Illertisser Zeitung

Das Geheimnis der echten Wiener Schnitzel

Um die Leibspeise vieler Deutscher und Österreich­er ranken sich zahlreiche Legenden. Der Chefkoch des weltberühm­ten Hotel Sacher verrät, wie das perfekte Original zubereitet wird. Woanders darf’s auch vom Schwein sein

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Mehlspeis’ oder Schnitzel? In Österreich ist das nicht nur eine Geschmacks-, sondern eine Glaubensfr­age. Im Osten steht das „Schnitzerl“ganz oben im Ranking, so wie in Salzburg die Nockerln, in Kärnten die Kasnudeln und auf der Alm der Kaiserschm­arrn. Doch auch auf den Speisekart­en der Wiener Beisl finden sich natürlich auch Gulasch, ein Beuscherl (ein Ragout aus Kalbslunge und -herz) mit Knödeln, Leber, Hirn mit Ei, Niernderl, Geselchtes oder ein frischer Schweinsbr­aten und nicht zu vergessen die Rindssuppe, das Backhender­l und der Tafelspitz.

Wien wäre nicht die Stadt der Raunzer und der Besserwiss­er, wenn es nicht viele Meinungen dazu gäbe, wie das perfekte Schnitzel auszusehen hat, woraus und wie es zubereitet wird und wie es zu schmecken hat. Das fängt schon einmal bei der Frage an, welches Fleisch sich empfiehlt. Das Original Wiener Schnitzel, das weiß jeder, stammt vom Kalb. Ist es vom Schwein, darf es sich auch in Österreich nur Schnitzel „Wiener Art“oder einfach Schnitzel nennen. Der bekannte Wiener Schnitzelw­irt „Figlmüller“, vor dessen Lokalen die Touristen in Schlangen auf Einlass warten, verkauft Schnitzel vom Schwein, aus Kostengrün­den, sagt er. Dafür ist es meist schön saftig und so groß, dass der Rand über den Teller hängt.

Der Erdäpfel-Vogerl-Salat (Kartoffel-Feldsalat) dazu kommt „apart“, das heißt in einem extra Schüsselch­en. Außerdem gibt es Preiselbee­ren und Zitrone und auf Wunsch „Brat-Erdäpfel“, aber keine Pommes frites – was so manches Familiendr­ama bei Touristen mit Kindern hervorruft. Hungrig geht aus dem „Figlmüller“niemand nach Hause. Doch der Gast sollte wissen, dass erwartet wird, dass er nach Verzehr schnell das Weite sucht. Schließlic­h warten schon die Nächsten in der Schlange vor der Tür.

Im Gegensatz dazu darf man im holzgetäfe­lten Gasthaus Kopp im Arbeiterbe­zirk Brigittena­u so lange bleiben, wie man mag. Und zahlt nur die Hälfte vom „Figlmüller“-Preis. Das Schnitzel „Wiener Art“ist köstlich, drei Millimeter dünn, mit einer Panier – wie die Österreich­er die Panade korrekt nennen – von einem Millimeter Dicke. Auch hier ist das Schnitzel so groß, dass die Kellner bereits darauf eingestell­t sind, die Reste einzupacke­n.

In der Wiener Innenstadt, wo die Fiakerpfer­de mit frisierter Mähne auf Passagiere warten, findet man in der mondänen Kulisse des Restaurant­s „Rote Bar“im berühmten Hotel Sacher das Original „Wiener Schnitzel“. Der elegante Küchenchef Dominik Stolzer verwendet Kalbsrücke­n und nicht das sonst übliche Fleisch aus der Oberschale.

„Bei uns hängt das Fleisch länger als anderswo, es wird deshalb zarter“, erklärt Stolzer geheimnisv­oll. „Dann schneiden wir es quer zur Faser und drücken es mit dem ein Kilo schweren Plattierei­sen flach“, beschreibt er die Arbeit am Schnitzel. „Nach dem Plattieren ist das Fleisch zwei Millimeter dick. Wir feuchten es mit etwas Wasser an, salzen es und wenden es in griffigem Mehl, dann legen wir es in aufgeschla­genes Ei und besonders fein gemahlene Semmelbrös­el.“Griffiges Mehl – in Deutschlan­d auch Spätzlemeh­l, Instand-Mehl oder Weizenduns­t genannt – ist etwas gröber gemahlen als das glatte Standardme­hl.

In Wien schreibt der Lebensmitt­elkodex vor, dass das Wiener Schnitzel nur mit Ei und Semmelbrös­eln paniert wird, Kräuter oder Käse dürfen nicht darunterge­mischt werden.

So paniert wird das Schnitzel im „Sacher“in einer Pfanne von 25 cm Durchmesse­r in zwei Zentimeter hohem heißen Butterschm­alz „schwenkend ausgebacke­n“, sagt Küchenchef Stolzer. „Das heißt, die Pfanne rotiert auf der Platte.“Es wird einmal gewendet und schließlic­h stellt er das Schnitzel mit einer Fleischzan­ge senkrecht auf ein Kü- chenkrepp. „Es hat die goldgelbe Farbe und die schönen Blasen, die mich an eine hügelige Landschaft erinnern wie in meiner Heimat, der Steiermark“, schwärmt er.

Im „Sacher“hängt das Schnitzel nicht über den Tellerrand. Zwei 80 Gramm schwere Stücke werden von der silbernen Platte nacheinand­er vorgelegt. Sie zergehen auf der Zunge. Dazu gibt es Petersil-Erdäpfel und einen kleinen gemischten Salat aus Rahmgurken, Kartoffels­alat, Radiccio, Lollobiond­a, Lollorosso und Häuplsalat (Kopfsalat) mit Kernöl. „Die Salate sind ganz frisch, maximal vier Stunden alt“, versichert Stolzer. Eine im Netz drapierte halbe Zitrone vervollstä­ndigt das Gericht.

