Ist das ein schönes Haus?
Von der Zundeltor-Apotheke bis zum Justizhochhaus: Über die Architektur der 50er und 60er Jahre wird in Ulm dieser Tage lebhaft diskutiert
Neun Jahre vergingen zwischen der Nachricht, dass das Justizhochhaus an der Olgastraße abgerissen werden soll, und dem Beginn des Abrisses jetzt. Das Aus für das 1961 fertiggestellte markante „Paragrafensilo“brachte in der Ulmer Volkshochschule im Einstein Haus – selbst einem Bau der Nachkriegszeit – Architekten zusammen, die die Qualität der Ulmer Bauten der 50er und 60er Jahre detailliert kennen und die die Frage stellten, wie mit der Architektur der Nachkriegszeit umzugehen ist, in der wenig Geld vorhanden war und in der mit Materialien gespart wurde. Mit viel Licht wurde gearbeitet, mit einem veränderten, auf den mobilen Fortschritt ausgerichteten städtebaulichen Ansatz.
Nicht provinziell sein, sondern mutig, ohne Modetrends zu pflegen – das sei der Konsens der Architekten der Nachkriegszeit gewesen, legte Karl Foos dar. Für ihn offenbart das Justizhochhaus die neue demokratische Auffassung der Justiz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Foos hätte das im Besitz des Landes Baden-Württemberg befindliche Gebäude gern unter Denkmalschutz gestellt gesehen, da es ein Zeitzeuge jener demokratischen Transparenz sei. Angesichts des Umstandes, dass das Justizhochhaus den Sicherheitsbedürfnissen der Gegenwart nicht mehr entspricht, hätte Foos eine Umnutzung einem Abriss vorgezogen. Ähnlich empfindet Ulms früherer Baubürgermeister Alexander Wetzig, der den Abriss mit „einem weinenden Auge, und es gibt kein lachendes dabei“, sieht. Das Justizhochhaus sei einer der besten Bauten Ulms aus jener Zeit und dies, obwohl der Einzug der Moderne in die Städte der Nachkriegszeit für Wetzig „eine zweite Zerstörung der europäischen Stadt“bedeutet.
Anders argumentiert Christian Guther, Freier Architekt und Sohn von Max Guther, der 1947 als Stadtbaudirektor, der im Dezember 1944 in Schutt und Asche gebombten Stadt, nach Ulm kam. Solange man Gutes durch ebenso Gutes oder Besseres ersetzt, habe er mit Abrissen kein Problem, sagte Christian Guther. Wasserwirtschafts- und Straßenbauämtern traue er das aber nicht zu, wagte Guther ein offenes Wort.
Das Justizhochhaus wird abgerissen. Wie aber geht es mit anderen Bauten jener Zeit weiter? Die bauliche Qualität der in der Nachkriegs- zeit entstandenen Ulmer Schulen erhielt Lob. Die Zundeltor-Apotheke steht zwar unter Denkmalschutz, wirke aber trotzdem in ihrer Umgebung bedroht. Problematisch dagegen stellt sich die Situation der Brücken in Ulm dar, die aus einem besonderen Grund heraus als Ein-Bogen-Brücken gebaut wurden: Als Teil eines geplanten Donau-Bodensee-Kanals, einer Wasserstraße vom Neckar über die Alb zur Donau und weiter zum Bodensee, sollten die Donaubrücken den Flussquerschnitt pfeilerfrei halten; ein Hafen des Kanals war ursprünglich in Offenhausen und später nach der planerischen Verlegung westwärts im Ulmer Donautal vorgesehen. Die Kanalplanung wurde in den 70er Jahren aufgegeben. Doch die entstandenen elegant-schlichten Brückenbauten halten dem Verkehrsaufkommen und dem Gewicht heutiger Fahrzeuge nicht mehr stand. „Die Adenauerbrücke ist nicht zu halten“, sagte Wetzig; Max Guthers Werk sei letztlich schon deshalb auch nicht erhaltenswert, weil die Brücke bereits in den 70er Jahren „verbastelt“wurde. „Sie ist in einem Zustand, dass sie das Ende ihres Lebens erreicht hat.“Ein Wettbewerb, gemeinsam mit Bayern, müsse die Entscheidung für eine neu zu bauende Brücke bringen. Anders stufen die Architekten die Herdbrücke und die Gänstorbrücke, beide erbaut zwischen 1947 und 1950, ein: Beide sind qualitätvolle Bauten, die vor dem Abriss bewahrt werden sollen.
Was Sanierung leisten kann, demonstrierte Jens Rannow, der aktuell das Gemeindezentrum der evangelischen Auferstehungskirche in Böfingen, errichtet in den 60er Jahren, technisch auf den neuesten Stand bringt und dabei gleichzeitig die Architektur jener Zeit erhält. Der Einbau von Kita-Räumen machte aufwendige Lüftungstechnik nötig, doch das architektonische Ensemble Heinz Ralls bleibt erhalten. Böfingen, aus einem winzigen Weiler zum großen Ulmer Stadtteil geworden, ist insgesamt ein Kind der Nachkriegszeit: Sowohl die Hochhäuser als auch die Reihenhäuser im Mecklenburg- und Schlesienweg, beide Kirchen und das von Günter Benisch geplante Ladenzentrum gehen auf den hohen Zuzug von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen zurück.
Die Botschaft der baulichen Zeitzeugen der 50er und 60er Jahre an die Gegenwart sei es, „wieder runterzukommen von allzu aufgeblasener Architektur“, sagte Wetzig.