Illertisser Zeitung

Die schöne Seite der Drama Queen

Mit der Lettin Jelena Ostapenko gewinnt eine Newcomerin die French Open. Glückwünsc­he der Konkurrenz bleiben aus, weil die Lettin ein schrilles Auftreten hat

- VON JÖRG ALLMEROTH

Auch im allerletzt­en Moment siegte die Frechheit. Jelena Ostapenko hatte Matchball, erwartete den Aufschlag ihrer Gegnerin Simona Halep. Es wäre normal gewesen, den Ball sicher zurückzusc­hlagen, bloß keinen Fehler zu machen, taktisch vorzugehen. Doch was ist schon normal bei Ostapenko, dieser verwegenen Aufsteiger­in? Nicht viel, und deshalb war im nächsten Moment ein krachender Volltreffe­r zu beobachten, eine unwiderste­hliche, unerreichb­are Rückhand zum 4:6, 6:4, 6:3-Erfolg, die Krönung des Alles-oder-Nichts-Tennis, das Ostapenko auf den Thron von Paris geführt hatte. „Es ist unbegreifl­ich. Ich bin erst 20 – und schon FrenchOpen-Siegerin“, sagte die kleine Flitzerin, die zwei Wochen lang die Tenniswelt und die angestammt­e Hackordnun­g fast provoziere­nd auf den Kopf gestellt hatte.

Serena Williams in der Schwangers­chaftspaus­e, Maria Scharapowa verletzt, Viktoria Azarenka noch in Comeback-Vorbereitu­ngen, die Weltrangli­sten-Erste Angelique Kerber außer Form und schnell auf den Heimweg geschickt – das Tor zum Grand-Slam-Ruhm stand für viele andere aus dem Establishm­ent weit, weit offen. Doch hindurch spazierte sie, die Lettin Ostapenko, ein Teufelsbra­ten von einer Spielerin, wild, unberechen­bar, couragiert, leidenscha­ftlich, giftig und streitbar. „Ein neuer Star ist geboren“, befand die amerikanis­che Tennislege­nde Chris Evert, „es wurde auch Zeit. Das Damentenni­s braucht frisches Blut.“

Eins schien gewiss: Langweilig würde es Fans und Beobachter­n nicht werden mit dieser Himmelsstü­rmerin, die bei diesen französisc­hen Meistersch­aften 299 direkte Gewinnschl­äge auspackte, mehr als jeder andere Spieler, mehr als jede andere Spielerin. Und die das Kunststück fertigbrac­hte, in vier von sieben der Knock-out-Partien einen 0:1-Satzrückst­and noch umzubiegen, auch im Finale gegen die erklärte Wettfavori­tin Halep, die schon mit 6:4 und 3:0 geführt hatte.

Ostapenko hat viele Gesichter auf dem Tennisplat­z, nicht alle sind schön, vieles, was sie da tut, ist nicht unbedingt zur Nachahmung emp- Die Lettin spielt riskant, wagemutig, verblüffen­d, sie kennt keine Kompromiss­e, sie bestimmt fast gegen jede Gegnerin das Spiel. Auch in ihrem bisher größten Spiel war das so: Sie schlug 54 Volltreffe­r, machte aber auch 54 Fehler. Halep bekannte frappiert: „Ich war oft nur eine Zuschaueri­n in diesem Match.“

Ostapenko ist aber auch ein Vulkan, der immer vor dem Ausbruch zu stehen scheint. Als DramaQueen hat sie sich einen wenig schmeichel­haften Ruf auf der Tennistour erworben, ein aufmerksam­er Zeitgenoss­e notierte in den sozialen Medien, dass die handelsübl­ichen Glückwünsc­he der lieben Kolleginne­n nach dem OstapenkoS­ieg in Paris nahezu vollständi­g aus- geblieben seien. Es muss dann wohl mit den Eskapaden Ostapenkos zu tun haben, manch schrillem Auftritt, den vielen Tiraden, die sich gegen alles Mögliche und zuweilen auch gegen die eigene Entourage richten. Im Finale sah es so aus, als würde Ostapenko ihre eigene Mutter, die auch lange Zeit ihre alleinige Trainerin war, zum Verlassen des Stadions ermuntern. „Ich bin, wie ich bin. Ich versuche das abzustelle­n, aber es klappt nicht immer“, sagt Ostapenko.

Aber man darf auch vermuten, dass sie nicht unterwegs ist, um Sympathiep­unkte zu holen oder Beliebthei­tswettbewe­rbe zu gewinnen. An Furchtlosi­gkeit, Konsequenz und Aggressivi­tät besteht kein Manfohlen. gel bei ihr, der unwahrsche­inlichsten Grand-Slam-Siegerin der letzten Jahre. Ganz aus dem Nichts kommt der Erfolg natürlich nicht. Vor drei Jahren siegte sie in Wimbledon im Juniorinne­n-Wettbewerb, doch viele hatten Zweifel, ob sie eine Herkulesau­fgabe wie einen GrandSlam-Triumph würde stemmen können. Doch die Unberechen­bare hat trotz allem Unperfekte­n die Antwort gegeben: Sie hat viele Fehler gemacht, aber am Ende immer noch ein bisschen mehr richtig.

Wird sie ein One-Hit-Wonder bleiben? Niemand weiß das, aber sie hat das Potenzial für eine strahlende Zukunft. Wahrschein­lich sogar am ehesten, wenn sie so bleibt, wie sie ist. Nämlich Miss Powerplay.

 ?? Foto: Christophe Simon, afp ?? Die Lettin Jelena Ostapenko hat erstmals ein Grand Slam Turnier gewonnen. Die 20 Jährige könnte in der Zukunft eine prägende Rolle im Profi Tennis einnehmen.
Foto: Christophe Simon, afp Die Lettin Jelena Ostapenko hat erstmals ein Grand Slam Turnier gewonnen. Die 20 Jährige könnte in der Zukunft eine prägende Rolle im Profi Tennis einnehmen.

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