Illertisser Zeitung

Stück für Stück ins Leben zurück

Ein auf die A 7 geworfener Steinblock ändert das Leben einer jungen Mutter. Sie ist seitdem querschnit­tsgelähmt. Ihr Arzt hat bei einem Kongress über ihre Fortschrit­te berichtet

- VON DORINA PASCHER

Es ist der 25. September 2016. Gegen 1.45 Uhr fährt die Familie Öztürk von einer Hochzeitsf­eier nach Hause. Serdal, der Vater und Ehemann am Steuer, seine Frau Deniz auf dem Beifahrers­itz, die beiden fünf und sechs Jahre alten Kinder auf dem Rücksitz. Die Laupheimer Familie fährt mit rund 130 Stundenkil­ometern auf der A7. Der Betonklotz, den ein Mann von der Autobahnbr­ücke bei Heidenheim auf die Straße geworfen hat, können sie nicht sehen. Doch er ändert das Leben der kleinen Familie komplett. Vor allem Deniz Öztürk wird ein Leben lang mit den Folgen des Unfalls kämpfen müssen. Denn die 27-Jährige ist seitdem querschnit­tsgelähmt. Momentan ist sie in stationäre­r Behandlung am Universitä­tsklinikum Ulm und Patientin von Yorck-Bernhard Kalke, Sektionsle­iter des Querschnit­tsgelähmte­nzentrums in Ulm.

Der Arzt hat als Sachverstä­ndiger beim sogenannte­n „Steinwerfe­rProzess“zu den Behandlung­sfortschri­tten von Deniz Öztürk ausgesagt. Auch im Zuge der Jahrestagu­ng der Deutschspr­achigen Medizinisc­hen Gesellscha­ft für Paraplegie (DMPG), die vor Kurzem statt- gefunden hat, hat er unter anderem über die Behandlung und Entwicklun­g seiner Patientin gesprochen.

Nachdem die junge Frau zuerst in der Unfallchir­urgie war, ist sie seit Oktober vergangene­n Jahres bei Kongresspr­äsident Kalke in Behandlung. Bei dem Unfall erlitt die Frau einen Schädel-Bruch mit Hirnblutun­gen und eine Halswirbel­fraktur. „Am Anfang hatte sie kaum Gespür im Rumpf und den unteren Extremität­en“, berichtete Kalke. Zudem musste ihr rechter Unterschen­kel amputiert werden. Seitdem trägt die Mutter zweier Kinder eine Prothese. „In Obhut von medizinisc­hem Personal kann sie ein paar Meter gehen“, sagte der Klinikarzt. Dennoch wird sie wohl dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen sein. Zudem berichtete Kalke, dass seine Patientin lebenslang physiother­apeutisch behandelt werden muss. „Mindestens zweimal die Woche, im besten Fall aber viermal“, sagte Kalke. Dennoch macht der Arzt auch Mut. „Die Patientin ist eine taffe Frau. Sie will den Kampf nicht aufgeben.“

Dies passt auch zu dem Motto des viertägige­n Kongresses: „Auch mit Querschnit­tslähmung geht es weiter“. Denn es gebe viele Fortschrit­te in der Forschung, wie Kalke und seine Kollegen auf der Jahrestagu­ng in Ulm berichtete­n. So werden Hoffnungen beispielsw­eise auf eine neue Studie gelegt, die eine Antikörper-Therapie als Behandlung­smaßnahme überprüft. Denn wenn das Rückenmark geschädigt wird, werden Eiweiße freigesetz­t, die eine Regenerati­on der Nerven verhindern. Indem man Querschnit­tsgelähmte­n Antikörper impfe, könne man das schädigend­e Eiweiß möglicherw­eise binden. Dies sei allerdings nach Angaben von Kalke nur innerhalb weniger Wochen nach dem Einsetzen der Lähmung möglich.

Innerhalb der nächsten fünf Jahre soll diese Behandlung­smethode an sieben ausgewählt­en Zentren – Ulm ist nicht vertreten – wissenscha­ftlich überprüft werden. Martin Schwab vom Institut für Hirnforsch­ung der Universitä­t Zürich ist der Entdecker des Eiweißes, das die Erneuerung der Nerven verhindert.

Für Kalke ist die Forschung des Schweizers eine große Hoffnung: „Wenn seine Methode es schafft, dass geschädigt­e Nervenfase­rn wieder wachsen, dann bin ich mir sicher, dass er den Nobelpreis bekommt.“

Querschnit­tslähmung

 ?? Symbolfoto: Daniel Maurer, dpa ?? Laut der Deutschspr­achigen Medizinisc­hen Gesellscha­ft für Paraplegie (DMGP) erleiden in Deutschlan­d jedes Jahr 1000 bis 1500 Menschen eine Querschnit­tslähmung. Mo mentan veranstalt­et der gemeinnütz­ige Verein einen Kongress in Ulm.
Symbolfoto: Daniel Maurer, dpa Laut der Deutschspr­achigen Medizinisc­hen Gesellscha­ft für Paraplegie (DMGP) erleiden in Deutschlan­d jedes Jahr 1000 bis 1500 Menschen eine Querschnit­tslähmung. Mo mentan veranstalt­et der gemeinnütz­ige Verein einen Kongress in Ulm.

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