Illertisser Zeitung

Jede dritte Geburt ist ein Kaiserschn­itt

In den vergangene­n 25 Jahren hat sich die Quote im Freistaat verdoppelt. Warum Hebammen die Zahlen kritisch sehen und Ärzte dennoch häufig zum Skalpell greifen

- VON STEPHANIE SARTOR (mit dpa)

Ein kleiner Schnitt, etwa acht bis 15 Zentimeter lang, ist für jedes dritte bayerische Baby der Weg ins Leben. Das geht aus aktuellen Zahlen der Kaufmännis­chen Krankenkas­se (KKH) hervor, einer der großen bundesweit­en gesetzlich­en Kassen mit 1,8 Millionen Versichert­en. Demnach lag 2016 der Anteil der Kaiserschn­ittentbind­ungen bei der KKH in Bayern bei 33,1 Prozent – fast identisch mit dem Wert aus dem Vorjahr. Damit liegt der Freistaat weiterhin leicht über dem Bundesdurc­hschnitt. Den beziffert die KKH für das Jahr 2016 mit 31,2 Prozent – ein kleiner Rückgang im Vergleich zum Vorjahr. Denn 2015 lag die Kaiserschn­ittquote in Deutschlan­d noch bei 31,8 Prozent.

Zwischen den einzelnen Bundesländ­ern gibt es bei der Anzahl der Kaiserschn­itte enorme Unterschie­de. In Bayern ist die Quote besonders hoch – die Zahlen der Krankenkas­se zeigen, dass es 2016 nur in Hamburg, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und im Saarland mehr Kaiserschn­ittgeburte­n als im Freistaat gab. Die wenigsten Kaiserschn­ittentbind­ungen, 20,3 Prozent aller Geburten, gab es in Sachsen. Die meisten mit über 39 Prozent im Saarland.

Alle diese Zahlen sind dem bayerische­n Hebammen Landesverb­and viel zu hoch. „Nur zehn bis 15 Prozent wären gerechtfer­tigt“, sagt Astrid Giesen, die Vorsitzend­e des Verbandes. Ihrer Meinung nach profitiere­n Babys mehr von einer natürliche­n Geburt: „Das Kind bekommt dabei eine hormonelle Stimulatio­n. Kinder, die mit einem Kaiserschn­itt geholt werden, haben häufig Anpassungs­probleme.“

Für Giesen führt unter anderem die Einstellun­g der Frauen zu der nach wie vor hohen Zahl an Kaiserschn­itten: „Es liegt im Trend, dass alles planbar ist. Und eine natürliche Geburt ist das eben nicht.“Hauptursac­he sei aber eine ganz andere: Giesen glaubt, dass die Gründe vor allem haftungsre­chtlicher Natur sind. Denn mit einem Kaiserschn­itt seien Geburtshel­fer auf der sicheren Seite, weil sie rechtlich besser abgesicher­t seien. „Man müsste das Haftungsre­cht neu überdenken“, fordert sie.

Dass entscheide­nde Gründe für die hohe Anzahl an Kaiserschn­itten die bessere rechtliche Absicherun­g und auch eine geringere Risikobere­itschaft der Geburtshel­fer sind, sagt auch Prof. Dr. Arthur Wisch- Chefarzt der Frauenklin­ik am Augsburger Klinikum. Er macht deutlich: „Es gibt viele Prozesse wegen kindlicher Schäden bei einer vaginalen Geburt. Aber ich wüsste keinen, der wegen eines überflüssi­gen Kaiserschn­itts geführt worden wäre.“Daraus abzuleiten, dass Kaiserschn­itte generell sicherer seien, ist seiner Ansicht nach aber falsch. „Wenn eine vaginale Geburt so vonstatten geht, wie man es sich wünscht, ist sie absolut eine sichere Sache“, sagt der Mediziner und ergänzt: „Aber bei einem schlechten Herzfreque­nzmuster wird man heute einen Kaiserschn­itt machen. Ich halte es auch für legitim, wenn Geburtshel­fer den Schutz ihrer eigenen Belange im Kopf haben. Denn bei einem Geburtssch­aden wird immer prozessier­t – und wenn das nicht die Eltern machen, dann die Krankenkas­sen.“

Nicht nur bei einem schlechten Herzfreque­nzmuster greifen die Ärzte zum Skalpell. Sondern etwa auch dann, wenn wegen der Größe des Babys oder einer atypischen Lage der normale Geburtsweg nicht ausreicht oder das Kind in der Gebärmutte­r mangelvers­orgt wird und zu wenig Sauerstoff bekommt. „In so einem Fall könnte das Gehirn des Kindes in Mitleidens­chaft gezogen werden“, sagt Wischnik.

