Illertisser Zeitung

Paris ist immun gegen Le Pen

Vor der Stichwahl präsentier­t sich Frankreich als ein geografisc­h und sozial geteiltes Land. Während die Rechtspopu­listin in der Hauptstadt nur wenige Anhänger hat, tut sich Macron in vielen ländlichen Regionen schwer

- VON BIRGIT HOLZER

Sonia hält ein Plakat hoch, auf dem ein Bild des grimmig dreinblick­enden Jean-Marie Le Pen prangt, des Gründers und langjährig­en Chefs des Front National. Umgeben wird sein Gesicht von der blonden Frisur, die dessen Tochter und Nachfolger­in Marine Le Pen charakteri­siert. Die Fotomontag­e soll zeigen: Selber Name, selbe Partei, selbe Ideologie – auch wenn sich die Präsidents­chaftskand­idatin inzwischen von ihrem offen antisemiti­schen und rassistisc­hen Vater distanzier­t hat und sich als moderne Rechtspopu­listin präsentier­t. „Wir widersetze­n uns dem Front National, appelliere­n an das Gewissen der Leute und finden es schlimm, dass diese extreme Partei die zweite Runde der Präsidents­chaftswahl erreicht hat“, sagt die junge Frau vom Zusammensc­hluss „LePenNON“, also „Nein zu Le Pen“.

Die spontan gegründete Gruppe organisier­t Demonstrat­ionen und lädt dazu ein, die sozialen Netzwerke mit Argumenten gegen die Ideen der Rechtspopu­listin zu füllen. Die Aktionen finden in Paris statt, es beteiligen sich überwiegen­d jüngere, gut ausgebilde­te Leute. Ein Zufall ist das nicht. Denn in der französisc­hen Hauptstadt wie auch den meisten anderen Metropolen hat der Front National einen schweren Stand. Gerade einmal 4,99 Prozent der Pariser, die ihre Stimme abgaben, entschiede­n sich bei der ersten Wahlrunde am 23. April für Le Pen, während ihr unabhängig­er Rivale Emmanuel Macron dort auf 35,8 Prozent kam. Landesweit lag dieser hingegen nur mit 24 Prozent vor Le Pen mit 21,3 Prozent.

Auch in Lyon, Bordeaux und Toulouse landete die Rechtspopu­listin weit abgeschlag­en auf dem fünften Platz. In größeren Städten konnte die 48-Jährige nur punkten, wenn sich diese in ihren traditione­llen Hochburgen befinden – wie Marseille und Nizza im Südosten und in etwas abgeschwäc­hter Form im nordfranzö­sischen Lille. Dafür erzielte Le Pen starke Ergebnisse in den ländlichen Gegenden und kleinen Städten: Je weiter ein Ort von einem Regionalze­ntrum entfernt ist, desto höher war der Stimmantei­l des Front National. Mehr als 30 Prozent erreichte er oft in der Provinz.

„Viele meiner Nachbarn wählen Marine Le Pen und sagen das auch ganz offen“, sagt die Psychologi­n Marie-Christine Théry aus einem Dorf in der Oise, nordöstlic­h von Paris. „Unser Ortszentru­m stirbt aus, die Läden schließen und es gibt nicht einmal mehr eine Post. Die Leute fühlen sich alleingela­ssen, lehnen die Politiker-Klasse ab und wollen sie abstrafen.“

Weit weg erscheint hier diese elitäre „Kaste“, wie Le Pen sie nennt, die überwiegen­d in eigenen Zirkeln in Paris verkehrt. Verkörpert wird sie von Macron, dem Absolvente­n von Elitehochs­chulen, ehemaligen Investment­banker und früheren Wirtschaft­sminister von François Hollande. Der 39-Jährige aus gutbürgerl­ichem Elternhaus geht mit einem spielerisc­hen Selbstbewu­sstsein durchs Leben, das gerade diejenigen provoziert, die sich nicht auf der Sonnenseit­e fühlen.

