Pioniere ans Werk
Flexibel, dynamisch, in Bewegung – so sollte eine Stadt sein. Bürger nehmen das immer häufiger selbst in die Hand
Momentan ist es en vogue Dinge selber zu machen. Dieses Phänomen könnte die Städte verändern, wenn Bürger Stadtgestaltung und Projektentwicklung selbst in die Hand nehmen. In Augsburg ist der nötige Freiraum vorhanden, damit eine selbst organisierte Bürgerschaft ihr Umfeld mit formt und gestaltet.
Leerstandsobjekte können der Ausgangspunkt für stadtgesellschaftliche Veränderungsprozesse sein, wie am Beispiel des Grandhotels Cosmopolis zu sehen ist. Das jahrelang leer stehende Altenheim inmitten des Augsburger Domviertels ist heute aufgrund der Initiative vieler privat engagierter Akteure ein neuer Lebensraum mit Ateliers, Gastronomie, Hotel und einer Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge unter einem Dach.
Eine Stadt verändert sich unaufhörlich, Menschen kommen, Menschen gehen und Leerstände werden mitunter von besonderen Nutzungen angenommen. Augsburg musste in der Vergangenheit des Öfteren auf Veränderungen reagieren und hat neue Nutzungen in vorhandene Gebäudestrukturen erfolgreich integriert. Das Zeughaus oder das Römische Museum sind dafür gute Beispiele.
Die Stadtentwicklung in Augsburg ist eng mit der industriellen und technischen Entwicklung verbunden. Ehemalige Handwerksbetriebe in der Altstadt werden heute als Läden oder Wohnungen genutzt. Mit dem industriellen Wandel und Niedergang der Textilindustrie wurden inzwischen große Areale erfolgreich neuen Nutzungen zugeführt. Aus stadtnahen Lagen werden begehrte Wohngebiete. Flexible Raumstrukturen können für ganz unterschiedliche Unternehmen angemietet werden, wie beispielsweise im Martini-Park. Im Schlachthofviertel hat sich heute eine Gastronomie- und Lebensmittelmeile etabliert.
Auch soziale und kirchliche Einrichtungen bleiben vom ständigen Wandel nicht verschont. Kinos, alteingesessene Ladengeschäfte und Brauereien waren oder sind von einem Strukturwandel betroffen und viele Eigentümer müssen ihre Gebäude umnutzen. Sie alle verändern so im Großen wie im Kleinen die Stadtstruktur. Große zusammenhängende Areale wie Produktionsstätten, Bahngelände und ehemalige Kasernen öffnen und verbinden sich mit den angrenzenden Stadtteilen.
Neben globalen Strukturveränderungen sind es manchmal auch einfach persönliche oder wirtschaftliche Gründe, warum Gebäude zeitweise leer stehen und Platz für Neues bieten. Im Umkehrschluss kann aufgrund von gesellschaftlichen Veränderungsprozessen auch ein erneuter Bedarf an der Nutzung ebendieser Gebäude entstehen, wie etwa auf- der Rückbesinnung auf Innenstadtlagen oder verändertem Konsumoder Freizeitverhalten. In manches Vakuum springen Künstler mit Interimsnutzungen ein, die sich verstetigen oder es blühen sogenannte „Pop-up-Stores“auf. Eine Strategie, die inzwischen auch die Stadt Augsburg in einer institutionalisierten Form des Besiedelns als wirtschaftsfördernde Maßnahme entdeckt hat.
Leerstand ist eine Chance auf Veränderung
Zwischennutzungen können wertvolle Impulsgeber für städtebauliche Entwicklungen sein und sind nicht nur in Metropolen ein gefragtes Instrument einer neuen Stadtentwicklung. Manchmal benötigt es den Mut und die Kreativität von Stadtpionieren aus der Bürgerschaft, um komplexe Rahmenbedingungen aufzulösen. Im Gaswerk Augsburg könnte der Erfolg einer solchen Besiedelungsstrategie unter Beweis gestellt werden. Zwischennutzungen könnten hier die notwendige Flexibilität mitbringen, um ein solches Areal mit viel Potenzial langfristig und benutzerorientiert zu entwickeln. Baugruppen könnten hier einen idealen Standort für innovative Wohnprojekte finden.
Die Möglichkeiten, Flächen und Objekte möglichst vielfältig nutzen und verändern zu können, sind nicht nur im gewerblichen Bereich, sondern gerade im Bereich des Wohnens mehr denn je gefordert. Je flexibler eine bauliche Struktur ist, umso flexibler kann eine Stadt als solche sein. Infrastrukturelle Maßnahmen unterstützen einen solchen Prozess und füllen ihn mit Leben.
Leerstände bieten stets auch eine Chance auf Veränderung. Sie können dynamische Entwicklungen einleiten oder fördern. In der Kulturlandschaft bieten sie Zeit und Raum, um neue Ansätze zu wagen. Mit dem vorgenannten Grandhotel, das 2016 den Sonderpreis des Deutschen Städtebaupreises erzielte, sieht man, wie sich derartige Projekte belebend auf Kunst, Kultur und Tourismus, Gesellschaft und viele andere Bereiche auswirken können und auf das Umfeld ausstrahlen. Dies kann eine Stadt wesentlich beeinflussen, wie am Beispiel des Dortmunder U zu sehen ist. Dies ist ein 1926/1927 als Gärund Lagerkeller der Dortmunder Union Brauerei errichtetes Hochhaus am Rande der Dortmunder City, das 2007 als Leuchtturmprojekt der Kulturhauptstadt Europas – RUHR.2010 zum Zentrum für Kunst und Kreativität umgebaut wurde. Heute lässt hier eine engagierte Bürgerschaft viel Neues entstehen.
Räumlicher Freiraum ist inspirierend. Es sind die Stadtpioniere, die auf Brachen Gemüse anbauen oder Bienenzucht betreiben. Dies verbindet die Menschen, schafft Identigrund tät und bildet eine Szene. Es braucht dafür also einerseits die Macher, aber auch eine Verwaltung, die diese Veränderungsprozesse unterstützt. Augsburg bietet all dies. Kurze Wege, eine ausreichende Größe, damit sich eine Szene auch entwickeln kann und die erforderliche Professionalität in der Verwaltung.
Man muss Projekten Raum und Zeit geben, damit sie sich entwickeln können und damit eine Stadt flexibel, dynamisch und in Bewegung bleibt. Bei der partizipativen Stadtgestaltung und Projektentwicklung sind viele Ebenen wichtig. Es geht auch um das aktive Anstoßen, um Identität und um die Notwendigkeit Bürgern Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten. Es gilt, sie zu motivieren, sich um die Bedürfnisse und Ziele einer Stadtentwicklung zu kümmern, um die Lebensqualität in unserer Stadt zu steigern.
Der Autor Michael Adamczyk ist Architekt und Stadtplaner in Augsburg.