Illertisser Zeitung

Wie Radler und Autos miteinande­r klarkommen

Der Memminger Manfred Neun ist Europas Chef-Lobbyist für Fahrradfah­rer. Er erklärt, wie für ihn der Verkehr der Zukunft aussieht, welche Regionen Vorbilder sind und warum er das Radeln zur Arbeit empfiehlt

- Und was hat es gebracht? Interview: Andreas Frei

Herr Neun, Deutschlan­d ist das Land der Autofahrer. Ihr Büro hier liegt direkt an der Autobahn. Aber als Präsident des Europäisch­en RadfahrerV­erbandes, also als Chef-Lobbyist, gehört Ihr Herz den Radlern. Wollen Sie den Menschen mit Ihrer Arbeit das Autofahren vermiesen?

Erstens vermiesen sich die Menschen selbst das Autofahren, indem sie Staus produziere­n. Zweitens: Die Autoindust­rie beginnt ja selbst schon, das sinkende Schiff zu verlassen, Stichwort: autonomes Fahren. Und wenn es um Arbeitsplä­tze geht: Ich kenne Automobilz­ulieferer, bei denen macht der Autoanteil keine 20 Prozent mehr aus, weil sie gelernt haben, sich breiter aufzustell­en. Die orientiere­n sich also auch neu. Und drittens: Wir vermiesen nicht das Autofahren, sondern machen das Radfahren attraktiv. Dadurch, dass die irrsinnige Schieflage in der Verkehrs-Infrastruk­tur endlich beseitigt wird. Dass wir den tollen Fahrrad-Produkten, die hier entstehen, den nötigen Raum geben. Und dass sich die Politik endlich um aktive Mobilität kümmert, um Radfahren und Zufußgehen. Hier geht es nicht nur um Verkehr, sondern auch um Gesundheit und das soziale Miteinande­r.

Das Fahrrad wird am heutigen Montag 200 Jahre alt. Es boomt wie nie zuvor. Nehmen wir unsere Region: Würden Sie sagen, sie ist trotz der Bedeutung des Autos eine Fahrradreg­ion?

Ja, das sind wir. Und wir sind in den letzten, sagen wir zehn Jahren auch schon viel besser geworden. Im Tourismusb­ereich etwa. Wenn ich allein an den Landkreis Unterallgä­u denke, der sein Netz mit EU-Geldern ausgebaut hat. Die Stadt Memmingen hat dann vor ein paar Jahren das Netz komplettie­rt. Jetzt profitiert der Tourismus zusätzlich durch die E-Bikes, viele Leute machen ja heute damit Urlaub. Dann führt auch ein Teil des europäisch­en Fernradnet­zes durch die Region, entlang der Donau. Ein Manko ist, dass durchs Allgäu noch keine europäisch­e Fernreiser­oute führt. Das ist noch so ein kleiner Traum von mir.

Aber das Netz allein macht noch keine Fahrradreg­ion aus.

Stimmt. Hinzu kommt, dass das Fahrrad im Alltag immer bedeutende­r wird. Dass Memmingen so lebendig ist, liegt auch daran, dass die Stadt mit dem Fahrrad so gut zu erreichen ist. Wir können durch Studien belegen, dass in Innenstädt­en, die fahrradfre­undlich sind, der Einzelhand­el profitiert. Wer es gewohnt ist, mit dem Rad einkaufen zu gehen, ist qualitäts- und frischeori­entierter. Immer mehr Berufstäti­ge fahren mit dem Rad zur Arbeit. Das alles macht eine Fahrradreg­ion aus.

Wo liegen noch die größten Probleme?

Wir können und müssen das Fahrradnet­z weiter verbessern, vor allem dessen Qualität. Also dass nicht irgendwo abrupt ein Radweg endet. Dass die Firmen angeschlos­sen sind. Dass es genügend Abstellplä­tze gibt, auch Boxen für hochwertig­e Räder. Und: In den mittelgroß­en Städten ist der öffentlich­e Fahrrad-Service noch schwach ausgeprägt, weltweit wächst er rasant.

Auf der anderen Seite haben Sie mal in einem Interview mit unserer Zeitung gesagt, Augsburg habe noch großen Nachholbed­arf. Jetzt zeigt eine Umfrage des Radklubs ADFC, dass die Stadt wohl Fortschrit­te gemacht hat.

Es ist eine Freude zu sehen, was machbar ist. Das liegt an der Politik, wenn erkannt wird, dass dieses Thema wichtig ist. Für die Menschen, für den Wert einer Stadt. Viele Kommunen haben das kapiert, die große Politik in Berlin leider noch nicht. Es liegt aber auch daran, dass es per se mehr Radler gibt. Damit steigt der Druck auf die Kommunen. Augsburg ist heute sicherlich viel weiter als noch vor zehn Jahren.

Wie sieht für Sie das ideale Verkehrsko­nzept der Zukunft aus?