2163 Geburten gab es im vergangene­n Jahr an der Augsburger Frauenklin­ik, ein Drittel der Kinder kam per Kaiserschn­itt zur Welt. Nur etwa ein Sechstel davon seien aber geplante Wunschkais­erschnitte gewesen. „Die Zahl der Wunschkais­erschnitte wird oft überschätz­t“, sagt Wischnik. Dennoch haben sie über die Jahre zugenommen. Denn: „Bis Mitte der 90er Jahre haben wir den Frauen gesagt, dass sie sich einem erhöhten Risiko aussetzen, wenn sie sich einer Operation unterziehe­n. Aber das ist heute kein Argument mehr, um einer Frau einen Wunschkais­erschnitt zu versagen.“

Wie sehr sich die Kaiserschn­ittquote in den vergangene­n Jahrzehnni­k, ten verändert hat, zeigt auch ein Blick auf die Zahlen des Bayerische­n Landesamts für Statistik. Seit dem Jahr 1991, als noch rund 16 Prozent der Babys mit einem Kaiserschn­itt auf die Welt geholt wurden, hat sich die Anzahl in Bayern mittlerwei­le in etwa verdoppelt. Dieser enorme Anstieg gilt aber nicht nur für den Freistaat, sondern auch für die Quote auf Bundeseben­e.

Auf diese Entwicklun­g reagieren nun die Grünen. Sie wollen die Kaiserschn­ittrate senken. Dafür sollen Hebammen und Ärzte verstärkt für Mehrlingsg­eburten und Risiken wie die Beckenendl­age des Babys, bei der das Kind nicht mit dem Kopf nach unten im Mutterleib liegt, trainiert werden, heißt es in einem aktuellen Beschluss der Bundestags­fraktion.

Außerdem soll nach dem Willen der Grünen die Vergütung für natürliche Geburten der von Kaiserschn­itten angepasst werden – denn bisher können Krankenhäu­ser mehr abrechnen, wenn ein Kind mit einem Kaiserschn­itt auf die Welt kommt.

Für die Kliniken ist es eine einfache Rechnung: mehr Kaiserschn­itte, mehr Geld. Nach Angaben des Bayerische­n Hebammen Landesverb­andes bekommen Krankenhäu­ser für eine Geburt im Operations­saal doppelt so viel bezahlt wie für eine natürliche Entbindung. Die Grünen wollen das nun ändern. Geht es nach ihnen, sollen die Sätze angepasst werden. Der Vorstoß ist richtig. Denn ums Geld sollte es bei einer Geburt, die zum wichtigste­n Ereignis im Leben einer Frau gehört, nicht vorrangig gehen.

Die Situation aber nur mit monetären Vorteilen zu erklären wäre zu kurz gegriffen. Es gibt noch weitere Gründe, warum so viele Kinder im OP geboren werden. Dazu zählt vor allem die bessere rechtliche Absicherun­g von Geburtshel­fern bei Kaiserschn­itten. Dass sie nicht nur an die Belange der Frauen, sondern auch an ihr eigenes Risiko denken und lieber auf Nummer sicher gehen, ist absolut nachvollzi­ehbar.

Nicht zuletzt ist die hohe Zahl an Kaiserschn­itten auch auf unser modernes Leben, den Zeitgeist, die Emanzipati­on, zurückzufü­hren. Frauen sind heute viel selbstbest­immter als noch vor 20 Jahren. Wenn eine Mutter einen geplanten Kaiserschn­itt machen lassen möchte, dann soll sie das auch tun können. Ohne sich rechtferti­gen zu müssen.

Die Grünen wollen die Zahl der Kaiserschn­itte senken

 ?? Foto: Daniel Karmann, dpa ?? Bei etwa einem Drittel der Geburten wird ein Kaiserschn­itt gemacht. Geplante Wunschkais­erschnitte machen nur einen kleinen Teil aus. Häufig geben medizinisc­he Gründe den Ausschlag – und die bessere rechtliche Absicherun­g.
Foto: Daniel Karmann, dpa Bei etwa einem Drittel der Geburten wird ein Kaiserschn­itt gemacht. Geplante Wunschkais­erschnitte machen nur einen kleinen Teil aus. Häufig geben medizinisc­he Gründe den Ausschlag – und die bessere rechtliche Absicherun­g.

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