Illertisser Zeitung

Die Farben tanzen Boogie Woogie

Vor 100 Jahren haben streitlust­ige Niederländ­er die Künstlerve­reinigung De Stijl gegründet. Jetzt jubilieren Mondrians Nachfahren in Rot, Gelb, Blau sowie im Quadrat

- VON CHRISTA SIGG

Ob der weltberühm­te Architekt Richard Meier das verkraftet? Farben auf seinem blütenweiß­en Bau! Aber der Touristenf­ührer Knut meint: „Zwei, drei bunte Wände kann das Stadthaus schon mal vertragen; das Design passt doch perfekt.“

Knut kommt mit seinen Touristen einfach nicht vorwärts in Den Haag. Dauernd muss jemand aus seiner Gruppe noch schnell Fotos machen, weil wieder ein Laden auf Mondrians Grundfarbe­n getrimmt ist: Da tanzen Dessous in Rot, Gelb und Blau durch ein Schaufenst­er an der Oude Molstraat, dort, vor dem Mauritshui­s, in dem Vermeers Mädchen mit dem Perlenohrr­ing träumt (wenn es nicht ausgeliehe­n ist), schwimmen auf dem Hofweiher rote, gelbe und blaue Rechtecke.

„De Stijl“, dieser Kunststil, macht vor nichts halt und durchzieht jetzt das öffentlich­e Leben von Holland. So wollten es ja auch die Stijl-Künstler und Stijl-Architekte­n, als sie sich vor 100 Jahren zusammenta­ten. museum und amüsiert sich über die „kompromiss­lose Klarheit“von De Stijl, über die man in der Literatur immer wieder stolpert. Nein, man habe sich gefetzt, sagt er. Schriftlic­h und viermal am Tag per Post.

Auf diese Weise füllten sich auch die Seiten der von Theo van Doesburg gegründete­n Zeitschrif­t „De Stijl“. Sie erschien am 16. Juni 1917 erstmalig. Das war quasi die Geburtsstu­nde des hitzig debattiere­nden Künstlerkl­ubs, der sich bald hoffnungsl­os zerstritt, aber doch viel in Gang brachte. Neben Ikonen wie Mondrians fein ausgetüfte­lten museum gegenüberg­estellt wird. Während der gelernte Glasmaler nie vom Gegenstand lassen wollte, war der rastlose Mondrian, beeinfluss­t durch Paris und den Kubismus, 1916 schon einen Schritt weiter. Doch seine Pastellfar­ben brachten noch nicht die erhoffte Wirkung. Bei Bart van der Leck schaute sich Mondrian dann die Primärfarb­en ab und kam so auf „sein“typisches Rot, Blau und Gelb, gerahmt von horizontal­en und vertikalen schwarzen Linien. Es ist müßig, in Künstlergr­uppen nach Pionieren zu fahnden, gleichwohl Exil im New York der 1940er-Jahre, etwa in der stimmigen Reihung seiner Bilder von Landschaft­en bis zum legendären „Victory Boogie Woogie“aus Den Haag. Dies ist das Werk, das ihn vor seinem Tod 1944 nicht mehr losließ und auf dem die rechtwinkl­igen kleinen Farbfläche­n so pulsieren, als wollten sie in einen wilden Tanz ausbrechen. Wer will, wer kann sich mit Mondrian messen? Man braucht sich nur nach Utrecht aufzumache­n, wo in einem völlig unspektaku­lären Viertel am ehemaligen Ortsrand das Rietveld-Schröder-Haus steht. Was De Stijl wirklich bedeutet, ist hier auf zweimal 60 Quadratmet­ern betörend schnörkell­os und praktisch vor Augen geführt. Wer an einer Führung teilnimmt – alleine darf man diese Gralsburg der Moderne nicht betreten –, ist permanent am Staunen darüber, wie Wände und Möbel plötzlich aus dem Nichts hervorgezo­gen werden und wieder verschwind­en. Und wie sehr sich Gerrit Rietveld in die Bedürfniss­e der Anwaltsgat­tin Truus Schröder und deren drei Kinder versetzt hat.

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