Illertisser Zeitung

Trauer und Rätsel nach Mord in Prien

Hat ein Flüchtling am Chiemsee eine Frau aus religiösen Gründen auf offener Straße erstochen? Die Polizei schließt das nicht aus. Der Gemeindepf­arrer sieht das anders

- Von Paul Winter, dpa

Der gewaltsame Tod einer vom muslimisch­en Glauben zum Christentu­m konvertier­ten vierfachen Mutter aus Afghanista­n hat eine kontrovers­e Debatte über ein womöglich religiöses Motiv der Bluttat ausgelöst. Während die Polizei in ihre Ermittlung­en sehr wohl einbezieht, dass das Opfer Christin war und der ebenfalls aus Afghanista­n geflüchtet­e mutmaßlich­e Täter Muslim ist, verneint die evangelisc­he Kirche einen religiösen Hintergrun­d. Der Bürgermeis­ter von Prien am Chiemsee, wo das Verbrechen geschah, will sich indes gar nicht an der Debatte über das Tatmotiv beteiligen. An diesem Donnerstag wird die Frau auf dem örtlichen Friedhof beerdigt.

Die 38-Jährige war am Samstagabe­nd vor den Augen ihrer kleinen Kinder vor einem Supermarkt in der oberbayeri­schen Gemeinde niedergest­ochen worden. Sie starb wenig später im Krankenhau­s. Die Mutter von zwei erwachsene­n und zwei minderjähr­igen Söhnen hatte sich in der evangelisc­hen Kirchengem­einde engagiert und galt als mustergült­ig integriert. Ein 29-Jähriger ist dringend tatverdäch­tig. Der laut Polizei geständige Mann wird in einer Nervenklin­ik behandelt. Priens evangelisc­her Pfarrer Karl-Friedrich Wackerbart­h sucht das Motiv in der seelischen Erkrankung des mutmaßlich­en Täters. „Ich tue mich schwer, das Verbrechen an unserem Gemeindemi­tglied als religiös motiviert zu sehen“, sagte der Seelsorger am Mittwoch. „Anlass und Motiv der Tat sind beliebig austauschb­ar.“In seiner Kirchengem­einde herrsche große Trauer, erläuterte Wackerbart­h. „Ich hatte gehofft, dass so etwas nie bei uns passiert.“

Der Pfarrer machte aber auch klar, dass sich die Gemeinde intensiv um die evangelisc­h getauften Buben der Getöteten im Alter von fünf und elf Jahren kümmere. Nach Polizeiang­aben sind die Kinder stark traumatisi­ert. Zwei erwachsene Söhne sind laut dem Pfarrer Muslime geblieben. Auch Priens Bürgermeis­ter Jürgen Seifert (parteilos) äußerte sich erschütter­t. „Die Tat ist mit menschlich­em Vermögen nicht zu fassen“, sagte der Rathausche­f des 10000 Einwohner zählenden Kurortes. Die Getötete „war gelebte Integratio­n“, sagte Seifert. Die 38-Jährige sei ein lebensbeja- hender, positiver Mensch gewesen, der sich in Kirche und Gemeinde einbrachte. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie man einen Menschen offensicht­lich deshalb umbringen kann.“Der Bürgermeis­ter ergänzte, dass besonders im Helferkrei­s Asyl der Gemeinde große Trauer herrsche.

Dies betreffe auch die Betreuer des mutmaßlich­en Täters, mit dem es bisher „ein hervorrage­ndes Auskommen gab“. Der seit 2013 in Deutschlan­d lebende Afghane habe den Status eines geduldeten Flüchtling­s gehabt. Er war in Prien zusammen mit anderen Migranten in einer Wohnung untergebra­cht. Erst seit dem Ablehnungs­bescheid als anerkannte­r Flüchtling Ende 2016 habe sich der 29-Jährige seelisch verändert. Er sei seitdem mindestens zwei Mal stationär in psychiatri­scher Behandlung gewesen, sagte Seifert.

Der Rathausche­f will sich nicht an den Spekulatio­nen zum Tatmotiv beteiligen: „Ich werde mich zu einem möglichen Motiv nicht äußern, solange die Ermittlung­en nicht abgeschlos­sen sind.“Sie dürften noch eine Weile dauern.

Die Polizei sprach von schwierige­n Ermittlung­en, bedingt auch durch Sprachbarr­ieren. Die Kripo brauche zertifizie­rte Dolmetsche­r, um eine höchstmögl­iche Aussagegen­auigkeit zu erzielen. Der Tatverdäch­tige habe die tödlichen Messerstic­he gestanden, sagte Polizeispr­echer Andreas Guske. „Er machte bisher jedoch keine Angaben zu seiner Motivlage.“Guske ergänzte, dass bei der Aufklärung der Tat „auch intensive Nachforsch­ungen in Bezug auf eine mögliche religiöse Motivation“angestellt würden.

Eine Beziehungs­tat scheidet für die ermittelnd­e Kriminalpo­lizei offenbar aus. Opfer und mutmaßlich­er Täter hätten sich zwar gekannt, aber wohl nur flüchtig. Die Mutter – sie kam vor sechs Jahren nach Deutschlan­d – lebte mit ihren kleinen Kindern in einer eigenen Wohnung. Die 38-Jährige wird heute nach einer kirchliche­n Trauerfeie­r auf dem Priener Friedhof beerdigt.

Ende 2016 erhielt der afghanisch­e Asylbewerb­er seinen Ablehnungs­bescheid

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