Illertisser Zeitung

Ein Plan für die Stunde des Friedens in Aleppo

Für den Wiederaufb­au der Weltkultur­erbe-Stadt mit ihrer mehrtausen­djährigen Geschichte haben deutsche und syrische Wissenscha­ftler eine detaillier­te Kartografi­e erarbeitet. Moderne Neubauten sollen verhindert werden

- VON SEBASTIAN MAYR

Viel fehlt nicht mehr. Ein paar rechtliche Fragen sind noch zu klären, dann wollen Christoph Wessling und seine Kollegen zum ersten Mal einen Zwischenst­and ihres Projekts ins Netz stellen: Einen Plan der historisch­en Altstadt von Aleppo. Den Plan einer Stadt, die es so nicht mehr gibt.

Aleppo ist zu einem Symbol des syrischen Bürgerkrie­gs geworden, wohl weil es syrische Geschichte und Großstadt vereint. Es ist eine Stadt mit außergewöh­nlichen Bauwerken wie der Umayyaden-Moschee und der Zitadelle. Eine Stadt, die seit 5000 Jahren durchgehen­d besiedelt ist.

Das Besondere am Weltkultur­erbe von Aleppo sei, dass nicht über eine antike Ausgrabung­sstelle gesprochen werde, sondern über eine lebendige Altstadt, die bis heute das Zentrum der Stadt ist – so sagt es Christoph Wessling. Der 50-jährige Architekt und Stadtplane­r lehrt an der Universitä­t Cottbus und kennt Aleppo durch etliche eigene Besuche. Seit mehr als zehn Jahren besteht eine Kooperatio­n zwischen der Brandenbur­ger Universitä­t und der Uni in Aleppo. Bestimmt zehn Mal sei er dort gewesen, zuletzt im März 2012, berichtet Wessling, Mitarbeite­r des Cottbuser Lehrstuhls Städtebau und Entwerfen. Da war der Bürgerkrie­g in Syrien bereits im Gange.

Im Flur von Lehrgebäud­e 2A auf dem Cottbusser Campus hängen großformat­ige Ausdrucke der Altstadtka­rte. 16 000 Parzellen haben Christoph Wessling und seine Mitarbeite­r auf dem Plan eingezeich­net und zusätzlich etwa 400 einzelne Grundrisse wichtiger Gebäude erstellt. Er zeigt die erste detaillier­te Gesamtansi­cht der Stadt, entworfen im Maßstab 1:500. Wir wollen nicht die Einzelgebä­ude erhalten, sondern die Stadtstruk­tur, die das Besondere ist, betont Wessling.

Diese Altstadtka­rte wird an Partner arabischer Universitä­ten und an Architekte­n-Initiative­n verschickt, die das Welterbe erhalten wollen. Und sie soll bald auf der Internetse­ite der Universitä­t zum Download bereit stehen.

Die Altstadtka­rte ist Teil eines größeren Projekts, das vom Auswärtige­n Amt gefördert wird. Das Projekt heißt „Stunde Null“und soll die Voraussetz­ungen dafür schaffen, dass Syrien nach Ende des Bürgerkrie­gs wiederaufg­ebaut werden kann. Auch syrische Wissenscha­ftler werden dafür gefördert – in Cottbus beispielsw­eise arbeiten drei Doktorande­n aus dem Land. Im Museum für Islamische Kunst in Berlin soll alles archiviert werden, was in Cottbus und anderswo erarbeitet wird.

Auf die Ergebnisse, so lautet der Plan des Projekts, darf dann jeder zugreifen. Denn: Keiner weiß heute, wer eigentlich eine wichtige Rolle beim Wiederaufb­au einnehmen wird, erklärt Stadtplane­r Wessling. Der Cottbusser Ingenieur fährt mit seinem Finger über einen Teil der Altstadtka­rte. In Schwarz sind dort große Gebäudekom­plexe eingezeich­net, darunter in Rot kleinere Parzellen. Ein Hotel, ein Einkaufsze­ntrum, eine große Straße. Die roten Markierung­en zeigen an, wie dieser Stadtteil früher ausgesehen hat.

Im Westen der Altstadt sind alte Gebäude zugunsten neuerer abgerissen worden. Christoph Wessling will verhindern, dass auch in anderen Teilen der Altstadt moderne Neubauten entstehen. Ob es klappt? Schwierig, gesteht er. Sollten Großinvest­oren kommen, dürften diese andere Interessen haben, als die Stadt mit der gleichen, kleinteili­gen Struktur und den Sackgassen-Systemen wiederaufz­ubauen. Das zeige beispielsw­eise die Erfahrung von Beirut. Große Teile der libanesisc­hen Hauptstadt wurden im Bürgerkrie­g, der bis 1990 dauerte, zerstört.

Beim Wiederaufb­au aber durften die Fachleute der renommiert­en Beiruter Universitä­t nicht mitreden. Wessling hofft, dass dies in Aleppo anders läuft, wenn die Grundlagen für einen Wiederaufb­au geschaffen sind und jeder auf diese Grundlagen zugreifen kann.

Beim Aufbau der syrischen Stadt geht es um mehr als darum, ein Welterbe wiederherz­ustellen. Da ist sich Wessling sicher. Jede Bevölkerun­gsgruppe braucht Orte, mit denen sie sich identifizi­ere. Unsere Altstädte in Deutschlan­d seien solche Orte, sagt Wessling. Was aber für deutsche Altstädte und Wahrzeiche­n gilt, gelte auch für Aleppo – vor allem für den Basar und den Bereich rund um die Zitadelle. Da waren

„Wir wollen nicht die Einzelgebä­ude erhalten, sondern die Stadtstruk­tur.“ Die Stunde Null ist aber noch lange nicht in Sicht

Restaurant­s, da trafen sich die Menschen.

Die Altstadt war der Ort, wo Aleppiner hingegange­n sind, erzählt Christoph Wessling. Sie könne deshalb auch nach dem Krieg wieder ein Bezugspunk­t für alle sein. Doch was heißt eigentlich nach dem Krieg? Die Streitkräf­te des AssadRegim­es haben Aleppo zwar mittlerwei­le eingenomme­n. Vorbei sind die Kämpfe deshalb noch nicht. Anders als einst in Deutschlan­d, wo die Kapitulati­on am Ende des Zweiten Weltkriegs eine neue Phase einleitete.

Eine solche Stunde Null ist in Syrien noch lange nicht in Sicht.

 ?? Foto: dpa ?? Zwei Satelliten Aufnahmen von Aleppo, oben aus dem Jahr 2010 mit intakter Alt stadt, unten von 2014, als u. a. bereits die große Moschee und ihr Minarett (rechte untere Ecke) beschädigt bzw. zerstört waren. Und der Krieg ging weiter …
Foto: dpa Zwei Satelliten Aufnahmen von Aleppo, oben aus dem Jahr 2010 mit intakter Alt stadt, unten von 2014, als u. a. bereits die große Moschee und ihr Minarett (rechte untere Ecke) beschädigt bzw. zerstört waren. Und der Krieg ging weiter …

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