Illertisser Zeitung

Nun kann Macron durchregie­ren

Einst als Außenseite­r belächelt, kann der Präsident nun auf stabile Parlaments­mehrheit setzen. Nutzt er die Chance?

- VON BIRGIT HOLZER

Es war ein Triumph, unbestreit­bar, wie erwartet. Und doch klangen gestern die Reaktionen im siegreiche­n Lager des Präsidente­n Macron und seiner Partei La République en Marche (REM) nach der zweiten Runde der Parlaments­wahlen verhalten und pragmatisc­h. Die neu gewählte Mehrheit wolle sich das Vertrauen der Menschen erarbeiten, sagte Parteichef­in Catherine Barbaroux. Wir sind uns bewusst, dass die Franzosen von ihren Abgeordnet­en mehr Zuhören und Dialog erwarten, um Spaltungen endlich zu überwinden.

Zwar hat Macrons gut einjährige politische Formation gemeinsam mit dem Bündnispar­tner MoDem (Mouvement démocrate ) eine deutliche und sogar absolute Mehrheit in der Nationalve­rsammlung gewonnen. Ganz so spektakulä­r wie von den Umfragen vorausgesa­gt fiel der Sieg aber nicht aus: Statt der angekündig­ten 400 von insgesamt 577 Sitzen sind es den Hochrechnu­ngen von gestern Abend zufolge wohl nur um die 360.

Wer die neuen REM-Parlamenta­rier eigentlich sind, das werden die Franzosen großteils erst noch entdecken: Viele der Kandidaten übten bislang andere Berufe aus und müssen das Metier des Abgeordnet­en erst noch lernen. Eine andere Lektion aus dem Votum ist die Wahlbeteil­igung, die schon bei der ersten Runde mit gut 48 Prozent schwach blieb. Gestern ging sie nochmals zurück auf historisch niedrige 43,4 Prozent. Sie kann als mangelnde Legitimati­on für die REM gelesen werden, als Desinteres­se der Menschen – zugleich aber auch als Zeichen dafür, dass die anderen Parteien nur wenig mobilisier­en konnten.

Einbußen sind enorm: Die Republikan­er und ihre Verbündete­n können sich mit rund 128 Sitzen noch als stärkste gegnerisch­e Kraft halten, während die Sozialiste­n, die bisher gemeinsam mit ihrem grünen Bündnispar­tner fast 300 Mandate innehatten, tief auf 48 Sitze fallen. Noch am Abend trat der bisherige Parteichef Jean-Christophe Cambadélis zurück. Er gehört zu den prominente­n Kandidaten, die bereits in der ersten Runde vor einer Woche ausgesiebt wurden.

Eine starke Konkurrenz für die Sozialiste­n kommt inzwischen vom Linkspopul­isten Jean-Luc Mélenchon. Das Ergebnis von voraussich­tlich 28 Sitzen für dessen Partei „Das Frankreich, das sich nicht unterwirft“ist ein Erfolg für den Linkspopul­isten, der seinen Wahlkreis in Marseille gewann und gewohnt kämpferisc­h erklärte, Macron habe nicht die Legitimitä­t, einen sozialen Staatsstre­ich durchzufüh­ren.

Für den Front National wurden die Parlaments­wahlen eine Enttäuschu­ng, nachdem Parteichef­in Marine Le Pen bei den Präsidents­chaftswahl­en die zweite Runde erreicht hatte. Zumindest konnte sie selbst ein Abgeordnet­enmandat in der nordfranzö­sischen Bastion Hénin-Beaumont erobern; darüber hinaus dürfte es sieben weitere Sitze geben, auch für ihren Lebenspart­ner Louis Aliot, während Parteivize Florian Philippot im elsässisch­en Forbach scheiterte. Die erforderli­chen 15 Mandate, um eine eigene Fraktion zu bilden, verfehlte der Front National, der im Vergleich zu den Parlaments­wahlen vor fünf Jahren massiv an Stimmen einbüßte.

Ihm stehen nun interne Debatten über die politische Linie, aber auch über einige umstritten­e FührungsDe­ren persönlich­keiten bevor – so wie allen anderen Parteien auch.

Die Resultate bringen für sie nicht nur einen Machtverlu­st mit sich, sondern stellen auch einen bedeutende­n ökonomisch­en Rückschlag dar. Denn ein großer Teil der Finanzieru­ng berechnet sich aus der Zahl der Abgeordnet­en sowie der eingefahre­nen Stimmen. Da jeder Parlamenta­rier seiner Partei jährlich 37 280 Euro einbringt, die zudem 1,42 Euro pro Stimme im ersten Wahldurchg­ang erhält, stehen vor allem Republikan­ern und Sozialiste­n Einbußen in Millionenh­öhe bevor. Letztere werden wohl ihren Parteisitz im schicken siebten Arrondisse­ment von Paris aufgeben müssen, dessen Wert auf 50 Millionen Euro geschätzt wird.

So sind Macron, seine Partei und die Regierung die Einzigen, die gestärkt aus dem Votum hervorgehe­n. Die Parlaments­wahlen werden oft als dritte Runde der Präsidents­chaftswahl­en bezeichnet, auf die sie folgen, da dann bestimmt wird, wie handlungsf­ähig der soeben gewählte Präsident künftig eigentlich ist. Ohne absolute Mehrheit hätte REM bei der Abstimmung über einzelne Gesetze jeweils um Unterstütz­ung von Abgeordnet­en oder Fraktionen anderer Parteien werben müssen. Nun aber kann Macron durchregie­ren.

 ?? Foto: Bertrand Guay, afp ?? Selfie mit Monsieur le Président: Die Begeisteru­ng vieler junger Franzosen für ihren neuen Präsidente­n Emmanuel Macron bleibt ungebroche­n.
Foto: Bertrand Guay, afp Selfie mit Monsieur le Président: Die Begeisteru­ng vieler junger Franzosen für ihren neuen Präsidente­n Emmanuel Macron bleibt ungebroche­n.
 ?? Foto: dpa ?? Weniger Teilnehmer als erwartet: Kölner „Friedensma­rsch“von Muslimen.
Foto: dpa Weniger Teilnehmer als erwartet: Kölner „Friedensma­rsch“von Muslimen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany