Wie Trude Herr zum Spatz von Ulm wurde
„Dead or Alive?“macht auch mit Musik statt Dichtung Spaß – und bietet einige Überraschungen
Der Spatz von Paris wirkt ein bisschen nervös. Edith Piaf ist zwar „très heureuse“, sehr glücklich an diesem Abend. Aber so ein Besuch in „Ülm“ist auch aufregend. Aber dann legt die Chanson-Legende los, mit vollem Einsatz, packt das ganze Drama ihres Lebens in dieses Lied, „Padam … padam“. Nicht schlecht für eine Tote.
Der Auftritt von Schauspielerin Christel Mayr ist der Auftakt zu einem Abend, den es so im Theater Ulm noch nie gegeben hat: eine „Music Edition“des Formats „Dead or Alive?“. Dabei treten lebendige, junge Künstler gegen verstorbene Legenden an, Letztere dargestellt von Mitarbeitern des Theaters. Eine Zuschauerjury bewertet die Auftritte, im Finale tritt danach der beste lebendige gegen den besten toten Beitrag an. Dann entscheidet der Applaus des gesamten Publikums. Beim etablierten „Dead or Alive“-Dichterwettstreit haben meistens die Lebenden den Zeitgeist auf ihrer Seite und die Nase vorn. Bei der „Music Edition“ist das anders: Da haben die Toten einen leichten Vorteil, weil man ihre Songs kennt – und die Darsteller mit den Eigenheiten der Stars jonglieren können. Begleitet werden sie bei der „Music Edition“von einer lässig aufspielenden Band: Philipp Solle (Piano), Igor Schiele (Bass) und Christian Krischkowsky (Drums).
Das Team Leben lässt sich von der Prominenz der Toten nicht beirren: Koje – früher Frontmann der Punkrocker Benzin – besingt in „Radlerhosenaxl“einen seiner Jugendhelden: Guns’n’Roses-Chef Axl Rose. Er erntet eine solide Punktzahl. Besser schneiden die Zwillinge Undine & Roxane mit sanftem Teenage-Weltschmerz ab. Da zeigen die Fans in der Jury sogar deutlich ihre Zuneigung. „Mit Herzchen, uuuh“, kommentiert CoModeratorin Dana Hoffmann einen verzierten Punktezettel. Noch mehr Herzen fliegen der Roadstring Army zu, zwei Medizinstudenten, die ihre Südstaaten-Pop-RockSongs auch gerne auf der Straße darbieten. Das Gros der rund 200 Zuhörer im Foyer ist so hingerissen, dass die Augsburgerin Stacia mit ihrem sentimentalen Pop nicht dagegen ankommt.
Bei den Toten ist die musikalische Bandbreite größer. Nach der gequälten Piaf kommt die gelangweilte Amy Winehouse, dargestellt von Musicalsängerin Dalma Viczina, die sich lieber mit der Bierflasche als mit dem Publikum beschäftigt. Ziemlich nah am Original. Bei „Jackson“lässt sich Johnny Cash (Schauspieler Timo Ben Schöfer) von seiner Partnerin June Carter (Dramaturgin Nilufar K. Münzing) die Show stehlen. Doch den Auftritt des Abends legt Schlagertrulla Trude Herr hin: Julia Baukus, gut ausgepolstert und kölsch-derbem Ton, performt „Ich will keine Schokolade“so quietschig und aufgedreht, dass selbst junge Jurymitglieder Höchstpunktzahlen an die ihnen unbekannte Tote vergeben. Das Finale lautet also: Roadstring Army gegen Trude Herr, wobei „unsere Lieblings-Wuchtbrumme“(Hoffmann) nach „Weil ich so sexy bin“knapp die Umschnall-Wampe vorn hat – und mit einem Kreischen die Trophäe, einen goldenen Ulmer Spatz, in Empfang nimmt. Was dann als Zugabe kommt, ist eines der unwahrscheinlichsten Duette der Musikgeschichte: Trude Herr singt zusammen mit Amy Winehouse. Das schafft nur dieser Abend – für den es irgendwann eine Fortsetzung geben soll, wie Daniel Grünauer verspricht. Dann aber wahrscheinlich nicht mehr im Theater.