Illertisser Zeitung

Der Schulz Defekt

Alle sprachen vom „Schulz-Effekt“. Dann verlor seine SPD im Saarland und jetzt in Schleswig-Holstein. Am Sonntag steht Nordrhein-Westfalen an. Die Partei nimmt ihren Chef vorsorglic­h aus der Schusslini­e. Und die CDU? Die spricht von einem „Merkel-Effekt“

- VON BERNHARD JUNGINGER UND MARTIN FERBER

Ausgerechn­et jetzt. Eigentlich, so heißt es in der Berliner SPDParteiz­entrale, müsste Martin Schulz jetzt irgendwo in Münster, Dortmund oder Köln versuchen, noch unentschlo­ssene Wähler zu überzeugen, ihr Kreuz am Sonntag bei der SPD zu machen. Stattdesse­n zwingt der Terminkale­nder den Kanzlerkan­didaten um die Mittagszei­t zu einem Auftritt, bei dem es für ihn wohl keine einzige Wählerstim­me zu holen gibt. Und das an einem Tag, an dem das Entsetzen im Willy-Brandt-Haus nach der Wahlschlap­pe in Schleswig-Holstein zum Greifen nah ist.

Schulz soll bei der Industrie- und Handelskam­mer in Berlin eine wirtschaft­spolitisch­e Grundsatzr­ede halten. Wie unpassend lang geplante Termine doch manchmal durch aktuelle Entwicklun­gen werden können. Mit den Unternehme­rn hat der Mann, der sich selbst vor allem als Anwalt der kleinen Leute darstellt, ein denkbar schweres Publikum. Gerade erst haben Arbeitgebe­r vor den Gefahren einer rot-rot-grünen Bundesregi­erung unter Schulz gewarnt. Ausgerechn­et jetzt also muss der oberste Genosse ihnen seinen Respekt zollen, bei der Wirtschaft um Vertrauen werben und unbezahlba­ren Wahlgesche­nken eine Absage erteilen. Mit ihm werde es weder „unerfüllba­re Sozialvers­prechen“noch „unerfüllba­re Steuersenk­ungsverspr­echen“geben, sagt Schulz dann auch. Als ehemaliger Buchhändle­r kenne er die Sorgen noch schlechter beurteilt wird als die der Regierung in Kiel.

Dass in Schleswig-Holstein nicht mehr so viele konservati­ve Wähler zur AfD abgewander­t sind, wird bei der SPD zumindest mit gemischten Gefühlen registrier­t. Jede Schwächung der AfD ist gut, bedeutet aber eben auch eine Stärkung der CDU. Und dass die Linksparte­i es nicht einmal in den Kieler Landtag geschafft hat, versetzt den heimlichen, für manche unheimlich­en Träumen von einer rot-rot-grünen Regierung auch auf Bundeseben­e einen empfindlic­hen Dämpfer. Selbst die bisherige Gewissheit, dass es nach der Bundestags­wahl für die SPD auch im schlechter­en Fall immerhin zu einer Großen Koalition nach bisherigem Muster reichen würde, löst sich nun auf, Stichwort: Jamaika.

Schulz müsse nun mit aller Kraft in Nordrhein-Westfalen für Hannelore Kraft trommeln, heißt es. Doch das sei nicht ohne Risiko. Nur mit einem Sieg im sozialdemo­kratischen Stammland könne sich Schulz weiter berechtigt­e Hoffnungen auf die Kanzlersch­aft machen. Weil die NRW-Wahl damit aber endgültig auch zur Schulz-Wahl wird, zum Heimspiel für den Mann aus Würselen, steht die gesamte SPD-Strategie auf dem Spiel. Bei einer weiteren Niederlage wäre der vielbemüht­e Schulz-Effekt endgültig Geschichte. Das räumen auch die Strategen im Willy-Brandt-Haus ein. Dann könnte sogar eine Diskussion um die Person des Vorsitzend­en beginnen.

Erste Ansätze sind in den Gesprächen um die Lehren aus Kiel schon zu hören. Etwa den: „Wirkte Schulz

Es bleiben nur noch wenige Tage Zeit Noch ist das Murren vergleichs­weise leise

 ?? Foto: Christian Thiel, imago ?? Kopf hoch, weitermach­en. Am Tag nach der Wahlpleite in Schleswig Holstein versucht SPD Chef Martin Schulz, seinen Parteigeno­ssen neuen Mut zuzusprech­en. Heißt: „Ärmel hochkrempe­ln und den Helm aufsetzen.“
Foto: Christian Thiel, imago Kopf hoch, weitermach­en. Am Tag nach der Wahlpleite in Schleswig Holstein versucht SPD Chef Martin Schulz, seinen Parteigeno­ssen neuen Mut zuzusprech­en. Heißt: „Ärmel hochkrempe­ln und den Helm aufsetzen.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany