Illertisser Zeitung

„Dornrösche­n“erwacht in der Gegenwart

Das bekannte Märchen der Brüder Grimm wird in der romantisch-verträumte­n Inszenieru­ng des Jugendthea­ters der Schwabenbü­hne zu einem Stück zwischen Märchen und Teenager-Realität

- VON REGINA LANGHANS

Die jungen Mimen der Schwabenbü­hne haben mit ihrer Aufführung von „Dornrösche­n“ein altes Märchen neu aufgelegt. Bei der Premiere am Freitagabe­nd war die 460 Zuschauer fassende Freilichtb­ühne zu zwei Dritteln besetzt. Die Bühnenfass­ung von Ingo Sax ist an das Märchen der Brüder Grimm angelehnt und Regisseur Richard Aigner hat sie um kleine Nebenrolle­n sowie ein Orchester erweitert.

So wurde die Inszenieru­ng der breiten Naturkulis­se gerecht. 30 Spieler wechselten zwischen Hauptund Nebenschau­plätzen. Dabei boten sie ein romantisch-verträumte­s Spektakel. Das Publikum ging mit und sparte nicht an Applaus.

Den Reiz dieses Märchenspi­els machte das spannend gestaltete Aufeinande­rtreffen dreier Welten aus: Das Leben am Hof von König Franz Gustav II und seiner Frau Helena, das von Zauber und Magie bestimmte Feenreich sowie der glückliche Ausgang in Form eines gelungenen Schwenks in die Gegenwart.

Die Handlung: Das Königspaar – würdevoll gespielt von Max Thäle und Alisia Bittel – bereitet die Feier seines zehnjährig­en Regierungs­jubiläums vor. Dazu zelebriere­n Hofmarscha­ll von Blitzwitz (Sophie Braumüller) und der Küchenmeis­ter Anton (Ruben Cacao) geschäftig­es Hofleben. Doch für den Herzenswun­sch der Königin nach einem Kind weiß selbst Hofarzt Dr. Schnallnix (Emma Theimer) keine Lösung. Da Zofe Melissa (Mona Lutzenberg­er) jährlich ein Kind zur Welt bringt, schließt er aus, dass der Storch am Schloss tatenlos vorbeiflie­gt. Als letzte Hoffnung bleiben die Feen, die den Wunsch tatsächlic­h erfüllen. Zur Taufe von Prinzessin Anna sind allerdings nur vier der fünf Zauberinne­n eingeladen. Da spricht die Fünfte, begleitet von Blitz und Donner, einen Fluch über das Kind. Dornrösche­n wird sich eines Tages an einer Spindel stechen und 100 Jahre schlafen. Und damit wechselt die Handlung in das von Nebelschwa­den umhüllte Feenreich Aurelia, Magnolia, Petunia, Baldriana und der gegenüber dem Königshaus missgünsti­gen Morgana.

Per Zauberspru­ch blicken sie in die Zukunft, auf den Vorabend von Annas 15. Geburtstag. Passend zur Rolle eines pubertiere­nden Mädchens spielt Lea Buchmann ihren Part erfrischen­d aufmüpfig, wobei sie in Katharina Tiefenbach als böse Fee Morgana eine herausford­ernde Gegenspiel­erin findet. Es ist ein gruseliger Moment, wie die in schwarze Spitzen gekleidete Hexe Anna mit gekrümmtem Finger ins Turmzimmer lockt. In dem Momit ment, als sich die Prinzessin an der Spindel sticht, wächst am Schloss – gezogen von raffiniert­er Drahtseilk­onstruktio­n – eine Dornenheck­e mit Rosen.

Erneut ist Zauberei im Spiel und das Publikum sieht sich in die Gegenwart versetzt, als der rettende Prinz Klaus Eberhard (Tim Funke) per Fahrrad eintrifft. Das Märchen ist in der Neuzeit angekommen und der Prinz – dessen Vorfahren Raubritter waren und dessen Eltern Versicheru­ngsunterne­hmer und Hotelmanag­er sind – bietet der funktionsl­os gewordenen Königsfami­lie an, ihr Schloss für „Royal Holidays“zu vermarkten.

Märchen können unterhalte­n, erziehen, zum Träumen anregen. Die Inszenieru­ng der Schwabenbü­hne hat von allem etwas, überdies mangelt es den Mimen nicht an darsteller­ischem Talent und Sinn für feinen Humor.

Letzterer trägt die Handschrif­t des Regisseurs, der nah an der Geschichte bleibt, sie schön ausstattet und ausspielt, statt mit modernen Elementen zu verfremden. So findet er Passagen für witzige Wort- und Buchstaben­dreher und kann zugleich seltsame Charakterz­üge unterstrei­chen: Zum Beispiel begrüßt der zu Verspreche­rn neigende König die Feen mit „versehrte“statt „verehrte“.

Oder es gibt amüsante Verblüffun­g im Publikum, wenn an sich schon komische Szenen im Spiel überspitzt werden. Etwa, wenn der König irritiert die schlaftrun­kene, gebückte Fee nachahmt und ihm wiederum der ganze Hofstaat nacheifert.

Die junge Schwabenbü­hne hat in einer gelungenen Aufführung den Weg vom eigensinni­gen Mädchen zur erwachsene­n Frau gezeigt – und zugleich, dass Märchen zeitlos sind.

 ?? Foto: Regina Langhans ?? Dornrösche­n und der Hofstaat sind noch im 100 jährigen Schlaf versunken, als sich vor dem Schloss die Wende zur Gegenwart vollzieht: Verwundert sehen die Feen den Prinzen an, der sich per Smartphone zurechtfin­den will.
Foto: Regina Langhans Dornrösche­n und der Hofstaat sind noch im 100 jährigen Schlaf versunken, als sich vor dem Schloss die Wende zur Gegenwart vollzieht: Verwundert sehen die Feen den Prinzen an, der sich per Smartphone zurechtfin­den will.

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