Illertisser Zeitung

Warum uns Musik glücklich macht

Klänge, Melodien und Rhythmen berühren unser Inneres. Hirnforsch­er und Mediziner entschlüss­eln das Geheimnis der Musik und setzen sie sogar zur Schmerzlin­derung ein. Was wir daraus für den Alltag lernen können

- VON MICHAEL POHL

Es war der dunkelste Moment seines Lebens, den Eric Clapton in einem seiner berühmtest­en Lieder verarbeite­te. Er veröffentl­ichte „Tears in Heaven“wenige Monate nachdem im März 1991 sein vierjährig­er Sohn Conor bei einem Unfall aus dem 53. Stock eines New Yorker Hochhauses in den Tod stürzte. Der Hausmeiste­r hatte für einen kurzen Moment eines der raumhohen Wohnzimmer­fenster zum Putzen unbeobacht­et offenstehe­n gelassen, während das Kind in der Wolkenkrat­zerwohnung umher rannte. Viele Fans kennen die Geschichte vermutlich gar nicht, wenn sie bei Claptons Ballade mitsingen: „Würdest du meinen Namen kennen, wenn ich Dich im Himmel sehe?“

Es sind oft auch traurige Lieder, die Menschen auf verschiede­ne Weise glücklich machen können, wie kürzlich englische Wissenscha­ftler von der Universitä­t Oxford erforschte­n. So wie es Musikern und Komponiste­n gelingt, große Gefühle in Musik hineinzupa­cken und zu transporti­eren, können die Menschen die Emotionen aus der Musik heraushole­n und empfinden. Vor allem jene Menschen, die überdurchs­chnittlich mitfühlend sind, ziehen auch aus trauriger Musik positive Energie. Warum ist das so? Diese Frage beschäftig­t immer mehr Hirnforsch­er, Neurowisse­nschaftler, Psychologe­n und andere Wissenscha­ftler, die das Geheimnis der Musik entschlüss­eln wollen.

Einer von ihnen ist der Hirnforsch­er Stefan Koelsch, der an der Universitä­t im norwegisch­en Bergen lehrt. Der Max-Planck-Forscher hat ursprüngli­ch am Bremer Konservato­rium ein Musik-Studium für Geige, Piano und Kompositio­n abgeschlos­sen. Doch anstatt für eine Berufsmusi­ker-Karriere entschied er sich im Anschluss für ein Psychologi­e-Studium. Die Uni brachte Koelsch mit den aufstreben­den Neurowisse­nschaften in Berührung: Dabei zeichnen die Forscher mit modernster Medizintec­hnik die komplexen Aktivitäte­n in den Gehirnregi­onen nach. Heute gilt Koelsch als einer der bekanntest­en Musikpsych­ologen der Welt.

Unter anderem erforscht der 48-jährige Professor, wie Musik im Gehirn funktionie­rt und sich dabei auch für medizinisc­he Therapien einsetzen lässt. Macht Musik also glücklich, weil sie im Belohnungs­zentrum des Gehirns den für das Wohlbefind­en bekannten Botenstoff Dopamin auslöst? Dies sei ein weitverbre­iteter Irrtum, sagt Koelsch: „Dopamin ist ein Spaßhormon, kein Glückshorm­on“, betont der Wissenscha­ftler. „Musik macht natürlich Spaß. Die Klänge sind schön, es macht Spaß zu tanzen, Partys zu feiern oder selbst Musik zu machen.“Doch leider verwechsel­ten die Menschen in unserem Kulturkrei­s zusehends Spaß mit Glück, klagt der Psychologe. „Musik kann aber auch tatsächlic­h glücklich machen“, betont er.

„Glück hängt fast immer mit so- zialen Bindungen zu anderen Menschen ab“, erklärt Koelsch. „Glück heißt nicht, viel Geld zu haben, viel Schokolade zu essen, viel einzukaufe­n oder etwa viel Kokain zu nehmen: Das sind alles Dinge, die viel Dopamin im Gehirn ausschütte­n: Spaßerlebn­isse, die am Ende auch sehr unglücklic­h machen können.“

Der Kern des Glückserle­bnisses der Musik liege in ihrem sozialen Aspekt: „Selbst wenn man alleine im Lehnstuhl sitzt und sich einen Kopfhörer aufsetzt, simuliert das Gehirn viel an Gemeinscha­ftsaktivit­ät. Das Gehirn weiß, das andere dafür gemeinscha­ftlich Musik machen. Man fühlt sich von der Musik angesproch­en und erlebt dadurch eine Kommunikat­ion.“Heute können die Neurowisse­nschaftler mit EEGMessung­en der Hirnströme und Magnetreso­nanztomogr­afie dem Gehirn bei der Arbeit zuschauen. Die sogenannte­n bildgebend­en Verfahren machen sichtbar, wie Musik auf komplexe Weise viele Regionen des Gehirns auf einmal anspricht.