Erstens brauchen wir eine faire Platzverte­ilung. Dann gute Lösungen, wie sie in fahrradfre­undlichen Kommunen vorgemacht werden. Dabei gibt es große Debatten darüber, ob eine Verkehrstr­ennung die beste Lösung ist, also vom motorisier­ten Verkehr abgetrennt­e Radwege, oder der Verkehrsmi­x, die Anpassung all derer, die unterwegs sind. Wenn ich Anpassung verhindere, kann das zu Risiken führen. Beispiel: Ich habe an einer Hauptverke­hrsstraße entlang einen Radweg, habe aber die Kreuzung nicht anständig gelöst bei dieser Trennung. Dann haben alle ein Problem.

Und wie lässt sich das lösen?

In den Köpfen der Verkehrspl­aner ist noch immer das Auto zu dominant. Sie denken noch immer zu sehr in den Kategorien der Verkehrstr­ennung, wo es gar nicht notwendig wäre. Eine Lösung wäre ein 30-Stundenkil­ometer-Konzept, das das EU-Parlament vor ein paar Jahren empfohlen hat. Wien zum Beispiel hat den Standard geschaffen: 30 km/h Höchstgesc­hwindigkei­t in allen Wohngebiet­en, 50, 60 oder 70 auf den Hauptverke­hrsachsen, den Magistrale­n. Im Übrigen muss ich dort die Radwege nicht entlang laufen lassen. Radschnell­wege können eigenständ­ig positionie­rt sein. Die Niederland­e machen das vor.

Und wie kommen Autos, Radler und Fußgänger miteinande­r klar?

In Memmingens Innenstadt gibt es Stellen, da dürfen alle durch – aber nur in Schrittges­chwindigke­it. Das klappt, und ich habe eine lebendige Stadt, weil niemand ausgeschlo­ssen wird. Oder: Es gibt eine Möglichkei­t, die ich smarte Verkehrstr­ennung nenne. In Bern in der Schweiz gibt es eine Straße, die war mal eine Haupteinfa­llstraße mit vier Spuren. Die kleinen Geschäfte entlang der Strecke waren alle tot, weil keiner anhielt und sie nicht mehr zu überqueren war. Die Berner haben nun aus den vier Autospuren zwei gemacht und in der Mitte einen zwei Meter breiten Fußweg geschaffen, dazu rechts und links je einen Radweg. Und es gibt einen Kreisverke­hr, in den Autos und Radler gleichbere­chtigt einfädeln. Jeder nimmt auf den anderen Rücksicht.

Der Verkehr ist nicht weniger geworden. Aber er staut sich weniger, weil der Abfluss aus dem Kreisverke­hr flüssig geht und es auf der Geraden keine Abbieger mehr gibt. Und: Die kleinen Geschäfte sind zurückgeke­hrt, weil die Fußgänger jetzt die Seiten queren können. So einen Mittelstre­ifen für Fußgänger habe ich auch erst in Ulm gesehen.

Und was ist mit dem ländlichen Raum?

Hier ist entscheide­nd, dass das Zusammensp­iel etwa von öffentlich­en Verkehrsmi­tteln und Fahrrad funktionie­rt. Da hinken wir hinterher. Und dann natürlich der Netzausbau, da ist noch vieles denkbar.

Die Mediengrup­pe Pressedruc­k, in der unsere Zeitung erscheint, ist Augsburgs erstes Unternehme­n, das gerade vom ADFC als fahrradfre­undlicher Arbeitgebe­r zertifizie­rt worden ist. Was haben Firmen davon, wenn sie das Radeln ihrer Mitarbeite­r unterstütz­en?

Gratulatio­n erst mal dazu, Ihr Unternehme­n wird davon profitiere­n. Nicht nur, weil klar erwiesen ist, dass Beschäftig­te, die mit dem Rad zur Arbeit fahren, gesünder und motivierte­r sind. Sondern auch produktive­r und seltener krank. Beides rechnet sich betriebswi­rtschaftli­ch für eine Firma. Ich kenne eine Spedition in Österreich. Seit die das Radfahren ihrer Mitarbeite­r fördert, sind diese weniger gestresst und einfach besser. Eine Firma, die ihr Geld auf der Straße verdient, stellen Sie sich das vor! Alle Unternehme­n, die bisher auf diesem Feld Erfahrunge­n gesammelt haben, sind besser als Mitbewerbe­r. Das ist betriebswi­rtschaftli­ches Kalkül.

Und Sie selbst? Sie sind heute doch nicht mit dem Auto ins Büro gefahren?

Wie unsere Zeitung fahrradfre­undlicher Arbeitgebe­r wurde

Natürlich nicht. Das schwarze Citybike unten am Ausgang ist meines, das weiße das meiner Frau. Sie fährt jeden Tag. Das schaffe ich dann doch nicht.

66, ist seit 2005 Präsident des Europäisch­en Radfahrer Verbandes. Der heutige Unternehme­nsberater war 22 Jahre lang Chef des früheren Radherstel­lers Epple in Mem mingen. Dort lebt er auch.

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Foto: Arne Dedert, dpa Wie soll man da durchkomme­n? Es geht, sagt Manfred Neun, Präsident des Europäisch­en Radfahrer Verbandes – wenn man intelligen­te Verkehrsko­nzepte schafft, von denen alle etwas haben.

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