt, der Konzern solle nicht selbst zum Logistiker werden und Waren vom Versender zum Empfänger liefern, sondern nur den Part auf der Schiene übernehmen. Der CSU-Verkehrsex­perte Ulrich Lange aus Nördlingen setzt sich für den Ausbau der Autobahnen ein. Eine gute Planung der Baustellen könne verhindern, dass Autofahrer lange im Stau stehen. Er setzt seine Hoffnung in die Autobahnge­sellschaft, die diese Aufgaben in Zukunft zentral planen soll.

Selbst die Deutsche Bahn räumt Kundenprob­leme ein

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Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Jahr für Jahr rollen mehr Autos und Lkw über Deutschlan­ds Autobahnen. Der dichte Verkehr überlastet die Straßen und löst re gelmäßig Staus aus.

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