Den Wald mit anderen Augen sehen
Den naturnahen Kindergarten in Babenhausen gibt es nun seit knapp zwei Jahren. Wie sich die Einrichtung seitdem entwickelt hat und wie viel Umweltbildung dahintersteckt
Der Duft von feuchtem Gras liegt in der Luft, es riecht nach Tannenzapfen und Gehölz. Am Fuggerweiher ist es still – noch. Denn ab kurz vor 8 Uhr kommen die ersten Kinder am Gewässer an. Und dann wird getobt und gespielt – im und um das ehemalige Weiherstüble. Darin befindet sich seit fast zwei Jahren der naturnahe Kindergarten Babenhausen.
Jannis, Amon, Diego und Maximilian sitzen bereits an einem Tisch und schneiden Gurken, Paprika und Radieschen in kleine Stücke. „Das wird unser Mittagessen“, sagen die Buben stolz. Heute gibt es Nudelsalat. Zwischen zehn und zwölf Kinder essen täglich im Kindergarten Mittag. Die anderen werden ab 12 Uhr wieder von ihren Eltern abgeholt.
Jeden Vormittag marschieren die insgesamt 20 Kindergartenkinder im Alter von drei bis sechs Jahren in den Wald. „Wir haben drei ‘Draußen-‘ und zwei ‘Drinnentage‘“, erklärt die Kindergartenchefin Karin Fürst-Müller. Doch auch an den „Drinnentagen“werde im Freien gespielt. „Seit Mai sind wir eigentlich jeden Tag in der Natur“, sagt sie. Im Winter sind die Kinder meistens an zwei Tagen pro Woche bis 11 Uhr im Gebäude und können danach raus. Das nahegelegene Gewässer wurde bei den Spielerein bisher noch nie zum Problem: Ein Zaun versperrt den Kindern den Zugang dorthin.
Bei der Einrichtung im ehemaligen Weiherstüble wurde der Kindergarten vor allem durch Bauhofspenden unterstützt. So stammen Spielzeuge, Tret-Fahrzeuge für die Kleinen oder auch Stühle meist vom Bauhof. Inzwischen sei der Name des Leiters deswegen sogar zu einem Berufsbild geworden, sagt FürstMüller und muss schmunzeln: „Ein Junge sagte mir mal: ‘Ich werde Erwin Hatzelmann‘.“
Den Weg zu ihrer Waldfläche, zwischen Bäumen hindurch, kennen die Kleinen schon. Sie gehen täglich diesen Pfad entlang und landen an einer Stelle, die an einem Baum mit „Naturkindergarten“ausgeschildert ist. Erkennbar ist das Gelände an drei Tipis, die die Kleinen selbst aus verschiedenen Ästen gebaut haben. Im größten Tipi steht eine Mülltonne, gefüllt mit Spaten und anderen Werkzeugen. Kinderpflegerin Tatiana Dellner hat außerdem eine Werkzeugkiste mitgenommen, aus der sich die 13 Buben und sieben Mädchen bedienen können. „Guck mal, ich säge jetzt einen Ast durch“, sagt Magnus und beginnt sofort am Boden liegendes Gehölz zu zerkleinern. Ein paar andere Jungs haben währenddessen eine ganz besondere Entdeckung gemacht: Sie haben einen kleinen Frosch gefangen. Maximilian hält das winzige Tier zwischen seinen Händen, lässt es später aber wieder frei. Im naturnahen Kindergarten, der von der Marktgemeinde getragen und mitfinanziert wird, soll dem Nachwuchs ein verantwortungsbewusster Umgang mit Mensch und Natur vermittelt werden, genauso wird der Bayerische Bildungsplan in das Konzept eingebunden.
„Uns sind viele Werte wichtig“, sagt Fürst-Müller. „Die Kinder müssen im Wald aufeinander aufpassen, dadurch werden sie selbstständig.“Das liege zum Teil am eigenen Rhythmus, den die Kleinen lernen. Jeden Tag geht es für sie nach draußen, das bedeutet für ein drei- bis sechsjähriges Kind: Jacke, Schuhe und Mütze alleine anziehen, auf die Toilette gehen und den Rucksack nicht vergessen.
„Das Konzept unseres Kindergartens haben wir uns ausgedacht“, betont die Leiterin. Bei einem reinen Waldkindergarten gelten laut Fürst-Müller andere Auflagen, es müsse beispielsweise eine Schutz- hütte oder ein Bauwagen gegeben sein. Am Fuggerweiher steht für die Kleinen des naturnahen Kindergartens jedoch ein festes Gebäude zur Verfügung. Mit diesem eigenen Konzept ging für die 49-Jährige im Jahr 2015 ein Traum in Erfüllung. So etwas zu schaffen, sei ihre Leidenschaft. Dabei hat sie ihre Ausbildung vor etwa 28 Jahren in einem herkömmlichen Kindergarten begonnen und auch rund 25 Jahre lang in solch einem gearbeitet. Natürlich habe jede Einrichtung ihre Vorteile, betont Fürst-Müller, die andere Häuser auf keinem Fall verteufeln will. Jedoch sehe sie im naturnahen Kindergarten, wie gut sich die Kleinen in der Umgebung entwickeln und sich täglich im Freien austoben können. „Besonders den Jungs tut das einfach gut.“Passiert ist bisher noch nichts Schlimmes, so die Kindergärtnerin. „Abgehauen ist noch keiner“, sagt sie.
„Wir erklären am Anfang eines Kindergartenjahres, welche Regeln im Wald wichtig sind. Immer und immer wieder.“Verboten sei beispielsweise Beeren zu naschen, Tiere zu verletzen, tote Tiere zu berühren oder auf Bäume zu klettern. Die Kinder sollen Fürst-Müller zufolge auch lernen, zu streiten, dann jedoch wieder gemeinsam lachen zu können. „Wir beschönigen aber auch nichts.“So wie beim Thema Zecken. Sie informiere die Eltern zwar über die Blutsauger, rede aber nicht auf sie ein. „Es ist auch klar, dass hier keine Programme wie Englisch angeboten werden. Bei uns ist alles auf die Natur und die Bewegung ausgerichtet.“Kinder, die motorische Schwierigkeiten haben, profitierten beispielsweise davon, so die Erzieherin.
Doch Babenhausen bietet längst nicht den einzigen Kindergarten mit Naturbezug in der Umgebung an. Der erste Unterallgäuer Waldkindergarten wurde 2010 in Bad Grönenbach eröffnet. Seit März 2012 gibt es laut Landratsamt auch einen in Ottobeuren. In Weißenhorn im Kreis Neu-Ulm werden 25 Kinder seit 2000 im Wald erzogen. Dieses Jahr soll so ein Kindergarten auch in Senden eröffnet werden, berichtet Margot Nitschke vom Fachbereich Schule, Kindergarten, Sport und Kultur im Landratsamt. Und ebenfalls in Illertissen wird über einen Waldkindergarten diskutiert.
Naturkunde statt Englischunterricht