Illertisser Zeitung

Dem Korpsgeist auf der Spur

Ursula von der Leyen hat ein Problem. Und das heißt Franco A. Der Oberleutna­nt gab sich als Flüchtling aus, schrieb eine rassistisc­he Abschlussa­rbeit. Und plante womöglich einen Anschlag. Bei der Bundeswehr aber fiel all das nicht auf. Was läuft hier schi

- VON GREGOR MAYNTZ, MARTIN FERBER UND SONJA KRELL Spiegel (mit dpa)

Jetzt also Illkirch. Als wäre die Liste der Skandale bei der Bundeswehr nicht schon lang genug: Bad Reichenhal­l, wo im März Fälle von Sex-Mobbing und Volksverhe­tzung bei den Gebirgsjäg­ern öffentlich wurden; die Elitekaser­ne im baden-württember­gischen Pfullendor­f, wo sadistisch­e Aufnahmeri­tuale und Doktorspie­lchen mit Soldatinne­n bis Januar wohl zum Alltag gehörten; Sondershau­sen, wo zwei Ausbilder Rekruten erniedrigt und gequält haben sollen. Es sind Geschichte­n von Schikane, von Erniedrigu­ng und Herabwürdi­gung. Geschichte­n, die mancher Altgedient­e noch abtun mag. Als das, was jeder Soldat einmal mitgemacht hat.

Doch der Fall Franco A. sprengt diese Muster. Es ist der Fall eines Oberleutna­nts, der ein bizarres Doppellebe­n führt. Der es schafft, sich als syrischer Flüchtling registrier­en zu lassen, obwohl er kein Wort Arabisch spricht. Eines Soldaten, der an einer Militäraka­demie eine Masterarbe­it schreibt, in der er über Rassenrein­heit fabuliert und gegen Migranten hetzt – und trotzdem befördert wird. Der, in der Kaserne im französisc­hen Illkirch, wo er zuletzt stationier­t war, Hakenkreuz­e an den Wänden und auf einem Sturmgeweh­r hinterläss­t – ohne dass sich jemand daran stört. Dass der 28-Jährige einen Anschlag geplant haben soll, dass ein Bundeswehr­offizier mit rechtsextr­emer Gesinnung seinen Dienst tut, ohne dass es auffällt – all das klingt auch eine Woche, nachdem Franco A. verhaftet wurde, unfassbar.

Ursula von der Leyen, die Verteidigu­ngsministe­rin, ist da längst zum Angriff übergegang­en. Hat der eigenen Truppe ein „Haltungspr­oblem“bescheinig­t, „Führungssc­hwäche auf verschiede­nen Ebenen“und „falsch verstanden­en Korpsgeist“. Sie kündigt im Fernsehen an, dass die Affären in der Truppe rigoros aufgeklärt werden müssten. „Das Dunkelfeld auszuleuch­ten, das wird mühsam, das wird schmerzhaf­t, das wird nicht schön werden.“Die CDU-Politikeri­n sagt eine lange geplante Reise in die USA ab, macht sich selbst auf die Spuren von Franco A.

Jetzt also Illkirch. Der Airbus sollte längst gelandet sein. Doch nun dreht er Extrarunde­n. Von der Leyen will noch klären, was an jüngsten Schlagzeil­en rund um Franco A. dran ist. Und das dauert.

Vergangene Woche, kurz nach der Festnahme, bescheinig­te man dem 28-Jährigen in der deutschfra­nzösischen Brigade noch einen untadelige­n Ruf. „Unbescholt­en, sehr fleißig, hochintell­igent“, sei der Kamerad, meldeten seine Vorgesetzt­en. Einer, dem eine große Karriere als Berufssold­at offenstand. Gerade machte er eine Einzelkämp­ferausbild­ung im unterfränk­ischen Hammelburg. Das Gegenteil eines Rassisten oder Rechtsterr­oristen. In diese Richtung weisen indes die Er- mittlungen des Bundeskrim­inalamtes. Auch eine Vernehmung durch den Militärgeh­eimdienst MAD bestätigt den Verdacht, dass der Offizier als rechtsextr­emistische­r Einzeltäte­r eingestuft werden muss.

