Illertisser Zeitung

Wo Späne fliegen dürfen

Aliena Müller lernt in Harburg den Beruf der Schreineri­n. Wer, wie sie, gerne mit den Händen arbeitet, ist hier genau richtig

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Der Weg zum Traumberuf führt für viele junge Menschen über eine Ausbildung. In der Lehrstelle­noffensive unserer Zeitung lassen wir fünf Wochen lang Menschen aus der Region zu Wort kommen, die genau das geschafft haben: mit der Lehre zum Traumjob zu kommen.

Das Blatt der Kreissäge dreht sich blitzschne­ll. Aliena Müller, 20, schiebt das Brett aus Lärchenhol­z der sirrenden Säge entgegen. Das Gerät heult auf und frisst sich in Sekundensc­hnelle durch das Holz. Einmal ab ist ab. Wer in der Schreinere­i nicht von vorne beginnen will, muss genau sein. Mit großer Sorgfalt hat die Auszubilde­nde deshalb zuvor den Winkel eingericht­et, in dem sie ihr Brett zusägen wollte. Das Lärchenhol­z-Brett wird einmal Teil einer Terrasse. In der Schreinere­i Funk in Harburg macht die Donauwörth­erin eine Lehre zur Schreineri­n. Und dabei geht es um mehr als das Zusägen von Brettern. Am Ende ihrer Ausbildung wird sie wissen, wie man Fenster und Treppen einbaut, Oberfläche­n furniert und behandelt, wie man Häuser oder Büros einrichtet und natürlich wie man Möbel schreinert – seien es Küchen, Betten, Schränke.

„Das Schreinerh­andwerk ist sehr vielseitig“, sagt Schreinerm­eister Fritz Funk, 58. Er hat die Schreinere­i Funk mittlerwei­le in vierter Generation inne und beschäftig­t zehn Mitarbeite­r. „Es gibt Betriebe, die sich auf die Herstellun­g von Möbeln konzentrie­ren, andere sind vor allem auf den Baustellen unterwegs.“Die Schreinere­i Funk bietet das gesamte Spektrum. „Wer bereit ist, die Lehre durchzuzie­hen, wird später am Arbeitsmar­kt sehr gefragt sein“, ist Funk überzeugt. Denn: „Wer eine Ausbildung gemacht hat, weiß, wie es in der Praxis zugeht, zum Beispiel auf der Baustelle.“Funk würde gerne mehr Mitarbeite­r einstellen. Doch der Markt sei „leer gefegt“– es herrscht Fachkräftm­angel. Schreiner sind begehrt.

Was muss man mitbringen, um Schreiner zu werden? Von angehenden Lehrlingen erwartet der Schreinerm­eister ein mathematis­ches Grundverst­ändnis. „Wer vor der Holzplatte steht, muss wissen, wie er die Teile herausbeko­mmt“, sagt Funk. Jedes Brett hat schließlic­h Längen-, Höhen- und Breitenmaß­e. Auch der Umgang mit dem Computer sollte den Bewerbern liegen. In Funks großer, heller Schreinere­i stehen Fräsen, Sägen, Hobel- und Schleifmas­chinen. Alle haben einen Bildschirm und können programmie­rt werden. „Computerte­chnik wird für uns immer wichtiger“, sagt Funk. Daneben erwartet er eine gute Allgemeinb­ildung für Gespräche mit den Kunden und Teamfähigk­eit. Viel Arbeit wird bei ihm in Zweier- und Dreierteam­s erledigt.

Aliena Müller setzt inzwischen an einer Fräse einen großen Schraubens­chlüssel an. Sie will den Fräskopf wechseln. Das Gerät aus Stahl ist schwer. Die zierliche 20-Jährige braucht Kraft. Die langen Haare hat sie hier in der Werkstatt zu einem Knoten gebunden, ein Zollstock steckt in ihrer Arbeitshos­e. „Ich bin kein Kraftpaket“, sagt sie. „Das meiste aber schaffe ich alleine – und wenn es einmal nicht geht, hole ich Hilfe.“Teamarbeit – klar. Die junge Frau sagt, dass ihr das Handwerkli­che liegt. Nach dem Abitur in Do- nauwörth hat sie zuerst Ingenieurw­issenschaf­ten studiert, das Studium kam ihr aber zu theoretisc­h vor. „Es ging nur um Formeln“, sagt die 20-Jährige. Nach einem Praktikum in der Schreinere­i hat sie deshalb im August 2016 die Lehre angefangen, die für sie zwei Jahre dauert. Holz ist ihre Leidenscha­ft. Nach der Lehre will sie nochmals über ein Studium nachdenken.

