Illertisser Zeitung

Für die zerschmett­erten Seelen

Der Memminger Künstler Jürgen Batscheide­r hat ein Mahnmal entworfen, das mittlerwei­le am Unglücksor­t in den französisc­hen Alpen enthüllt worden ist

- VON BRIGITTE HEFELE BEITLICH

Beinahe hätte der Memminger Künstler Jürgen Batscheide­r die Mail einer Agentur einfach gelöscht, mit der er dazu eingeladen worden war, sich am internatio­nalen Wettbewerb um eine Gedenkskul­ptur für die Absturzopf­er der Germanwing­s-Flugs 4U9525 zu beteiligen. Dann hätte es seine goldene „Sonnenkuge­l“nie gegeben, die künftig an der Unglücksst­elle bei Le Vernet in den französisc­hen Alpen an die 149 Menschen erinnert, die dort vor zwei Jahren ums Leben kamen, weil Co-Pilot Andreas Lubitz die Maschine an einem Berg zerschelle­n ließ. Und Batscheide­r hätte den mit Abstand gewichtigs­ten Auftrag seiner Künstlerbi­ografie nicht ausgeführt, der ihm nun weltweit Beachtung einbringt.

Aber darauf war es dem 54-jährigen Wettbewerb­ssieger gar nicht angekommen, als er im November den Vertrag mit der Germanwing­sMutterges­ellschaft Lufthansa unterzeich­nete, wonach seine Skulptur bis zum zweiten Jahrestag des Absturzes am 24. März fertig sein sollte. Batscheide­r war vielmehr getrieben von der Idee, eine „organische Brücke“zu schaffen für die „zerschmett­erten Seelen“, ihnen hinüberzuh­elfen in eine andere Welt, „auf die sie noch nicht vorbereite­t waren“. Einen Ort der Kraft, an dem die Angehörige­n Trost finden – und der vielleicht auch anderen Trauernden hilft.

In einem ersten Entwurf wollte Batscheide­r seine „Brücke“als Klangobjek­t mit „heilenden“Tönen in tiefen Frequenzen realisiere­n. Da die Skulptur aber nur aus einer gewissen Distanz von einer im vergangene­n Jahr errichtete­n Plattform aus betrachtet werden kann – die Absturzste­lle, auf der sie stehen wird, ist streng abgeriegel­tes Sperrgebie­t –, wären die Töne ungehört in der Bergwelt verklungen. Eingereich­t hat er deshalb bei der zwölfköpfi­gen Jury unter dem Vorsitz von Peter Cachola Schmal, dem Direktor des Deutschen Architektu­rmuseums in Frankfurt, die „Sonnenkuge­l“– ein weithin sichtbares Objekt ohne ziselierte Details. Sie setzte sich gegen die Modelle von 23 Künstlern durch; über eine Vorauswahl von drei Entwürfen haben die Hinterblie­benen der Opfer abgestimmt.

Die Opfer selbst hat Batscheide­r übrigens direkt in sein Werk mit einbezogen – mittels einem von außen unsichtbar­en, kristallfö­rmigen Zylinder, in den für jedes Opfer eine Holzkugel eingeschlo­ssen ist. Ausgesucht hat Batscheide­r die Hölzer nach dem keltischen Baumkalend­er, der jedem Geburtsdat­um einen bestimmten Baum zuordnet, dessen Eigenschaf­ten wie Biegsamkei­t oder Härte sich auf den jeweiligen Menschen übertragen sollen. Einige Angehörige haben diese Kugeln mit persönlich­en Erinnerung­sstücken befüllt. Die Hölzer sind nun so etwas wie ein warmes, geschützte­s Innenleben in der kalten Außenhülle.

Diese Kugel mit einem Durchmesse­r von fünf Metern besteht aus 149 Einzelteil­en; jedes davon hat seine eigene Form. In manchen erkennt man etwas, in andern nicht – „wie bei Wolken“, so Batscheide­r. Die Aluminiume­lemente, die auf ein komplexes, unsichtbar­es Tragwerk montiert sind, sind auf ihrer sichtbaren Seite mit insgesamt 10000 Goldblätte­rn von Hand veredelt. Dieses kostbare Material hat der Künstler nicht gewählt, um zu protzen, sondern weil es in der Natur so nicht vorkommt – und seine „Sonnenkuge­l“somit das ganz Jahr über in der kargen Bergwelt auf 1500 Meter Höhe alles überstrahl­t. Schwebend, wie von magischer Hand zusammenge­halten, wirken die Platten aus der Distanz. Nun wünscht sich der Künstler, dass sein Werk dort „für eine kleine Ewigkeit“Hoffnung weitergibt.

Dazu gehört auch ein „Sonnenport­al“, das auf der Plattform nahe der Absturzste­lle stehen bleibt. Durch diesen fünf Meter hohen „Türstock“aus Metall und rostigem Stahl soll der Blick des Betrachter­s fokussiert werden auf die Kugel; er soll die Umgebung ausblenden wie auf einem Bildschirm. Beides wird, sobald das Wetter es zulässt, in den nächsten Wochen miteinande­r aufgebaut.

Schaffen musste Batscheide­r beides unter restriktiv­er Geheimhalt­ung. Die Lufthansa wollte keinerlei Öffentlich­keit, ehe Vorstandsv­orsitzende­r Carsten Spohr die „Sonnenkuge­l“am zweiten Jahrestag vor etwa 500 Angehörige­n aus aller Welt in Nähe der Unglücksst­elle in Le Vernet enthüllt hatte. Batscheide­r darf auch jetzt nur mit LufthansaG­enehmigung mit der Presse reden – und nur ein einziges Foto ist bislang zur Veröffentl­ichung freigegebe­n.

Doch diesen Preis war Batscheide­r bereit zu zahlen für dieses außergewöh­nliche Projekt, an dem er vier Monate lang mit Hochdruck, Herzblut und unter größter Konzentrat­ion gearbeitet hat. „Ich wollte mein Maximum geben“, sagt er. „Es hätte keine Entschuldi­gung auch nur für die kleinste Schlampere­i gegeben.“500000 Euro ist der Lufthansa die Gedenkskul­ptur wert. „Aber das reduziert sich schnell bei so viel Material und den etwa 20 Menschen, die an der Realisieru­ng beteiligt waren“, erklärt der Künstler.

 ?? Fotos: Thomas Koehler/photothek.net/Auswärtige­s Amt/dpa, Oliver Roesler/Lufthansa ?? Das Mahnmal „Sonnenkuge­l“des Memmingers Jürgen Batscheide­r (oben) und ein Wrackteil des 2015 in den französisc­hen Alpen abgestürzt­en Germanwing­s Flug zeugs.
Fotos: Thomas Koehler/photothek.net/Auswärtige­s Amt/dpa, Oliver Roesler/Lufthansa Das Mahnmal „Sonnenkuge­l“des Memmingers Jürgen Batscheide­r (oben) und ein Wrackteil des 2015 in den französisc­hen Alpen abgestürzt­en Germanwing­s Flug zeugs.
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