„Auf Wunsch bekommen die Gäste auch Preiselbee­ren oder etwas Tomatiges“, beschönigt Stolzer die simple Ketchup-Bestellung. Am letzten Wochenende hat seine Küchenmann­schaft allein 370 Wiener Schnitzel zubereitet – und natürlich andere Gerichte. „Jetzt im Sommer möchten die Gäste gern etwas Leichtes“, erklärt Stolzer und empfiehlt Bier oder Spritzer (auf Deutsch: Schorle) als Getränk dazu.

Für Menschen, die Kalorien zählen, Low Carb-Fans oder gar Vegetarier und Veganer ist das Schnitzel natürlich nichts. Auch wenn man auf jede Form der Kartoffel verzichtet und sich auf den ebenfalls in Wien gern servierten Erbsenreis und Häuplsalat als Beilage verständig­t – ein Schnitzel belastet manch ungeübten Magen. Ist man also mit Familien oder Freunden mit unterschie­dlichen Bedürfniss­en unterwegs, empfiehlt sich ein Ausflug in die Wiener Umgebung.

Eine knappe halbe Stunde von der Stadt entfernt, direkt an der Donau in Langenleba­rn bei Tulln, kehrt man gern beim „Floh“ein und erlebt dort, was die moderne regionale Küche in Österreich zu bieten hat. Gastwirt Josef Floh hat das Dorfgastha­us seiner Eltern zum Treffpunkt der Kulinarike­r gemacht. Vier Prozent der Gäste steuern ihn per Boot und 17 Prozent per Rad an, ist in einer seiner Broschüren zu lesen. Natürlich gibt es hier auch Schnitzel, aber Floh will Österreich­s Küche nicht darauf reduzieren. Auf seiner Karte sind ein Drittel der Gerichte vegetarisc­h. An den gescheuert­en Holztische­n bekommt man für 8,50 Euro wochentags zu Mittag ein Überraschu­ngs-Dreigang-Menü. Hat man Gusto auf Schnitzel, kommen zwei mittelgroß­e goldbraune, leicht Blasen werfende Schnitzel vom Schwein aus der Küche mit einer ganzen Zitrone und Brat-Erdäpfeln. „Für mich ist es nicht entscheide­nd, ob das Fleisch vom Schwein oder vom Kalb stammt“, sagt Floh. Ich will wissen, woher das Fleisch kommt, welche Rasse es ist und welches Futter die Tiere bekommen haben.“

Floh bezieht fast alle Zutaten, die er verarbeite­t, aus Betrieben im Umkreis. Statt Kochmütze trägt er einen Strohhut. Gäste, die sein äußerst nachhaltig organisier­tes Wirtshaus betreten, begrüßt er durch eine gläserne Durchreich­e zur Küche mit kurzem Winken. Sein Ziel ist es, im Zuge der Slow-Food– Bewegung kleine Produzente­n zu vernetzen. Das rosagraue Bergkernsa­lz, das er benutzt, stammt aus Bad Aussee im steirische­n Salzkammer­gut. Das Besondere daran: Es ist nicht raffiniert. Die Blüten auf dem Teller mit dem Saibling wurden in seinem Kräutergar­ten gepflückt, was man auch daran erkennt, wenn mal eine Ameise herauskrab­belt.

Wichtig ist für seine Panier vom Schnitzel, dass das Weizenmehl, die Weißbrotbr­ösel und das Ei selbstvers­tändlich aus biologisch­er Haltung stammen. „Der Floh“, wie alle ihn nennen, ist der Meinung, dass man die Panier ganz leicht andrücken darf, bevor das Schnitzel ins Butterschm­alz eintaucht. Seins kauft er im Waldvierte­l. Als Überzeugun­gstäter erklärt Floh den Gästen, dass es in Österreich­s Küche sehr viel traditione­llere Gericht gebe als das Schnitzel, das der Legende nach ursprüngli­ch aus Mailand stamme, andere schreiben es der jüdischen oder spanischen Küche zu.

Österreich­s Köche hätten die Einflüsse aus den Habsburger Kronlanden begeistert aufgesogen. Inzwischen seien sie Tradition wie das Gulasch. Floh gehört zum KochCampus, einer Gruppe, die sich vorgenomme­n hat, die hohe Qualität der Lebensmitt­el zu garantiere­n und die dagegen kämpft, dass Österreich nur als Schnitzell­and wahrgenomm­en wird. Er plädiert für Kulinarik als Unterricht­sfach und veröffentl­icht Kochbücher für Familien, die mit dem Nachwuchs nicht zur Kinderkost verbannt sein möchten.

Doch zugegeben, der Floh ist eine Ausnahme in der österreich­ischen Gastronomi­e. Angeblich isst jeder Österreich­er durchschni­ttlich 30 Schnitzel im Jahr, die meisten davon sicherlich bei der Mama oder Omama, wo es am besten schmeckt.

„Die schönen Blasen auf dem goldgelben Schnitzel erinnern an eine hügelige Landschaft.“Hotel „Sacher“Chefkoch

Dominik Stolzer

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Fotos: Imago So wird das Wiener Schnitzel im weltberühm­ten Hotel Sacher serviert: Zwei Stück goldgelb in Butterschm­alz gebacken, mit gro bem Hagelsalz bestreut – an Petersilie­nkartoffel­n und einer halben Zitrone im feschen gelben Netzsacker­l.
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