Das Dilemma der Diesel-Nation Deutschland Leitartikel
Noch ist der Motor als Übergangstechnologie unverzichtbar. Um gesundheitsschädliche Stickoxide zu reduzieren, muss die Industrie die Autos nachrüsten
Um die Ursachen des deutschen Diesel-Skandals zu begreifen, hilft es, einmal die zahllosen Details auszublenden. Also sich nicht mit der Frage zu beschäftigen, wer wann was bei VW und Audi wusste. Dies ist ohnehin ein Thema, das besser bei Staatsanwälten als Journalisten aufgehoben ist. Wer dann die Affäre grundsätzlich betrachtet, stößt auf eine unangenehme, dreigeteilte Erkenntnis: Erstens haben Mitarbeiter der Auto-Riesen betrogen, um konzernintern ausgegebene Abgaswerte einzuhalten. So groß war der Druck von oben bei VW & Co.
Zweitens ließen sich Diesel-Fahrer täuschen. Obwohl Zweifel angesichts vieler Warnungen etwa der Deutschen Umwelthilfe angebracht gewesen wären, glaubten oder – besser gesagt – wollten sie die Lüge vom sauberen Diesel glauben. Und drittens ist die Politik in das deutsche Diesel-Täuschungsspiel involviert. Kein Wunder, schließlich hängt hierzulande rund jeder siebte Arbeitsplatz vom Wohlergehen der Auto-Industrie ab. Kein Kanzler, der wiedergewählt werden will, kann gegen die Interessen der Branche handeln. Schröder war AutoKanzler und Merkel ist es auf ihre leise, aber nicht minder effizientindustriefreundliche Art ebenso. Auf die Diesel-Lüge wurden also von Auto-Lobbyisten aus Wirtschaft und Politik lange, dicke Schichten Lehm gepackt, bis der Betrug in den USA aufflog.
Die gleiche Auto-Lobby konnte es aber nicht verhindern, dass die EU die Fahrzeughersteller verpflichtet, den CO2-Ausstoß der Wagen deutlich zu senken. Der Kampf gegen den Klimakiller setzt die Konzerne massiv unter Druck. Die Vorgaben lassen sich bei weitem nicht allein mit immer verbrauchsärmeren Benzinern erfüllen. So kam der Diesel ins Spiel. Der Vorteil des Motors: Er ist sparsam. VW kam auf die bizarre Idee, den „Clean Diesel“zu propagieren – eine Werbelüge, die Fahrern großer Autos ein besseres Gewissen geben sollte. Besonders bei mehr spritschluckenden dicken SUV-Vehikeln ist der Diesel für Auto-Hersteller unverzichtbar. Nur dumm, dass der Motor reichlich gesundheitsschädliche Stickoxide ausstößt. Die Gase können das HerzKreislauf-System und auch erheblich die Atemwegsorgane schädigen, sagen nicht nur die Experten des Umweltbundesamtes.
Von wegen clean! Aber SUVs sind beliebt und Auto-Hersteller verdienen prima an den Fahrzeugen. Ein wahres Dilemma. AutoProduzenten wie VW und Audi lösten das Problem auf ihre Weise: Sie ließen dem Betrug freie Bahn. Nun steckt die Bundesregierung in der Diesel-Falle: Einerseits muss sie die Gesundheit der Bürger schützen, andererseits hängen am Diesel viele Arbeitsplätze. In abgasgeplagten Städten wie Stuttgart müssten daher Fahrverbote für gesundheitsschädliche Diesel-Stinker erlassen werden. Welche Partei auch immer so radikal durchgreift, sie wird bei Wahlen abgestraft. Es riecht also nach einem Auto-Kompromiss.
Der Ausweg aus dem Diesel-Dilemma darf dabei nicht auf Kosten der Bürger gehen. Die Industrie muss komplett die Kosten für die Nachrüstung von Diesel-Fahrzeugen übernehmen. Um es im CSUJargon zu sagen: Wer betrügt, der zahlt! Weder für das Aufspielen neuer Software, die den StickoxidAusstoß verringert, noch für die Werkstattkosten sollten Verbraucher zur Kasse gebeten werden.
Dabei wäre eine jetzt diskutierte Abwrackprämie für alte DieselFahrzeuge ein Sündenfall. Dann müssten Steuerzahler auch noch für die Diesel-Affäre der Auto-Riesen blechen. Wer einen Audi oder VW fährt, wäre doppelt angeschmiert: Neben dem Wertverlust des Autos würde der Staat sein Steuergeld für neue Lehmschichten über die Diesel-Lüge missbrauchen.
Wer betrügt, der zahlt!