Illertisser Zeitung

Ein Ulmer Spatz auf Zeitreise

Ab Mitte Juli ermöglicht eine Simulation einen Flug über und durch die Doppelstad­t im Jahr 1890. Diese fordert von den Nutzern vollen Körpereins­atz

- VON OLIVER HELMSTÄDTE­R

In Dubai steht er. In Singapur auch. Und ab 14. Juli schwingt „Birdly“in Ulm die Flügel. Die Ganzkörper­flugmaschi­ne ermöglich eine Reise über die Dächer von Ulm und Neu-Ulm im Jahre 1890. Das Ganze sieht in etwa so aus wie ein umgekehrte­r Zahnarztst­uhl. Die Knie abgewinkel­t, den Bauch auf die schwarz-weiße Liege postiert und die Arme greifen die bewegliche­n Flügel. Die VirtualRea­lity-Brille aufgesetzt, zwei Knöpfe an den Flügelgrif­fen gleichzeit­ig gedrückt und ab geht’s: Über den Wolken, scheint die Freiheit grenzenlos.

Die beiden Arme steuern die (Spatzen-)Schwingen. Kippen bedeutet abwärts. Die Arme nach hinten und schon fliegt der Vogel steil nach oben. Der Ventilator vor der Brille simuliert perfekt den Fahrtwind, andere Spatzen kreuzen den Weg und zwitschern fröhlich. Und schon ist das Münster im Blick. Und die Donau. Die Augen wissen nicht, wohin sie schauen sollen, rundum schweift der Blick. Rums. Plötzlich wird alles schwarz. Kollision mit dem höchsten Kirchturm der Welt, dessen Spitze 1890 noch im Bau war. Dann geht‘s weiter über das Münsterdac­h, Sturzflug ins Viertel „Auf dem Kreuz“. Sogar auf Fußgängerh­öhe lässt sich der Computer-Spatz durch die Gassen steuern, vorbei an hoch aufgelöste­n Details wie Blumenkäst­en. Ein paar Flügelschl­äge später, am Marktplatz ohne Pyramide vorbei ein kurzer Schwenk auf den Weinhof. Beeindruck­end: die alte Synagoge mit ihren vielen Türmchen.

Und bald ist die Donau erreicht. Noch ziemlich wild erscheint der Fluss, die Donauwiese am Metzgertur­m ist eine nasse Au. Neu-Ulm ist erreicht: Damals nicht viel mehr als ein paar idyllische Höfe. Schön und bunt dennoch: Die Neu-Ulmer Insel scheint schon damals eine Reise wert gewesen zu sein. Nach drei Minuten ist Schluss mit der Fliegerei. Mit wackligen Knien schält sich der User aus der Bauchlage. Einer der ersten bei einer Vorführung in Hamburg bei der Firma Demodern war Ulms Oberbürger­meister Gunter Czisch. Erst fehlen ihm die Worte. Dann: „Wahnsinn. Das war klasse.“

Das Stadtoberh­aupt reiste eigens nach Hamburg, um die Programmie­rung zu testen, weil das Projekt mehr sei als „ein Spielzeug“. Wie kaum ein anderes Projekt verbinde „Birdly“den alten Ulmer Traum vom Fliegen, den der Schneider von Ulm begründete, mit den Themen Innovation und Digitalisi­erung. So- sei „Birdly“auch ein für jedermann sichtbares Zeichen des Wandels, auf den sich Ulm einstelle. Zudem lobt Czisch das „bürgerscha­ftliche Engagement“, das sich hinter dem Projekt verberge. Denn die Kosten in ungenannte­r Höhe trieb die gemeinnütz­ige Berliner Firma Interactiv­e Media auf. Und das war nicht wenig: Allein 150000 Euro kostet „Birdly“als Hardware.

Hinter Interactiv­e Media steckt in leitender Funktion wiederum Saskia Kress, Spross der bekannten Ulmer Unternehme­rfamilie, die die Hamburger Firma Demodern mit der Programmie­rung beauftragt­e. Für deren Geschäftsf­ührer Alexander El-Meligi war der Auftrag eine He- rausforder­ung: Denn er wollte die vorhandene­n Flugsimula­tionen von Dubai, New-York, Pittsburgh und Singapur nicht kopieren, sondern übertreffe­n. Während die Programmie­rer bislang auf Fotos zurückgrif­fen, wurde beim Flug über Ulm jedes der Gebäude regelrecht nachgebaut. 2000 Häuser und 4000 Bäume, Mauern und Co. entstanden binnen sechs Monaten am PC Stein für Stein in einem für diese Anwendung bisher unerreicht­en Definition­sgrad neu. Und in der Mitte freilich das Münster. El-Meligi griff dafür auf originale Dokumente aus dem Ulmer Stadtarchi­v zurück und verwendete die gleiche Software, die auch bei Multimilli­onen-Playstatim­it on-Produktion­en in virtuelle Welten führt.

Frei wie ein Vogel lässt sich das Virtual-Reality-Erlebnis ab Samstag, 15. Juli, testen. Die Stadt Ulm mietet ein Ladengesch­äft in der Kramgasse (neben Café Mohrenköpf­le) an und sorgt für den Betrieb. Eingebette­t wird die Simulation in das Ulmer-Digital-Projekt „Ulm Stories“. Auf der Webseite ulmstories.de lassen sich die Flüge buchen. Für fünf Euro gibt es ein Zeitfenste­r, sodass Wartezeite­n vermieden werden. Zudem gibt es künftig eine App für Smartphone­s. „Stimmen des Münsters“heißt das Programm, das auf neue Art durch das Wahrzeiche­n führen soll. grenzenlos­e

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Visualisie­rung: Demodern (2), Foto: Oliver Helmstädte­r Die Nutzer der Simulation „Birdly“erleben das Ulm aus dem Jahr 1890 aus der Vogelpersp­ektive. Dabei lässt sich ein guter Blick auf den damals noch im Bau befindlich­en Westturm des Münsters werfen.
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Ebenfalls Teil der Strecke: Der Metzgertur­m am Donauufer sowie ein Blick auf die Nachbarsta­dt Neu Ulm.

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