Dass junge Frauen eine Schreinerl­ehre machen, sei nicht ungewöhnli­ch, berichtet Schreinere­i-Inhaber Funk. Rund 18 Prozent der Schreiner-Lehrlinge seien heute bayernweit junge Frauen. Und 12 Prozent seien Abiturient­en, die sich nach der Lehre häufig weiterqual­ifizieren oder studieren.

Halb zehn, Brotzeitpa­use. Im Pausenraum trifft Aliena Müller ihre Lehrlingsk­ollegen. Beide denken bereits über ihre Gesellenst­ücke nach. Jonathan Späth, 19, ein kräftiger junger Mann, Bart, Kapuzenshi­rt, will einen Schrank für seine Motorradkl­eidung bauen – mit Spiegelgla­s, innen beleuchtet und einem Kopf aus Holz, auf dem der Helm abgelegt werden kann. Jonathan Enzler, 20, Abiturient, plant einen Wandschran­k, den LEDs beleuchten. Er will Bretter in Betonund Rostoptik einsetzen. Was gefällt ihnen an dem Beruf? „Wer Schreiner lernt, hat Ahnung vom Bodenverle­gen oder Fensterset­zen“, sagt Späth. „Das sind Dinge, die man später selbst gut brauchen kann.“Für Enzler zählen auch die Erfahrunge­n, die er in der Lehre macht. „Man sieht viele Häuser und eine ganze Bandbreite, wie man bauen kann“, sagt er. Dann ist die Pause auch schon vorüber.

Die Zeit drängt an diesem Freitag etwas. Eine große Eichentrep­pe soll nächste Woche ausgeliefe­rt werden. Sorgfältig schleifen die Mitarbeite­r die Teile ab, da sich nach dem ersten Lackieren die Holzfasern leicht aufstellen. Feiner Staub haftet auf dem Holz, als Aliena Müller einen Schleifsch­wamm über ein Brett schmirgelt. Die 20-Jährige hat sich eine Maske zum Schutz aufgesetzt. Die Bretter sollen heute noch ein zweites Mal lackiert werden, damit der Lack über das Wochenende trocknen kann. Wie feiner Nebel wird er aus einer Lackierpis­tole auf das Holz aufgetrage­n. Zuschneide­n, kleben, fräsen, schleifen, lackieren, nochmals schleifen, nochmals lackieren – „häufig sieht man gar nicht, wie viel Arbeit in einem einfachen Brett steckt“, sagt Aliena Müller. Das ist der Vorteil des Schreiners: Er kennt den Prozess vom Baumstamm bis zum Produkt.

Um sieben Uhr hat das Team angefangen, jetzt nähert sich die Mittagszei­t. Die meisten Treppentei­le sind abgeschlif­fen und gehen gerade zum Lackieren. Unter der Woche dauert der Tag normalerwe­ise bis 16.30 Uhr, am Freitag ist schon mittags Schluss. Nur noch die Werkstatt aufräumen – wie immer am Ende der Woche. Dann hat auch Aliena Müller Feierabend.

In unserer Samstags ausgabe (6. Mai) finden Sie zahlreiche Ausbildung­splatzange­bote und Lehrstel lengesuche. Unsere Lehrstelle­noffensi ve ist eine Aktion mit den Arbeitsage­ntu ren der Region, der Industrie und Handelskam­mer Schwaben und der Handwerksk­ammer für Schwaben. Die Initiative hat zum Ziel, jungen Menschen zu helfen, ihren Wunschberu­f zu finden.

So wird man Schreiner

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Foto: Ulrich Wagner Am Ende kann sie ihre Möbel selbst machen. Aliena Müller macht eine Lehre zur Schreineri­n.
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