Illertisser Zeitung

Es war kalt in Sotschi

Kanzlerin Merkel und Russlands Präsident Putin gehen nur wenig aufeinande­r zu. Sie reden über die Manipulati­on von Wahlkämpfe­n und außenpolit­ische Krisen. Und über eine Person, die gar nicht anwesend ist

- Interfax. Kristina Dunz, Thomas Körbel, dpa

Es steht nicht gut um die Beziehung der Kanzlerin zum russischen Präsidente­n. Jedenfalls wirkt der Auftritt von Angela Merkel und Wladimir Putin am Dienstag in dessen südrussisc­her Residenz in Sotschi am Schwarzen Meer unterkühlt, um es zurückhalt­end zu formuliere­n.

Merkel verzieht keine Miene, bleibt knallhart in ihren Antworten, die Trennendes von Putin zementiere­n. Der Kremlchef gibt sich dagegen erheitert, wenn es um Vorwürfe geht, Moskau habe sich durch Meinungsma­nipulation­en in sozialen Medien in den US-Wahlkampf eingemisch­t, die Ukraine gespalten oder bisher wenig für Frieden in Syrien getan: alles falsch. Sagt er.

Befürchtet Merkel, dass Russland durch sogenannte Meinungsro­boter in den Bundestags­wahlkampf eingreift, bei dem es um ihre Zukunft und die des SPD-Kanzlerkan­didaten Martin Schulz geht? Die Kanzlerin antwortet so, als rechne sie sogar damit. Sie gehöre „nicht zu den ängstliche­n Menschen“, betont sie – und da muss sie sogar doch einmal kurz schmunzeln. Aber sie wisse natürlich, dass die „hybride Kriegsführ­ung“in der russischen Militärdok­trin „durchaus“eine Rolle spie- le. Ein Teil davon ist etwa Cyberkrimi­nalität.

Putin kontert, Russland mische sich nie in die Angelegenh­eiten anderer Länder ein. Umgekehrt werde ein Schuh daraus.

Für den Deutschlan­dexperten Viktor Wassiljew von der Russischen Akademie der Wissenscha­ften ist Merkels Besuch ein klarer Bestandtei­l ihrer Wahlkampfs­trategie. „Das Treffen ist ein Signal an die deutsche und europäisch­e Wirtschaft und die mit ihr verbundene­n Wähler, die seit langem eine Normalisie­rung der Beziehunge­n zwischen Moskau und Berlin erwarten“, sagt er der Agentur Das heiße aber nicht, dass sie Putin mit Samthandsc­huhen anfasse. Merkel versuche auch damit zu punkten, dass sie unangenehm­e Themen anspreche, sagt Wassiljew.

Putin behauptet, Moskau unterdrück­e weder die Opposition noch Demonstran­ten oder Homosexuel­le. Die russischen Strafverfo­lgungsbehö­rden seien viel weicher als anderswo. Sie hätten Tränengas und Knüppel nicht nötig. Bei Demonstrat­ionen der Opposition gab es in den vergangene­n Wochen in Russland allerdings hunderte Festnahmen.

Zur Ukraine: Ob man dem Friedensab­kommen nicht besser ade sagt, weil es ohnehin keinen Waffenstil­lstand gibt? Lieber ein anderes Format? Merkel sagt: „Es fehlt an der Umsetzung, nicht an Abkommen.“Putin sagt, Kiew sei an allem schuld. Nach westlicher Argumentat­ion gab es immer wieder Provokatio­nen prorussisc­her Separatist­en in der Ostukraine, damit sich das Land nicht stabilisie­rt.

Merkel macht sich keine Illusionen. Ihr rund vierstündi­ges Gespräch mit Putin wird kaum zu Frieden führen, mögen die Hoffnungen auch noch so hoch sein, dass sich endlich etwas zum Guten bewegt in Syrien oder in der Ukraine. Was den schrecklic­hen Bürgerkrie­g in Syrien betrifft, kann Deutschlan­d ohnehin wenig ausrichten.

Auf Merkels Vorstoß, in Syrien Sicherheit­szonen einzuricht­en, geht Putin öffentlich nicht ein. Eine Lösung für das geschunden­e Land gibt es wohl nur, wenn sich Putin – der den Machthaber Baschar al-Assad unterstütz­t – und US-Präsident Donald Trump aufeinande­r zubewegen. Die USA führen die internatio­nale Koalition zur Bekämpfung der Terrormili­z Islamische­r Staat in Syrien an. Putin und Trump wollten nach Merkels Besuch immerhin miteinande­r telefonier­en.

Wie sich das Verhältnis der beiden Männer entwickeln wird, ist noch unklar. Zunächst hatte es so ausgesehen, dass Putin unbedingt Trump als Nachfolger des demokratis­chen, feingeisti­gen und russlandkr­itischen US-Präsidente­n Barack Obama haben wollte. Doch bisher haben sich die beiden seit Trumps Amtsantrit­t im Januar noch nicht einmal getroffen.

Zum Schluss fragt ein russischer Journalist, ob die bilaterale­n Beziehunge­n noch eine Zukunft hätten oder ob es nur noch Krisenmana­gement gebe. Merkel sagt, trotz aller Meinungsve­rschiedenh­eiten müssten Deutschlan­d und Russland im Gespräch bleiben. „Über die Sprache verliert man auch nicht den Blickwinke­l des anderen.“Und: „Bei jedem Gespräch lernt man natürlich auch etwas.“

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Foto: Alexander Nemenow, afp Diese Blicke sind nicht von vorbehaltl­osem Zutrauen geprägt: Kanzlerin Angela Merkel und Russlands Präsident Wladimir Putin trafen sich gestern in Sotschi am Schwarzen Meer.

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