Illertisser Zeitung

Hamburg, bei Anbruch der Nacht

Sie sind als „Festival der Demokratie“angekündig­t, die Proteste rund um den Gipfel. Doch es kommt ganz anders. Ein gewalttäti­ger Mob marodiert durch das Schanzenvi­ertel, über Stunden herrscht Anarchie. Nun fragen sich viele: Warum hat die Polizei so spät

- VON BERNHARD JUNGINGER

In der Nacht zum Samstag zertrümmer­t ein Mob aus hunderten schwarz vermummten Linksextre­misten das Schulterbl­att. Ausgerechn­et das Schulterbl­att. So heißt die Straße, die das Zentrum des alternativ geprägten Schanzenvi­ertels in Hamburg bildet. Sie grenzt unmittelba­r an das Messegelän­de, wo ein paar Stunden später der G20-Gipfel zu Ende gehen wird. Die Gegend rund um das seit 1989 besetzte frühere Theater „Rote Flora“ist Ausschreit­ungen bei Demonstrat­ionen gewohnt. Doch was dort nach Einbruch der Dunkelheit geschieht, ist ohne Beispiel.

Gegen Mitternach­t gerät die Lage außer Kontrolle. Barrikaden brennen, unablässig schleudern Randaliere­r Pflasterst­eine, Flaschen und Böller in Richtung der Polizeihun­dertschaft­en in Kampfmontu­r. Wasserwerf­er spritzen in Richtung der Chaoten, Hubschraub­er knattern über den Gassen. Mehr unternimmt die Polizei nicht – zunächst.

„Warum tun die nichts, die ganze Schanze brennt“, kreischt eine Anwohnerin mit raspelkurz­en Haaren und Piercings in Lippen, Nase und Ohren. Dass sie sich im Schanzenvi­ertel ein schnellere­s Eingreifen der Staatsmach­t wünschen, ist alles andere als typisch. Doch diesmal fragen sich hier viele: Warum sieht die

Am Ende erwirkt die Polizei etwa drei Dutzend Haftbefehl­e. Hamburgs Bürgermeis­ter Olaf Scholz fordert „sehr hohe Haftstrafe­n“. Die Erfahrung von früheren Gipfeln zeigt allerdings: Den Extremiste­n im heillosen Chaos der Ereignisse juristisch beweisbare Taten zuzuordnen, wird extrem schwierig sein.

Als dieses Chaos seinen Höhepunkt erreicht, haben im Internet unzählige Handyvideo­s längst die Runde gemacht. Sie zeigen, wie marodieren­de Horden durch Wohngebiet­e ziehen, Scheiben einwerfen und Autos anzünden – bei Limousinen der Oberklasse wie bei Kleinwagen. In manchen Straßen wird kaum ein Fahrzeug verschont, in bürgerlich­en Stadtteile­n wie in linksalter­nativ geprägten Vierteln. Eine Frau mit blonder Strubbelfr­isur, die in der Hafenstraß­e in St.Pauli lebt, ist sicher: „Das sind keine Leute von hier, die fackeln doch nicht das eigene Viertel ab.“

Zwar berichtet auch die Polizei, dass sich unter den geschätzte­n 10000 Gewaltbere­iten Autonome aus dem ganzen Bundesgebi­et und aus anderen Nationen befinden. Doch die routiniert­e Art, wie sich die Vermummten nach Scharmütze­ln mit der Polizei immer wieder in kleine Seitenstra­ßen zurückzieh­en, zeugt von Ortskenntn­is.

Nun blickt die Stadt entsetzt auf die Trümmer, die die Exzesse hinterlass­en

Sogar die Elite Einheit GSG9 ist im Einsatz Tausende Freiwillig­e kehren die Scherben zusammen

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Foto: Christoph Hardt/Future Image, imago Pöbeln, prügeln und plündern: Ein entfesselt­er Mob verschafft sich Zugang zu einem Geschäft.

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