Und doch gibt es viele Fragen. Die Sache mit der Pistole etwa, die Franco A. am 20. Januar in Wien gefunden und im betrunkene­n Zustand eingesteck­t haben will und die er dann auf der Flughafent­oilette versteckte. Warum er nicht die Behörden informiert, sondern zwei Wochen später erneut nach Wien fliegt, um sie aus dem Versteck zu holen, wirft mindestens so viele Fragen auf wie sein zweites Leben als „David Benjamin“. Am 19. Dezember 2015 beantragt er unter diesem Namen Asyl als syrischer Flücht- ● Franco A. beginnt sei nen Grundwehrd­ienst in Idar Obers tein. ● Versetzung zur Deutschen Stabsgrupp­e in Frank reich, Studium der Staats und Sozial wissenscha­ften an der französisc­hen Militäraka­demie Saint Cyr. ● Franco A. reicht seine Masterarbe­it bei der französi schen Prüfungsko­mmission ein. Darin beklagt er unter anderem eine be wusste „Durchmisch­ung“der Völker Eu ropas. ● Der französisc­he Schulkomma­ndeur informiert A.s Vorgesetzt­en über schwere Mängel in ling, erhält später auch Schutz. Ab Februar 2016 wohnt er sowohl in einer Flüchtling­sunterkunf­t im Kreis Erding als auch in Illkirch.

Viel schwerer aber wiegt das, was aus den Bundeswehr-Akten hervorgeht – und zugleich die Verteidigu­ngsministe­rin in Bedrängnis bringt. Schon im Januar 2014 gab es Hinweise auf eine rechtsextr­eme Gesinnung des Offiziers. Da hatte Franco A. dem Chef seiner französisc­hen Division eine Masterarbe­it vorgelegt. Dieser schildert damals dem Leiter der deutschen Studenteng­ruppe, die Arbeit sei geprägt von Rassismus und Verschwöru­ngstheorie­n über das Aussterben der europäisch­en Rassen. Seinem deutschen Kollegen rät er: „Wenn es ein französisc­her Lehrgangst­eilnehmer der Masterarbe­it. Er sagt: Wenn ein Franzose so etwas geschriebe­n hätte, müsste er gehen. A. beteuert, er ver folge kein extremisti­sches Gedanken gut. ● Der Vorgesetzt­e wendet sich an einen Rechtsbera­ter des Streitkräf­teamts. ● Ein Gutachter des Zentrums für Militärges­chichte und Sozialwiss­enschaften der Bundeswehr stellt fest, es handele sich bei der Ar beit um „einen radikalnat­ionalistis­chen, rassistisc­hen Appell“. ● Ein disziplina­ri sches Vorermittl­ungsverfah­ren wird eingestell­t, nachdem sich Franco A. zum wäre, würden wir ihn ablösen.“So steht es in einem Aktenverme­rk der Bundeswehr, aus dem der zitiert.

Franco A. wird zu einem langen Gespräch gebeten. Der Soldat gibt an, die Arbeit unter massivem Zeitdruck geschriebe­n zu haben. Die Angelegenh­eit wird nach oben weitergere­icht. Ans Streitkräf­teamt nach Köln. Dessen Kommandeur entscheide­t sich, der Empfehlung seines Rechtsbera­ters zu folgen und dem hoffnungsv­ollen jungen Mann die Karriere nicht zu verbauen. Er wird ermahnt. Keine Meldung an den MAD, keine Disziplina­rstrafe, nicht mal ein Eintrag in die Personalak­te. Franco A. schreibt eine zweite Masterarbe­it. Und seine Karriere nimmt ihren Lauf.

Und es tauchen weitere Fragen auf: Hat Franco A. die möglichen Anschläge allein geplant? Hatte er Mitwisser? Im Visier der Ermittler steht jetzt ein zweiter Soldat aus der Kaserne in Illkirch. Zugleich ist die Rede von einer Gruppe um Franco A., der mindestens vier weitere Soldaten angehört haben sollen, darunter ein Reservist aus Österreich.

