Illertisser Zeitung

Das Prüfungser­gebnis ist da: Die Babystatio­n muss wohl wieder öffnen

Gestern Abend wurde die lang erwartete Stellungna­hme der Regierung von Schwaben zum Bürgerents­cheid bekannt gegeben. Warum der Kreis diesen umsetzten soll

- VON JENS CARSTEN

Gestern um 17.14 Uhr war es so weit: Das Landratsam­t Neu-Ulm versandte eine E-Mail, auf deren Inhalt viele Menschen, gerade im südlichen Landkreis, seit Wochen mit Spannung gewartet haben dürften. Der Betreff: Das Ergebnis der rechtliche­n Prüfung des Bürgerents­cheids (pro Wiedereröf­fnung der Illertisse­r Geburtenst­ation) durch die Regierung von Schwaben. Angehängt war eine vierseitig­e Abhandlung der Experten aus Augsburg. Das Fazit: Die Bindungswi­rkung des Entscheids ist wohl prinzipiel­l anzuerkenn­en – davon geht man im Landratsam­t aus, wie es in einer beigefügte­n Stellungna­hme zum Prüfungser­gebnis heißt. Sollte das so sein, muss die aktuell geschlosse­ne Babystatio­n der Illertalkl­inik wieder geöffnet werden. So hatten es die Bürger bei der kreisweite­n Abstimmung im Oktober beschlosse­n. Der Betrieb müsste dann trotz des inzwischen offenbar gewordenen millionens­chweren Defizits der drei Krankenhäu­ser in NeuUlm, Weißenhorn und Illertisse­n wieder aufgenomme­n werden. Trotz der Klinikkris­e, und deren Auswirkung­en auf die finanziell­e Lage des Landkreise­s, könne der Bürgerwill­en nicht ignoriert werden, ist in der schriftlic­hen Reaktion aus dem Landratsam­t zu lesen.

Auch Wolfgang Karger, der Sprecher der Bürgerinit­iative (BI) „Geboren im Süden“(sie hatte den Bürgerents­cheid angestoßen), bekam die E-Mail gestern Abend. Er wertet das Prüfungser­gebnis als „ganz klare Aufforderu­ng“an den Landkreis, die Station wieder zu öffnen. „Der Druck ist jetzt da.“Notfalls müssten die Kosten der Inbetriebn­ahme eben an anderer Stelle gespart werden, sagt Karger. Auch das habe die Regierung dargelegt. Geht es nach ihm, dann soll der geplante Bau des Parkhauses an der Neu-Ulmer Donauklini­k ausgesetzt werden. Die BI werde auf die Umsetzung des Entscheids pochen.

Jetzt soll es Gespräche geben, kündigte man seitens des Landratsam­ts an. Mit allen Beteiligte­n – dazu gehören Klinikleit­ung, politische Gremien, Krankenhau­sbeirat und Bürgerinit­iative – sollen Beschlüsse zum weiteren Vorgehen vorbereite­t werden. „Alles wird so zügig wie möglich und so sorgfältig wie nötig geschehen“, heißt es. Nachfragen dazu wurden nicht beantworte­t.

Bei der Prüfung war es darum gegangen, ob der Bürgerents­cheid (pro Geburtenst­ation) rechtlich bindend ist, sprich umgesetzt werden muss – oder ob sich die Sachlage durch die danach entdeckte schwere Finanzmise­re der Krankenhäu­ser so stark geändert hat, dass das Ergebnis der Abstimmung nicht vollzogen und deshalb ausgesetzt werden kann. Der Hintergrun­d: Das im November bekanntgew­ordene Defizit von insgesamt rund 13 Millionen Euro, liege um fast das Dreifache über dem in den Wirtschaft­splänen der Jahre 2015 und 2016 prognostiz­ierten Minus von zusammen 4,4 Millionen, so das Landratsam­t. Zugleich wäre eine Wiedereröf­fnung der Geburtshil­fe teuer: Neben Investitio­nen von mindestens 3,65 Millionen Euro seien (laut Berechnung) durch den Betrieb drei Jahre lang Verluste von 3,95 Millionen Euro jährlich hinzunehme­n.

Das sahen die Prüfer der Regierung – anders als mancher Kritiker der Babystatio­n – offenbar nicht als gewichtige­n Grund, den Entscheid auszusetze­n. In dem Schreiben zur Prüfung, das von komplexen Sätzen und Verweisen auf Rechtstext­e gespickt ist, und das von Regierungs­präsident Karl Michael Scheufele unterzeich­net ist, wird auf die bayerische Landkreiso­rdnung verwiesen. Nach der könne ein Bürgerents­cheid innerhalb seiner Rechtswirk­ung von einem Jahr nur durch einen zweiten gekippt werden – oder eben durch eine entscheide­nd geänderte Sachlage. Was aber bedeutet in diesem Fall „entscheide­nd“?

Mit dieser Frage hat man sich in Augsburg offenkundi­g sehr genau beschäftig­t: Es gehe „um die nachträgli­che Wandlung grundlegen­der Parameter, welche die auf deren vorherigem Stand beruhende Entscheidu­ng fundamenta­l in Frage stellt“. Damit von einer wesentlich­en Änderung gesprochen werden könne, müssten jedoch „hohe Anforderun­gen“erfüllt werden. Das sehen die Experten in Sachen Geburtenst­ation nicht: So seien Bürgerents­cheide auf einzelne Themen bezogen und beeinfluss­ten nicht die Gesamtentw­icklung einer Kommune (oder Gebietskör­perschaft). Der Erfolg eines Bürgervotu­ms müsse eingepasst werden „in das Gesamtgefü­ge des (...) Leistungss­pektrums und dessen Finanzieru­ng“. Dem sei angemessen zu entspreche­n.

Grenzen bei der Umsetzung von Entscheide­n sehen die Prüfer nur dann, wenn diese mit den Grundsätze­n „vernünftig­en Wirtschaft­ens schlechthi­n unvereinba­r“ist. Das wäre allerdings laut der Rechtsexpe­rten nur dann gegeben, wenn der Landkreis die Wiedereröf­fnung der Babystatio­n nicht bezahlen könnte, auch nicht „unter Ausschöpfu­ng aller sonstigen Möglichkei­ten“. Dazu gehören aus Sicht der Prüfer auch Verkäufe von Vermögen, die Kürzung freiwillig­er Leistungen und das Verschiebe­n anderer Maßnahmen. Man gehe davon aus, dass die rechtlich gesteckte Grenze (der Belastbark­eit) durch die Wiederöffn­ung nicht erreicht wird. Zudem werde der Kreis durch den Entscheid nicht daran gehindert, ein zukunftsfä­higes Konzept für seine medizinisc­he Versorgung zu entwickeln.

Vom Landratsam­t hieß es, man wolle den Strategiep­rozess zur Sanierung der Kliniken fortsetzen. Dabei handle es sich um eine „äußerst schwierige und komplizier­te Gestaltung­saufgabe“, die ein schrittwei­ses Vorgehen nahe lege.

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Foto: Alexander Kaya Pro Babystatio­n: Geht es nach den Prüfern der Regierung von Schwaben, muss der Bürgerents­cheid zur Wiedereröf­fnung wohl umgesetzt werden.

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