Das Prüfungsergebnis ist da: Die Babystation muss wohl wieder öffnen
Gestern Abend wurde die lang erwartete Stellungnahme der Regierung von Schwaben zum Bürgerentscheid bekannt gegeben. Warum der Kreis diesen umsetzten soll
Gestern um 17.14 Uhr war es so weit: Das Landratsamt Neu-Ulm versandte eine E-Mail, auf deren Inhalt viele Menschen, gerade im südlichen Landkreis, seit Wochen mit Spannung gewartet haben dürften. Der Betreff: Das Ergebnis der rechtlichen Prüfung des Bürgerentscheids (pro Wiedereröffnung der Illertisser Geburtenstation) durch die Regierung von Schwaben. Angehängt war eine vierseitige Abhandlung der Experten aus Augsburg. Das Fazit: Die Bindungswirkung des Entscheids ist wohl prinzipiell anzuerkennen – davon geht man im Landratsamt aus, wie es in einer beigefügten Stellungnahme zum Prüfungsergebnis heißt. Sollte das so sein, muss die aktuell geschlossene Babystation der Illertalklinik wieder geöffnet werden. So hatten es die Bürger bei der kreisweiten Abstimmung im Oktober beschlossen. Der Betrieb müsste dann trotz des inzwischen offenbar gewordenen millionenschweren Defizits der drei Krankenhäuser in NeuUlm, Weißenhorn und Illertissen wieder aufgenommen werden. Trotz der Klinikkrise, und deren Auswirkungen auf die finanzielle Lage des Landkreises, könne der Bürgerwillen nicht ignoriert werden, ist in der schriftlichen Reaktion aus dem Landratsamt zu lesen.
Auch Wolfgang Karger, der Sprecher der Bürgerinitiative (BI) „Geboren im Süden“(sie hatte den Bürgerentscheid angestoßen), bekam die E-Mail gestern Abend. Er wertet das Prüfungsergebnis als „ganz klare Aufforderung“an den Landkreis, die Station wieder zu öffnen. „Der Druck ist jetzt da.“Notfalls müssten die Kosten der Inbetriebnahme eben an anderer Stelle gespart werden, sagt Karger. Auch das habe die Regierung dargelegt. Geht es nach ihm, dann soll der geplante Bau des Parkhauses an der Neu-Ulmer Donauklinik ausgesetzt werden. Die BI werde auf die Umsetzung des Entscheids pochen.
Jetzt soll es Gespräche geben, kündigte man seitens des Landratsamts an. Mit allen Beteiligten – dazu gehören Klinikleitung, politische Gremien, Krankenhausbeirat und Bürgerinitiative – sollen Beschlüsse zum weiteren Vorgehen vorbereitet werden. „Alles wird so zügig wie möglich und so sorgfältig wie nötig geschehen“, heißt es. Nachfragen dazu wurden nicht beantwortet.
Bei der Prüfung war es darum gegangen, ob der Bürgerentscheid (pro Geburtenstation) rechtlich bindend ist, sprich umgesetzt werden muss – oder ob sich die Sachlage durch die danach entdeckte schwere Finanzmisere der Krankenhäuser so stark geändert hat, dass das Ergebnis der Abstimmung nicht vollzogen und deshalb ausgesetzt werden kann. Der Hintergrund: Das im November bekanntgewordene Defizit von insgesamt rund 13 Millionen Euro, liege um fast das Dreifache über dem in den Wirtschaftsplänen der Jahre 2015 und 2016 prognostizierten Minus von zusammen 4,4 Millionen, so das Landratsamt. Zugleich wäre eine Wiedereröffnung der Geburtshilfe teuer: Neben Investitionen von mindestens 3,65 Millionen Euro seien (laut Berechnung) durch den Betrieb drei Jahre lang Verluste von 3,95 Millionen Euro jährlich hinzunehmen.
Das sahen die Prüfer der Regierung – anders als mancher Kritiker der Babystation – offenbar nicht als gewichtigen Grund, den Entscheid auszusetzen. In dem Schreiben zur Prüfung, das von komplexen Sätzen und Verweisen auf Rechtstexte gespickt ist, und das von Regierungspräsident Karl Michael Scheufele unterzeichnet ist, wird auf die bayerische Landkreisordnung verwiesen. Nach der könne ein Bürgerentscheid innerhalb seiner Rechtswirkung von einem Jahr nur durch einen zweiten gekippt werden – oder eben durch eine entscheidend geänderte Sachlage. Was aber bedeutet in diesem Fall „entscheidend“?
Mit dieser Frage hat man sich in Augsburg offenkundig sehr genau beschäftigt: Es gehe „um die nachträgliche Wandlung grundlegender Parameter, welche die auf deren vorherigem Stand beruhende Entscheidung fundamental in Frage stellt“. Damit von einer wesentlichen Änderung gesprochen werden könne, müssten jedoch „hohe Anforderungen“erfüllt werden. Das sehen die Experten in Sachen Geburtenstation nicht: So seien Bürgerentscheide auf einzelne Themen bezogen und beeinflussten nicht die Gesamtentwicklung einer Kommune (oder Gebietskörperschaft). Der Erfolg eines Bürgervotums müsse eingepasst werden „in das Gesamtgefüge des (...) Leistungsspektrums und dessen Finanzierung“. Dem sei angemessen zu entsprechen.
Grenzen bei der Umsetzung von Entscheiden sehen die Prüfer nur dann, wenn diese mit den Grundsätzen „vernünftigen Wirtschaftens schlechthin unvereinbar“ist. Das wäre allerdings laut der Rechtsexperten nur dann gegeben, wenn der Landkreis die Wiedereröffnung der Babystation nicht bezahlen könnte, auch nicht „unter Ausschöpfung aller sonstigen Möglichkeiten“. Dazu gehören aus Sicht der Prüfer auch Verkäufe von Vermögen, die Kürzung freiwilliger Leistungen und das Verschieben anderer Maßnahmen. Man gehe davon aus, dass die rechtlich gesteckte Grenze (der Belastbarkeit) durch die Wiederöffnung nicht erreicht wird. Zudem werde der Kreis durch den Entscheid nicht daran gehindert, ein zukunftsfähiges Konzept für seine medizinische Versorgung zu entwickeln.
Vom Landratsamt hieß es, man wolle den Strategieprozess zur Sanierung der Kliniken fortsetzen. Dabei handle es sich um eine „äußerst schwierige und komplizierte Gestaltungsaufgabe“, die ein schrittweises Vorgehen nahe lege.