Für Agnieszka Brugger, Verteidigu­ngsexperti­n der Grünen, wäre es ein „absolutes Horrorszen­ario, wenn über Jahre hinweg ein rechtes Netzwerk um Franco A. unbehellig­t sein Unwesen treiben konnte.“Sie nennt es einen „unverzeihl­ichen Fehler, dass trotz glasklarer Hinweise auf krudes rechtsextr­emistische­s, menschenfe­indliches und rassistisc­hes Gedankengu­t in der Masterarbe­it weggeschau­t und relativier­t worden ist“. So etwas dürfe sich „nicht wiederhole­n“. Dem SPD-Verteidigu­ngsexperte­n Rainer Arnold missfällt von der Leyens Pauschalkr­itik an der Truppe. „Es war falsch, es hat Vertrauen zerstört und es war auch unnötig“, sagt er. Sie habe einen „schweren Fehler“gemacht.

Am Nachmittag dann liefern Kameras die Bilder, die die Ministerin braucht: Von der Leyen landet in Straßburg, von der Leyen erreicht die Kaserne, von der Leyen betritt ein Dienstgebä­ude, von der Leyen kommt aus dem Dunkel des Flures wieder ans Licht. „Ich bin auch gekommen, um Ihnen den Rücken zu stärken“, sagt sie an die Soldaten gerichtet. Die ganz große Mehrheit arbeite tadellos.

Im Aufenthalt­sraum des Jägerbatai­llons 291 gibt es keine Bilder mit der Ministerin. Zu klein sei der Raum. „Bunker“heißt er, weil die Bar, in der Kameradsch­aftsabende gefeiert werden, wie ein Weltkriegs­bunker dekoriert ist. An den Wänden hängen Säbel, Waffen, gemalte Wehrmachts­soldaten in Heldenpose­n, auf dem Regal liegt ein alter Helm. Von der Leyen gefällt das nicht. „Fragwürdig“sei diese

Niemand störte sich an den Hakenkreuz­en an der Wand

Vergangenh­eitspflege, betont sie. Die Wehrmacht könne, mit Ausnahme von Widerstand­skämpfern, keinesfall­s traditions­stiftend für die Bundeswehr sein.

An einem Seiteneing­ang beschreibt sich das Bataillon als „tapfer, treu und gewissenha­ft“und auch „tolerant und aufgeschlo­ssen gegenüber anderen Kulturen und moralisch urteilsfäh­ig“. Ein anderer Zettel auf einer anderen Türe spricht eine andere Sprache. „Eintritt verboten. Versiegelt“, steht auf dem Eingang zum „Bunker“.

Wie groß das Rechtsextr­emismus-Problem in der Truppe ist? Das Verteidigu­ngsministe­rium erklärt, dass zwischen 2012 und 2016 18 Angehörige der Bundeswehr vorzeitig wegen Rechtsradi­kalismus aus der Armee entlassen wurden. Derzeit bearbeite der Militärgeh­eimdienst MAD 280 Verdachtsf­älle aus dem Bereich Rechtsextr­emismus, auch Fälle aus den vergangene­n Jahren.

Von der Leyen trifft in Illkirch einen Führungskr­eis. Heeresinsp­ekteur Jörg Vollmer muss vortragen. Sie will wissen, welche Kontaktleu­te Franco A. hatte, mit wem er wo und wann sprach. Sie sucht nach Bruchstell­en in der Berichtske­tte. Personelle Konsequenz­en will sie „nicht ein- und nicht ausschließ­en“, derzeit stecke man aber „mitten in der Aufklärung“.

Für heute hat von der Leyen ein Krisengesp­räch mit rund 100 Generalen und Admiralen in Berlin anberaumt. Sie will klären, warum Informatio­nen zu Verfehlung­en an einzelnen Bundeswehr­standorten mehrfach nicht den Weg ins Ministeriu­m gefunden haben. Eines ahnt sie auf dem Kasernenho­f von Illkirch indes: „Es wird noch einiges hochkommen.“

Der Fall Franco A. und die Bundeswehr Franco A. redete sich auf Zeitdruck hinaus

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Foto: P. Seeger, dpa Ursula von der Leyen und Generalleu­tnant Jörg Vollmer in der Kaserne in Illkirch. Hier war der terrorverd­ächtige Oberleutna­nt Franco A. stationier­t.
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