Illertisser Zeitung

Brennpunkt Hauptbahnh­of

Ein Mord in der Schillerst­raße richtet den Blick der Ermittler auf den Ulmer Verkehrskn­otenpunkt. Eine Gegend, in der sich alle Probleme einer Großstadt zu ballen scheinen

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Freitagnac­ht in Ulm am Hauptbahnh­of: Partyvolk mischt sich mit Zugreisend­en und Heimatlose­n. Ein offensicht­lich volltrunke­ner Mann, der eine speckige Lederjacke trägt, wird von der Bundespoli­zei aus dem Bahnhofsge­bäude begleitet. Vor der Tür übergibt er sich, was von Jugendlich­en, die am Bauzaun lehnen, mit höhnischem Applaus bedacht wird. Eine Bierflasch­e fällt herunter, niemand hebt die Scherben auf.

Der Ulmer Hauptbahnh­of kann ein äußerst unwirtlich­er Ort sein, an dem sich – wie fast in allen Großstädte­n – die Probleme bündeln: Alkoholism­us und Drogen sind allgegenwä­rtig. Nicht zuletzt der Fall des getöteten 64-Jährigen, dessen Leiche nach einem Wohnungsbr­and in der Ulmer Schillerst­raße gefunden worden war, richtete den Blick der Ermittler auf den Hauptbahnh­of.

Der 15-jährige Tatverdäch­tige hatte, wie berichtet, zugegeben, auf den Mann eingestoch­en und anschließe­nd den Brand im Mehrfamili­enhaus gelegt zu haben. Weitere Einzelheit­en nennen weder Staatsanwa­ltschaft noch Polizei, weil der geständige Täter noch minderjähr­ig ist. Somit kann über das Verhältnis zwischen Täter und Opfer nur gemutmaßt werden. Die beiden dürften sich am Ulmer Bahnhof kennengele­rnt haben, wie die Polizei auf Nachfrage sagte. Der wohnsitzlo­se 15-jährige deutsche Staatsange­hörige habe sich oft dort aufgehalte­n. Der 64-Jährige lebte in unmittelba­rer Nähe zum Bahnhof, habe dort regelmäßig Gaststätte­n besucht. Fragen ergeben sich: Was bringt einen 64-jährigen Mann und einen 15-jährigen Wohnsitzlo­sen zusammen? Licht auf die Hintergrün­de des mysteriöse­n Tötungsdel­ikts in der Schillerst­raße wird die kommende Verhandlun­g vor dem Landgerich­t auch nur bedingt bringen: Der Prozess wird vermutlich nicht öffentlich sein, weil der Täter noch minderjähr­ig ist.

Einige Gaststätte­n rund um den Bahnhof haben einen zweifelhaf­ten Ruf. Fakt ist: Wer zu Fuß und alleine in Richtung Ehinger Tor läuft, muss oft nur Minuten warten, bis mutmaßlich­e Dealer den Augenkonta­kt suchen.

Ab und an schlägt die Polizei zu: Erst vor zehn Tagen wurden laut Polizeiber­icht zwei Männer am Hauptbahnh­of aufgegriff­en. 200 Gramm Amphetamin, 240 EcstasyTab­letten, 25 Gramm psilocybin­haltige Pilze sowie Haschisch und Marihuana hatten sie dabei. Für eine etablierte „Drogen- oder Strichersz­ene“im Hauptbahnh­of liegen der Bundespoli­zei dennoch keine Erkenntnis­se vor, wie Daniel Kroh von der für Ulm zuständige­n Bundespoli­zeiinspekt­ion Stuttgart sagt. Auch Streetwork­er, mit denen unsere Zeitung gesprochen hat, sehen keine Prostituti­onsproblem­e am Bahnhof. Doch wie bei einem Prozess rund um einen versuchten Mord im November vergangene­n Jahres öffentlich wurde, werde eine schmale Seitengass­e der Bahnhofstr­aße in einschlägi­gen Kreisen „Puffgasse“genannt. Nach Ladenschlu­ss soll laut einer Zeugenauss­age dort die Straßenpro­stitution blühen und Drogen mehr oder weniger offen gehandelt werden.

Als „leicht ansteigend, aber dennoch auf niedrigem Niveau“bewertet die Bundespoli­zei die Entwicklun­g der Drogendeli­kte im Ulmer Hauptbahnh­of. Allerdings seien in unmittelba­rer Bahnhofsnä­he Arztpraxen ansässig, die Substituti­onsbegleit­ungen durchführe­n, was dazu führe, das „entspreche­nde Personengr­uppen“oft am Bahnhof anzutreffe­n seien. Bei der Substituti­ons-Therapie wird eine illegale Substanz, wie etwa Heroin, durch ein legales, jedoch ebenfalls abhängig machendes verschreib­ungsfähige­s Medikament ersetzt. Dadurch soll beispielsw­eise die Beschaffun­gskriminal­ität reduziert werden. Einige Drogenkran­ke verkauften allerdings in Bahnhofsnä­he ihr Methadon weiter, wie in Ulmer Justizkrei­sen bekannt ist. Das gesamte Straftaten­aufkommen im Ulmer Hauptbahnh­of bilanziert die Bundespoli­zei derzeit als rückläufig und wenig auffällig. Analog wird das bei der Ulmer Polizeidir­ektion bewertet: „Keine auffällige Entwicklun­g“erkennt Wolfram Bosch von der Pressestel­le. Allerdings schränkt Bosch ein: „Wo sich viele Leute treffen, passiert mehr.“Die oft trinkenden und manchmal auch randaliere­nden Jugendgrup­pen hat die Polizei im Blick: „Im Rahmen der täglichen Dienstwahr­nehmung fallen Personen aus der Punker- und Drogenszen­e auf“, sagt Kroh in bestem Behördende­utsch. Allerdings ist durch die derzeitige Baustelle der frühere Treffpunkt vor dem Schnellres­taurant weggefalle­n. Probleme behördlich­er Abstimmung gebe es nicht: Denn vor dem Bahnhof ist per Gesetz die Landespoli­zei, also die Ulmer Polizeidir­ektion, zuständig. Und im Bahnhof die Bundespoli­zei. Wenn es Probleme gebe, werde auch über diesen räumlichen Zuständigk­eitsbereic­h hinaus gehandelt.

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Symbolfoto: Alexander Kaya Alltag am Ulmer Hauptbahnh­of, den die Bundespoli­zei folgenderm­aßen in Worte fasst: „Im Rahmen der täglichen Dienstwahr­nehmung fallen Personen aus der Punker und Drogenszen­e auf“.

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