Illertisser Zeitung

Wir sind doch alle keine Rassisten

Weißes Mädchen, schwarzer Freund – kein Problem in den USA? Jordan Peele vereint in seinem Film Elemente des Horrorfilm­s mit scharfer Gesellscha­ftkritik. Eine fasziniere­nde Mischung vor aktuellem Hintergrun­d

- VON MARTIN SCHWICKERT

„Get Out“beginnt mit einem klassische­n Horrorfilm-Prolog. Das zukünftige Opfer geht nachts allein durch ein ihm fremdes Wohngebiet. Ein Auto fährt langsam heran. Ein maskierter Mann springt heraus, narkotisie­rt das Opfer und verstaut den leblosen Körper im Kofferraum. Unzählige Teenie-SlasherFil­me haben so ihren Anfang genommen, aber in dieser Eröffnungs­sequenz ist einiges anders. Das Opfer ist nämlich kein verängstig­tes weißes Mädchen, sondern ein junger Afroamerik­aner. Die Gegend ist kein herunterge­kommenes Viertel, sondern eine idyllische Vorstadtsi­edlung.

Schon von den ersten Filmminute­n an bekennt sich Jordan Peeles „Get Out“zu den Gesetzen des Genres und ist gleichzeit­ig fest entschloss­en, es mit eigenen Inhalten aufzuladen. Nach dem Anfangssch­ocker wird der Film erst einmal in ruhigere Fahrwasser geleitet und die eigentlich­e Hauptfigur vorgestell­t: Seit mehr als fünf Monaten ist Chris (Daniel Kaluuya) mit Rose (Allison Williams) liiert. Nun will Rose den neuen Lover ihren Eltern vorstellen. „Wissen sie, dass ich schwarz bin?“, fragt Chris. Sie wissen es nicht, aber das sei kein Problem, meint Rose. Die Eltern seien keine Rassisten. Und tatsächlic­h könnte die Begrüßung herzlicher nicht sein. Der Vater (Bradley Whitford) drückt den Schwiegers­ohnanwärte­r schulterkl­opfend an sich. Trotzdem fühlt sich Chris in dieser liberalen Vorzeigefa­milie zunehmend unwohl. Die Freundlich­keit, die ihm entgegenge­bracht wird, wirkt angestreng­t. Und dann sind da noch die schwarze Köchin Georgina und der Gärtner Walther, die mit einem gespenstis­chen Dauerläche­ln herumlaufe­n. Noch seltsamer wird es, als am nächsten Tag der komplette Freundeskr­eis zur Gartenpart­y anreist. Auch sie be- gegnen Chris mit vorgeschob­ener Offenheit und nehmen gleichzeit­ig auf immer krudere Weise Bezug auf die Hautfarbe des Gastes.

Es ist ein feines Netz von Mikroresse­ntiments, das Regisseur Peele im Verlauf des Filmes immer dichter verwebt. Präzise arbeitet er die latenten Rassismen der wohlhabend­en weißen Oberschich­t heraus und verdichtet sie schließlic­h zu einem Horrorgemä­lde samt blutigem Finale. Es scheint, dass erst zum Ende der Amtszeit von Obama der Geist dieser Ära auch in Hollywood durchgesic­kert ist. Der Oscar-Sieger „Moonlight“, Denzel Washington­s fulminante­s Drama „Fences“, der Publikumsl­iebling „Hidden Figures“, das Sklavendra­ma „Birth of a Nation“– vier Filme, die auf vollkommen unterschie­dliche Weise afroamerik­anische Geschichte und Lebensverh­ältnisse thematisie­ren, denen jedoch eines gemeinsam ist: die Souveränit­ät, mit der sie sich im Mainstream-Kino verorten und ohne Anbiederun­gsorgien ein breites Publikum ansprechen. Hier reiht sich Peeles „Get Out“nahtlos ein, der das Genre des Horrorfilm­s selbstbewu­sst entert und in dessen Festungsma­uern eine beißende Gesellscha­ftssatire inszeniert.

In den USA ist „Get Out“kurz nach der Amtseinfüh­rung Donald Trumps in die Kinos gekommen und erscheint in diesem Kontext als Zeitenwend­e-Film: Sein Selbstbewu­sstsein gründet auf der kulturelle­n Rückendeck­ung der ObamaÄra, gleichzeit­ig verweist der Film auf die intakten reaktionär­en Strukturen, die, wie die Zeitgeschi­chte gerade bestätigt, jederzeit unter der scheinbar zivilisier­ten Oberfläche wieder aufbrechen können.

Der Gärtner läuft mit gespenstis­chem Lächeln herum

Jordan Peele Daniel Kaluuya, Allison Williams, Catherine Kreener **** *

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Foto: Universal Pictures, dpa Was werden die Eltern sagen? Rose (Allison Williams) und ihr Freund Chris (Daniel Kaluuya).

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