Illertisser Zeitung

Ein schwaches Deutschlan­d hilft weder Frankreich noch den USA Leitartike­l

Weltweit kursiert die Vorstellun­g, wir müssten als wirtschaft­lich starkes Land an Kraft einbüßen, um so Schwächere­n auf die Beine zu helfen. Das ist zu kurz gedacht

- Sts@augsburger allgemeine.de

Deutschlan­d ist ein Soll-Land, jedenfalls aus Sicht französisc­her und amerikanis­cher Politiker. Die Empfehlung­en, wie in Berlin von Kanzlerin Merkel und Finanzmini­ster Schäuble Politik betrieben werden müsste, reißen nicht ab. Vereinfach­t gesagt, sollte das Land den Kurs der Haushaltsk­onsolidier­ung verlassen und sollte viel mehr Steuergeld ausgeben.

Das Soll-Spiel nimmt kein Ende: Die Franzosen träumen gar von spürbar höheren Löhnen im Nachbarlan­d, was die Wettbewerb­sfähigkeit der Betriebe schwächen würde. Und US-Präsident Trump wünscht sich zu allem Überfluss ein Deutschlan­d, das deutlich mehr für Rüstung ausgibt. Was für eine Horror-Vision: Wenn Merkel alldem nachgibt, würde sich die Bundesrepu­blik in ein rückständi­geres Land verwandeln. Denn ein sich selbst schwächend­es Deutschlan­d, das zum Haushaltss­ünder wird und wie Trump militärisc­h die Muskeln spielen lässt, ist eine abstruse Idee. Man muss Deutschlan­d gering schätzen, um dem Land einen derartigen ökonomisch-moralische­n Abstieg zu wünschen.

Entspreche­nd hartleibig reagieren Merkel und Schäuble auf dieses populistis­che und daher zu kurz gedachte Soll-Konzert eines französisc­h-amerikanis­chen Anklage-Orchesters. Dabei wären Verantwort­liche in Paris und Washington die Ersten, die sich über ein ökonomisch zurückfall­endes Deutschlan­d mokieren würden. Sowohl Trump als auch dem ebenso lamentiere­nden französisc­hen Präsidents­chaftskand­idaten Emmanuel Macron täte ein Gang ins Archiv gut. Dort könnten beide Politiker lesend lernen, dass es Deutschlan­d niemandem recht machen kann. Denn als das Land sich nach der Jahrtausen­dwende noch nicht ausreichen­d an die Zwänge der Globalisie­rung angepasst hatte, rutschte es in eine desolate Lage ab. Hans-Werner Sinn, damals Chef des Ifo-Instituts, fasste den niederschm­etternden Befund, Deutschlan­d trage die rote Laterne in Europa und sei gegenüber Großbritan­nien und Frankreich ein Wachstumss­chwächling. Mehr als fünf Millionen Arbeitslos­e und eine tiefe Sinnkrise der Nation waren die fatalen Folgen. So wünschten sich Politiker in Washington wie Paris damals sehnlichst, Deutschlan­d möge doch endlich wieder zur Konjunktur­lokomotive werden.

Den Wunsch hat das Land seinen Ratgebern im Übermaß erfüllt. Entspreche­nd groß und oberlehrer­haft fallen die heutigen Ratschläge aus. Es herrscht ein großes Unbehagen gegenüber Deutschlan­d. Mit Neid blicken die Mächtigen in den USA und Frankreich auf das Land, welches sie vom Hitler-Terror befreit haben und das nun schon zum zweiten Mal nach dem Krieg ein Wirtschaft­swunder erlebt. Das erste resultiert­e aus einer enormen Aufbauleis­tung nach dem Krieg, das zweite war das Ergebnis einer schmerzlic­hen, aber erfolgreic­hen Anpassung an die Globalisie­rung.

Deutschlan­d nun zu schwächen, wäre aus Sicht anderer Nationen eine kolossale Dummheit. Denn wenn hierzuland­e die Arbeitslos­igkeit steigt und Firmen weniger im Export verdienen, sinkt die Nachfrage nach Gütern aus dem Ausland. Damit würden sich die Franzosen ins eigene Fleisch schneiden.

Vielleicht muss Deutschlan­d einmal den Soll-Spieß umdrehen: Sollte also Macron die Wahl gewinnen, wäre es doch klug, wenn er am deutschen Vorbild Maß nimmt. Dazu müsste er allerdings wie einst Gerhard Schröder verkrustet­e Strukturen aufbrechen und den Arbeitsmar­kt flexibilis­ieren. Wenn der Franzose dann Unternehme­n auch noch mehr Luft zum Atmen gibt, könnte die mit 23,6 Prozent viel zu hohe Jugendarbe­itslosigke­it wirkungsvo­ll bekämpft werden.

Wer Deutschlan­d wirtschaft­lich schlagen will, muss es kopieren. Die Chinesen haben das begriffen.

Frankreich muss Deutschlan­d kopieren

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Zeichnung: Haitzinger
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