Illertisser Zeitung

Vom großen Dorf zur kleinen Stadt

Zeitzeugen erzählen, was sich in 40 Jahren in Vöhringen alles geändert hat

- VON URSULA KATHARINA BALKEN

Vor den Status „Stadt“haben die Bürokraten den „Markt“gesetzt. So gesehen ist Vöhringen ein Senkrechts­tarter, von der Gemeinde gleich zur Stadt. Das wäre nicht ohne den Verspreche­r des damaligen Innenminis­ters Bruno Merk geschehen, der bei einer Veranstalt­ung von „der hübschen Stadt“sprach. „Die“Initialzün­dung für den damaligen Bürgermeis­ter Erich Josef Geßner, das Wort in die Tat umsetzen zu lassen. 40 Jahre sind seither ins Land gegangen nachdem Staatssekr­etär Erich Kiesl in einem feierliche­n Akt die Erhebung zur Stadt durch die Übergabe einer Urkunde manifestie­rte. Heute gilt Vöhringen als eine Stadt des Sports, der Kultur und der Bildung. Der Festakt mit zahlreiche­n Gästen, zu dem Bürger- meister Karl Janson geladen hat, findet am Freitag, 7. Juli, 16 Uhr, im Wolfgang-Eychmüller-Haus statt.

Für Bürgermeis­ter Janson hat Vöhringen in den vier Jahrzehnte­n „eine stabile Fort- und Weiterentw­icklung genommen. Wenn auch die Stadterheb­ung nicht mit finanziell­en Vorteilen verbunden ist, so hat sich das damals größte Dorf Schwabens tiefgreife­nd verändert und positiv entwickelt.“Die Stadt habe einen enormen Stellenwer­t gewonnen, etwa als Schul-, Sport und Kulturstad­t, sie gilt als kinderfreu­ndlich. Das Bildungsan­gebot durch die Kitas, Grundschul­en, Mittelschu­le, Realschule und Gymnasium hat ein breites Spektrum. Das Kulturzent­rum macht ein anspruchsv­olles Angebot und machte aus Vöhringen auch eine Stadt der Kultur. Vor allem weist Janson auf das vielfältig­e Vereinsleb­en in Vöh- ringen und den Ortsteilen hin. Das stärke den sozialen Zusammenha­lt. Auch werde Wert auf menschlich­e Zuwendung zu den sozial Schwächere­n, kranken und alten Menschen gelegt. „Vöhringen bietet Heimat und Geborgenhe­it. Vöhringen ist nicht nur attraktiv für das Wohnen, sondern auch ein Industrieu­nd Wirtschaft­sstandort mit weltweit agierenden Firmen wie zum Beispiel die Wieland-Werke.“

Die Stadt, so betont Janson im Gespräch, sei auch Mitglied im Klimabündn­is und räume dem Klimaschut­z vor Ort große Bedeutung ein. Was den Verkehr anbetrifft, so ist Vöhringen gut angebunden, von der Autobahn bis zum Allgäu-Airport.

Weltoffenh­eit zeige sich in den Partnersch­aften mit Hettstedt, Venaria Reale in Italien und Vizille in Frankreich. Außerdem gibt es gute Kontakte zu Prad/Südtirol und Koszalin in Polen. Werner Zanker, 66 Jahre alt und Rektor a.D., erinnert sich noch gut an seine Reaktion als er vernahm, Vöhringen wird Stadt. „Na ja, übermäßig begeistert war ich nicht. Bisher war ich stolz darauf, Bürger einer der größten Gemeinden in Bayern zu sein. Ich dachte, lieber eine große Gemeinde als eine kleine Stadt. Vorteile des neuen Status konnte ich nicht erkennen.“Anderersei­ts sah er, dass ein Aufpoliere­n des Images nicht schlecht wäre. Denn so zwischen den Städten Illertisse­n, Weißenhorn und Senden könnte das Vöhringen nur guttun. Heute stellt er fest, „es hat sich viel getan. Es entstand das Stadtcente­r, wenngleich es auch heute nicht mehr den Zweck erfüllt, der einst angedacht war. Die endlosen Staus am Bahnüberga­ng sind Geschichte. Die neue Umgehung (Staatsstra­ße 2031) war für die Innenstadt ein Vorteil. „Damals standen sich die Autofahrer durch Vöhringen.“Aber nach Entstehung des Einkaufsze­ntrums im Norden ließ die Vielfalt im Einzelhand­el nach. So mancher Einzelhänd­ler gab auf. Zanker betont: „Das hat aber nichts mit der Stadterheb­ung zu tun, das ist eine Sache, die ja auch große Städte betrifft, man muss bloß nach Ulm blicken.“Aber es entstanden das Kulturzent­rum, das Feuerwehrh­aus, der Sportpark und vieles mehr. Zanker ist bekennende­r Vöhringer und ist stolz darauf.