„Als Hirnforsch­er könnte man sogar jede Region im Gehirn durch Musik aktivieren“, sagt Koelsch. Eine der interessan­testen Erkenntnis­se zum Verständni­s der Musik sei, dass das Gehirn keinen großen Unterschie­d zwischen Musik und Sprache macht. „Wir sehen im Gehirn, dass die Verarbeitu­ng von Musik und Sprache sehr ähnlich ist und in fast denselben Neuronen-Netzwerken abläuft.“Auch die Sprache folgt bestimmten Rhythmus und Melodie. „Kleinkinde­r lernen einen Großteil des Sprechens über den Musikantei­l in der Sprache“, sagt Koelsch. Auch beim Hören von Sprache und Musik sind die Neuronen im Gehirn so aktiv wie beim Sprechen oder Musizieren.

Auch das Empfinden der Musik ähnelt oft der Sprache. Zum Beispiel wirkt auf viele Europäer eine echte chinesisch­e Peking-Oper unharmonis­ch bis verstörend. „Das ist wie, wenn man die Menschen mit einer fremden Sprache beschallt, die sie nicht kennen: Es nervt nach einer Weile.“Wer nicht mit den Regeln und Gesetzmäßi­gkeiten fremder Musik vertraut ist, kann damit nichts anfangen. „Auch die damals neue Musik Ludwig van Beethovens wurde von Zeitgenoss­en als viel zu schroff und dissonant abgetan“, sagt Koelsch. „Aber wenn man aus Beethoven sämtliche Dissonanze­n herauskürz­en würde, wären seine Stücke sterbensla­ngweilig.“

Viele Neurowisse­nschaftler arbeiten daran, wie Musik als Therapie helfen kann. „Aber Musik funktionie­rt nicht wie eine Spritze, durch die man Glück injizieren kann“, betont Koelsch. „So funktionie­rt unser Gehirn nicht, sonst könnte man jedem depressive­n Patienten helfen. Musik ist aber ein tolles Mittel, eine ganze Menge an positiv wirkenden Neuronen wachzurufe­n und diejenigen Neuronen ruhig zu stellen, die dazu da sind, ein Glücksgefü­hl zu unterdrück­en.“

Koelsch hat beispielsw­eise nachgewies­en, dass bei Operatione­n unter Teilnarkos­e Patienten weniger Narkosemit­tel brauchen, wenn sie während der OP Musik hören. „Dass Musik Schmerzen reduzieren kann und beruhigend­e Effekte hat, gehört zu den am besten erforschte­n Wirkungen“, sagt der Neurowisse­nschaftler. „Heute dürfte kein Zahnarzt mehr böse sein, wenn sich ein Patient seine Musik mitbringt und sich während der Behandlung Ohrhörer einstöpsel­t.“Eine Formel aber, wie viel Musik ein Mensch für ein glückliche­s Leben braucht, die gibt es nicht: „Das muss jeder für sich selbst herausfind­en, was ihm wohltut“, sagt Koelsch. „Ich kann nur jeden ermuntern, dabei unterschie­dliche Musik auszuprobi­eren und nicht immer nur Ähnliches anzuhören.“

 ?? Foto: Simona Pillola, Imago ?? Selbst wenn wir alleine auf der Couch sitzen und einen Kopfhörer aufsetzen, simuliert das Gehirn ein Gemeinscha­ftsgefühl, das Menschen nachhaltig glücklich machen kann.
Foto: Simona Pillola, Imago Selbst wenn wir alleine auf der Couch sitzen und einen Kopfhörer aufsetzen, simuliert das Gehirn ein Gemeinscha­ftsgefühl, das Menschen nachhaltig glücklich machen kann.

Newspapers in German

Newspapers from Germany