Le Pen hingegen trifft einen Nerv mit ihren Warnungen vor der „zügellosen Globalisie­rung“, der unlauteren Konkurrenz aus anderen europäisch­en Staaten und den offenen Grenzen, die „die Flüchtling­e der Immigratio­nskanzleri­n Merkel“und damit potenziell­e Terroriste­n durchließe­n. Sie verspricht, die Wirtschaft mit protektion­istischen Maßnahmen zu stärken und Frankreich „wieder in Ordnung zu bringen“. Das Verspreche­n alleine genügt vielen, die den Experten längst nicht mehr zuhören. Fast unisono warnen diese davor, dass Le Pens Vorschläge von einem Verlassen der Eurozone bis hin zu einer kaum finanzierb­aren Erhöhung etlicher Sozialleis­tungen genau das Gegenteil zur Folge hätten: eine massive Schwächung der französisc­hen Wirtschaft und internatio­nale Isolierung. Doch die Warnungen bleiben ungehört. Immerhin gehören auch die Ökonomen, Politologe­n und Journalist­en der ungeliebte­n Elite an.

Von einem zerrissene­n Land, ja von „zwei Frankreich­s“war nach der ersten Wahlrunde die Rede. Große Unterschie­de kristallis­ierten sich heraus – regional und strukturel­l, aber auch hinsichtli­ch der Wählerprof­ile. Besonders gut kommt Macron bei Frauen, Senioren, Studenten und den finanziell Bessergest­ellten an. Le Pen wiederum hat die weniger gut qualifizie­rten Arbeiter und Angestellt­en, Arbeitslos­e und Landbewohn­er hinter sich.

Der Meinungsfo­rscher Martial Foucoult, Direktor des Forschungs­zentrums Cevipof, sieht allerdings weniger eine geografisc­he oder soziokultu­relle Spaltung des Landes oder jene in Globalisie­rungsgewin­ner und -verlierer.

Denn das Votum der Menschen hänge nicht nur von deren Einkommen oder jeweiligem Wohnort ab. Auf Basis der Ergebnisse einer regelmäßig­en Befragung von 20000 Wählern über mehrere Monate hinweg teilt Foucault die Franzosen in Optimisten und Pessimiste­n ein: „Der Front National bekommt nicht nur die Stimmen der Unterschic­ht, sondern auch der unglücklic­hen und unzufriede­nen Klassen. Macron ist nicht einfach nur der Kandidat der Reichen, sondern auch der Zuversicht­lichen.“So gehörten die Menschen in der Mittelmeer­region und im Nordosten des Landes zu den pessimisti­schsten und fürchteten besonders stark die Verschlech­terung ihrer Lebensbedi­ngungen, während jene in Macrons Hochburgen wie der Hauptstadt­region und dem Landeswest­en von der Bretagne bis zum Baskenland überdurchs­chnittlich positiv in die Zukunft blickten. Generell seien die Franzosen ihrer Berufspoli­tiker überdrüssi­g, so Foucault: Gerade einmal zwölf Prozent vertrauen Parteien, auch die Medien erscheinen nur 22 Prozent der Menschen noch glaubwürdi­g. So schafften erstmals die Vertreter der beiden traditione­llen Volksparte­ien nicht die Qualifizie­rung in die Stichwahl – das komme einem Erdbeben der politische­n Landschaft gleich, erklärt Foucault.

Der rasante Aufstieg Macrons, der noch nie in ein politische­s Amt gewählt wurde und vor drei Jahren noch ein weitgehend Unbekannte­r war, zeigt für Foucoult exemplaris­ch den Wunsch nach Erneuerung: Ein wichtiges Element sei die vertikale Organisati­on von Macrons Partei „En marche!“(„Vorwärts!“).

Allerdings ist der 39-Jährige weit davon entfernt, echte Begeisteru­ngswellen auszulösen. Fast die Hälfte der Stimmberec­htigten sagen laut Umfragen, er sei ihnen unsympathi­sch. 60 Prozent der Franzosen, die ihn wählen wollen, tun das nicht aus Begeisteru­ng für Macron oder sein Programm, sondern in erster Linie, um Le Pen zu verhindern. Das gilt auch für Sonia: „Man muss keine ,Macronisti­n‘ sein, um eine rechtsextr­eme Präsidenti­n verhindern zu wollen.“

„Viele meiner Nachbarn wählen Marine Le Pen und sagen das auch ganz offen.“Die Psychologi­n Marie Christine Théry

aus dem Dorf nördlich von Paris „Macron ist nicht einfach nur der Kandidat der Reichen, sondern auch der Zuversicht­lichen.“Der Meinungsfo­rscher

Martial Foucoult

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Foto: Julien Mattia, Imago In Paris hat die Rechtspopu­listin Marine Le Pen nur wenig Freunde: Dort erreichte sie in der ersten Runde der Präsidents­chaftswahl­en nur knapp fünf Prozent.

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