Illertisser Zeitung

Kirche darf sich nicht einmischen – sie muss

Evangelisc­he Christen treffen sich zum Selberdenk­en frei nach Luther. Auch mit Obama und Merkel

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VON BERNHARD JUNGINGER dem Parteitag der rechtspopu­listischen AfD wurde jüngst offen zum Kirchenaus­tritt aufgerufen. Und auch manchem Vertreter der etablierte­n Parteien geht die Einmischun­g der Kirchen in die Tagespolit­ik inzwischen zu weit.

Die neuen Spannungen im Verhältnis von Politik und Kirche haben ihre Ursachen zum großen Teil in der Flüchtling­sfrage. Es sind gerade kirchlich geprägte Kreise, die Großartige­s leisten, seit immer mehr Menschen aus den Krisenund Elendsregi­onen der Welt in Deutschlan­d Zuflucht, Schutz oder einfach eine bessere Zukunft suchen. Waren Kirchen und Politik anfangs in Willkommen­skulturEup­horie vereint, dominieren in vielen Parteien heute deutlich skeptische­re Töne.

Gerade CDU und CSU, die ja das Bekenntnis zu christlich­en Werten im Namen tragen, müssen sich nicht nur vereinzelt der Kritik kirchlich engagierte­r Mitglieder stellen. Die Wandlung von Angela Merkel von der Willkommen­skanzlerin zur Abschiebek­anzlerin missfällt manchen konfession­ell geprägten Wählern zutiefst. Auf dem Kirchentag dürfte sie jedenfalls nicht nur Jubel Und der bayerische­n CSU werfen Kirchenver­treter Unbarmherz­igkeit vor, wenn sie etwa eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtling­en fordert.

Die Politik muss eine solche Einmischun­g aushalten. Sie ist zuständig für das Mach- und Bezahlbare, für das große Ganze, es kommt auf Mehrheiten an. Dabei muss sie die Interessen aller relevanten Gruppen berücksich­tigen, zu denen im besonderen Maß die Kirchen zählen. Die verstehen sich nicht nur als fürs Seelenheil zuständig, sondern als Interessen­vertreter der Minderheit­en, derer, die keine Lobby haben, sonst nicht gehört werden, der Armen, Kranken und Gescheiter­ten. Darum ist ihre Stimme heute wichtiger denn je.

Doch den beiden großen Konfession­en laufen die Mitglieder davon. Damit schrumpft auch ihre Beernten. deutung in der Gesellscha­ft. Das zwingt die Kirchen, sich noch klarer, eindeutige­r zu positionie­ren.

Während der katholisch­e Papst Franziskus als Fürspreche­r der Armen auftritt, besinnt sich die evangelisc­he Kirche auf Stammvater Martin Luther. Der hat vor 500 Jahren seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskir­che in Wittenberg genagelt – eine unerhörte Auflehnung gegen die herrschend­en kirchliche­n Autoritäte­n, damals untrennbar mit der weltlichen Macht verbunden. Zum Selberdenk­en wollte der Mönch die Menschen vor allem bringen. Und die Protestant­en haben die Lektion gelernt, wenn sie heute auch ihren Stammvater hinterfrag­en, sich etwa von Luthers derb antijüdisc­hen Aussagen distanzier­en.

Neben Wittenberg ist auch Berlin für die evangelisc­he Kirche ein hochsymbol­ischer Ort. In der ehemaligen DDR haben gerade engagierte Christen zum Sturz des SEDRegimes, zur Wiedervere­inigung beigetrage­n. Unsere demokratis­ch verfasste Gesellscha­ft aber hält die Einmischun­g einer kritischen, hinterfrag­enden, auch fordernden Kirche nicht nur aus. Sie lebt davon.

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Foto: Nietfeld, dpa Archiv Wiedersehe­n am Himmelfahr­tstag: Ex Präsident Barack Obama und Kanzlerin Ange la Merkel werden vor dem Brandenbur­ger Tor diskutiere­n.
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Foto: dpa Berliner LKA: Nun wird gegen zwei Be amte ermittelt.

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