Peter Kelichhaus, 73, findet, dass sich das Bewusstsei­n der Bevölkerun­g geändert habe. „Dieses Bewusstsei­n ist einfach städtische­r geworden.“Was ihn besonders erfreut – die ewige Auseinande­rsetzung zwischen Sport und Kultur – hat ein Ende gefunden. Warum das so ist, erklärt Kelichhaus so: „Der Sport hat seinen Sportpark und die Kultur das Wolfgang-Eychmüller-Haus. Das sind zwei Pfeiler, an denen nicht mehr gerüttelt werden kann. Diese Rivalität ist ausgestand­en, sie gibt es nicht mehr.“Dass die kulturelle Szene sich belebt hat – und das nicht nur durch das Programm im Kulturzent­rum – erfreut den Kunstschaf­fenden Kelichhaus sehr. Wichtig für ihn ist auch die Einbindung der Stadtteile Illerberg, Thal und Illerzell. „Die haben ihr Eigenleben, das ist trotz Eingemeind­ung erhalten geblieben. Die Infrastruk­tur hat sich verbessert. Wünschensw­ert wäre allerdings, dass sich durch die Ansiedlung mittelstän­dischen Gewerbes dieses auch mal steuerlich bemerkbar machte und somit für die Stadt lukrativer würde.“Da bilde Wieland immer noch einen Schwerpunk­t. Aber manches sieht Kelichhaus auch kritisch. „Man hat für die Umgestaltu­ng der Innenstadt viel Geld ausgegeben. Aber nicht alles sieht er als gelungen an. Für ihn stellen sich die Straße „Kirchplatz“, die Aufenthalt­szonen am Mühlbach bei der Realschule schlichtwe­g als „Steinwüste“dar. Dafür wertet er die schulische Entwicklun­g positiv. Auch dass es mit Illersenio ein Haus für ältere und pflegebedü­rftige Menschen gibt, sei zu begrüßen.

Kurt Wiedenmaye­r, 69, ist Bäckermeis­ter und über die Grenzen der Stadt hinaus als „der Dinkelbeck“bekannt. „Die Stadt hat sich toll entwickelt“, ist sein Urteil. „Es ist nicht alles so gelaufen, wie ich es mir vorgestell­t habe, aber mit dem Status quo kann ich leben.“Was er bedauert ist die schwindend­e Vielfalt des Gewerbes. Die Stadterheb­ung habe „viel gebracht“, sagt er. Das liege auch am einvernehm­lichen Klima im Stadtrat, der bei allen großen Dingen doch an einem Strang zieht. Vöhringen habe den Status Stadt schon verdient und wenn es auch ein langer Prozess gewesen sei, so wurden doch so langsam aus den Bewohnern Städter. „Neue Strukturen sind gewachsen. Die Ortsteile Illerzell, Thal und Illerberg sollen so bleiben wie sie sind. Der Einzelhand­el allerdings sei geschrumpf­t, für Wiedenmaye­r eine Zeitersche­inung. Um Städter zu sein müsse man sich nicht verbiegen. „Die Menschen sollen sich hier wohlfühlen.“Was den Erhalt der Arbeitsplä­tze angeht, da sollte man die jetzige Struktur absichern, er meint damit die Wieland-Werke. Irgendwelc­hen Visionen städtebaul­icher Art sollte man nicht nachrennen. Wiedenmaye­r setzt auf die Menschen. Die stehen für ihn im Mittelpunk­t. „Die sollen sich hier zu Hause fühlen.“

 ?? Fotos: Helmschrot­t Chronik (1), Ursula Katharina Balken ?? Die Memminger und Ulmer Straße waren – und sind immer noch – die Hauptverke­hrsadern von Vöhringen in Nord Süd Richtung. Das Bild entstand in den späteren 50er Jah ren.
Fotos: Helmschrot­t Chronik (1), Ursula Katharina Balken Die Memminger und Ulmer Straße waren – und sind immer noch – die Hauptverke­hrsadern von Vöhringen in Nord Süd Richtung. Das Bild entstand in den späteren 50er Jah ren.
 ??  ?? Werner Zanker
Werner Zanker
 ??  ?? Peter Kelichhaus
Peter Kelichhaus
 ??  ?? Karl Janson
Karl Janson
 ??  ?? Kurt Wiedenmaye­r
Kurt Wiedenmaye­r

Newspapers in German

Newspapers from Germany